Vor einem halben Jahr war für die Grünen in Österreich die Welt noch in Ordnung. Im Jänner wurde Alexander Van der Bellen als erster Grünpolitiker in Europa zum Staatsoberhaupt angelobt. Das war der größte Triumph in der 30-jährigen Parteigeschichte.
Doch die Wahl des langjährigen Parteichefs ins höchste Amt des Staates brachte der Partei keinen Rückenwind. Im Gegenteil. Nach dem Einzug Van der Bellens in die Hofburg ging es für die Grünen nur noch bergab. Die Partei schlingerte in eine Art Babyblues:
Unmittelbar nach dem höchsten Glücksgefühl kam die Depression.
Es begann mit dem Rücktritt des Bundesgeschäftsführers. Dem folgte der von Obfrau Eva Glawischnig. Ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger zeigen sich bemüht, sind aber kein adäquater Ersatz.
Als Nächstes kam die Abwahl der bisherigen Spitzenkandidatinnen für den Landtag in Kärnten und für den Nationalrat in Salzburg. Den Höhepunkt des Niedergangs bildete die Nicht-Nominierung von Peter Pilz auf Platz 4 der Nationalratsliste und dessen Ankündigung (siehe Seite 2), er werde vermutlich mit einer eigenen Liste kandidieren.
Was auch immer dieses Seuchenjahr bis jetzt für die Grünen bereithielt, die Rückschläge waren selbst verschuldet. Nicht die politischen Gegner machen der Partei das Leben schwer, sondern sie es sich selbst.
Den begeisterten Basisdemokraten ist der Erfolg zu Kopf gestiegen. Als es noch ums politische Überleben ging, waren die Reihen dichter geschlossen als heute. Gebrodelt hat es in den Reihen der Grünen schon immer. Der gemeinsame Kampf um die Hofburg hat aber viel Konfliktpotenzial zugedeckt. Jetzt ist der Kelomat explodiert.
Das getrennte Antreten der Grünen (Liste Lunacek gegen Liste Pilz) wird am ehesten den Freiheitlichen nützen. Deren starker oppositioneller Mitbewerber um den Einzug in die nächste Regierung fällt weg. Peter Pilz gibt vor, mit seiner Solo-Kandidatur Schwarz-Blau verhindern zu wollen. Indem
er die Grünen massiv schwächt, erreicht er das Gegenteil.