"Alle Staaten, egal welcher Größe, müssen sich ihnen stellen", meinte die 59-jährige Diplomatin anlässlich eines Wien-Besuchs zum 30. Jahrestag der Aufnahme bilateraler diplomatischer Beziehungen zwischen Andorra und Österreich, der sie in dieser Woche auch zu einem Mittagessen mit ihrer Amtskollegin Beate Meinl-Reisinger führte. "In dieser sehr komplexen internationalen Lage, insbesondere mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, bemühen wir uns um Sichtbarkeit und vor allem setzen wir uns für einen inklusiveren Multilateralismus ein, der allen Staaten die Möglichkeit gibt, gehört zu werden." Als stimmberechtigtes Mitglied der Vereinten Nationen könne sich aber auch ein kleiner Staat wie Andorra in der "internationalen Arena" Gehör verschaffen.
Etwa beim Thema Klima. "Andorra liegt in den Pyrenäen. Daher versuchen wir auf die Verwundbarkeit von Gebirgen und ihren Ökosystemen aufmerksam zu machen. Daher werde in Andorra im kommenden März eine Tagung der "Global Mountain Partnership" (GMP) stattfinden. GMP ist ein Bündnis aus Vereinten Nationen, Regierungen, NGOs und privaten Unternehmen, das sich weltweit für den Schutz der Bergwelt und die Verbesserung der Bedingungen der dort lebenden Bevölkerung einsetzt. Natürlich sei auch eine Delegation des Wiener Umweltministeriums eingeladen, nach Andorra zu kommen, so Tor Faus.
"Klimawandel beeinflusst Lebensqualität in Andorra"
Für Andorra sei der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. "Im vergangenen Jahr hatten wir neun Millionen Touristen, das ist bei einer Bevölkerung von 88.000 sehr viel." Im Fürstentum gebe es auch zahlreiche Skigebiete. Noch wirke sich der Klimawandel nicht gravierend aus, meinte die Außenministerin zur APA: "Wir haben zwar weniger Schnee als früher, aber immer noch genügend. Wir verfügen allerdings auch über gute Anlagen zur Produktion von Kunstschnee. Aber natürlich wissen wir, dass der Klimawandel die Lebensqualität in Andorra stark beeinflusst." Deshalb werde daran gearbeitet, "unser Angebot zu diversifizieren", etwa im Sommer mit "Trekking, Wanderungen und vielen Aktivitäten in den Bergen" sowie Kulturtourismus.
Immerhin besitze Andorra "ein sehr interessantes romanisches Erbe", so die Diplomatin, "Wir haben eine UNESCO-Welterbe-Kandidatur eingereicht, die die Entstehung des Staates Andorra thematisiert - mit den romanischen Kirchen und solchen aus dem Mittelalter sowie der Kathedrale von La Seu d'Urgell und dem Château de Foix in Frankreich." Das seien auch die "zwei Embleme unserer Kofürsten", erinnerte Tor Faus an die auf das 13. Jahrhundert zurückgehende Staatsform, in der zwei ausländische Amtsträger in einer zeremoniellen Doppelherrschaft gemeinsam die Funktion des Staatsoberhauptes wahrnehmen: Der Bischof von Urgell im katalanischen Erzbistum Tarragona und der Staatspräsident von Frankreich (in Nachfolge der Grafen von Foix).
Mit einem etwas gequälten Lächeln kommentierte die ehemalige andorranische Botschafterin in Frankreich, Deutschland oder Brüssel (EU) die Frage, was sie darüber denke, dass nach den Wahlen 2027 möglicherweise die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen als französische Präsidentin amtieren könnte. "Dazu denke ich nichts. Unsere Kofürsten wählen wir nicht. Der eine wird vom Heiligen Stuhl ernannt, der andere von den französischen Wählern gewählt. Was sollen wir tun? Wir akzeptieren den Kofürsten oder die Kofürstin, die wir dann haben. Das kann ich nicht bewerten." Eine Diskussion, ob die doch etwas ungewöhnliche Staatsform überhaupt noch zeitgemäß sei, gebe es in Andorra aber nicht, versicherte die Außenministerin. "Nein. Ich denke, niemand möchte die Verfassung ändern, denn hätten wir dieses institutionelle System nicht, würde Andorra heute nicht als souveräner Staat existieren." Es werde daher auch nicht in Frage gestellt.
Auch die vor einigen Jahren in Katalonien virulenten Unabhängigkeitsbestrebungen, hätten auf Andorra derzeit wenig Auswirkungen. "Wir haben sehr gute staatliche Beziehungen zu Spanien, diese laufen über Madrid. Natürlich haben wir auch eine ausgezeichnete grenzüberschreitende Kooperation mit Katalonien, unserer nächstgelegenen Nachbarregion. Wir haben viele kulturelle Verbindungen mit Katalonien und teilen die Amtssprache Katalanisch. Aber derzeit steht die Frage der Unabhängigkeit ohnehin nicht mehr auf der Tagesordnung. Außerdem mischen wir uns nicht in die inneren Angelegenheiten Spaniens ein."
Hoffnung auf EU-Assoziierungsabkommen
"Entscheidend" sei für Andorra freilich, dass ein praktisch seit längerem ausgehandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU endlich ratifiziert wird. Dies sei bisher daran gescheitert, dass eine wichtige rechtliche Frage bisher nicht geklärt werden konnte, erklärte Tor Faus: "Handelt es sich um ein reines EU-Abkommen oder um ein gemischtes Abkommen? Die Kommission hat es als reines EU-Abkommen vorgelegt. Falls es so beschlossen wird, müsste nur das Europäische Parlament ratifizieren. Wäre es ein gemischtes Abkommen, würde es länger dauern, weil alle nationalen Parlamente der 27 Mitgliedstaaten ratifizieren müssten, das wäre ein sehr langes Verfahren. Natürlich plädieren wir für ein reines EU-Abkommen, aber die Entscheidung liegt bei den EU-Mitgliedern."
Diese Assoziierung mit der EU - ähnlich wie mit Liechtenstein, Island, Norwegen - sei für Andorra wichtig, "um unsere Wirtschaft zu diversifizieren, vor allem in Richtung Hochtechnologie, Gesundheitswesen und ähnliche Bereiche", erläuterte die Außenministerin. Ein EU-Beitritt sei aber kein Thema. "Die Europäische Union ist auf so kleine Länder wie unseres nicht vorbereitet."
Sorge wegen Aufstiegs "sehr rechter Parteien"
Generell bereite sei der Aufstieg "sehr rechter Parteien in mehreren europäischen Ländern" ein Grund zur Besorgnis, so Andorras Chefdiplomatin. Aber ich bin zuversichtlich und sicher, dass die Menschen verstehen werden, dass es in dieser Welt mit all ihren globalen Herausforderungen und dem Krieg in der Ukraine besser ist, in einer regionalen Gemeinschaft zusammenzuwirken, mit gemeinsamer Politik und gemeinsamer Außenpolitik." Der Ukraine-Krieg habe eine Zäsur "in unserer Tradition der Neutralität" markiert, räumte die Außenministerin ein." Mit der russischen Aggression gegen die Ukraine haben wir erstmals in internationalen Foren - den Vereinten Nationen, dem Europarat, der OSZE - Position bezogen. Natürlich setzen wir die Sanktionen und alle Maßnahmen der EU gegen Russland und Belarus um. Wir sind entschiedene Verteidiger des Völkerrechts, des Multilateralismus und des Rechts jedes Landes auf territoriale Integrität. Deshalb können wir gegenüber der Lage in der Ukraine nicht indifferent sein."
Andorra habe auch ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Etwa 300. Verglichen mit der andorranischen Bevölkerung ist das ein hoher Anteil. Sie sind gut integriert." Generell sei das Thema Migration auch im Kleinstaat Andorra aktuell, immerhin seien rund 40 Prozent der knapp 90.000 Einwohner ausländische Staatsbürger. "In den vergangenen Jahren hatten wir starkes Wirtschaftswachstum und brauchten viele Arbeitskräfte. Viele kamen aus Südamerika, vor allem aus Argentinien, Peru und Kolumbien. Diese Menschen werden für unsere Wirtschaft gebraucht, und wir bemühen uns, sie in die andorranische Gesellschaft zu integrieren, insbesondere über die katalanische Sprache. Sie profitieren von unserem Sozialsystem. Natürlich wird darüber diskutiert. Es gibt die Sorge, unsere Identität zu verlieren, doch ich denke, es wird gut gemanagt, das zu vermeiden."
"Anerkennung Palästinas ein Schritt in Richtung Frieden"
In der Nahost-Frage setzte Andorra indes ein deutliches Zeichen. "Wir haben Palästina im Zuge der Konferenzen zur Zwei-Staaten-Lösung anerkannt, weil wir der Auffassung sind, dass die Anerkennung Palästinas ein Schritt in Richtung Frieden ist." Für eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Palästina seien allerdings einige Bedingungen zu erfüllen: "Waffenstillstand, Freilassung aller Geiseln, Entmilitarisierung der Hamas." Zudem dürfe die Hamas nicht Teil einer künftigen palästinensischen Regierung sein, erklärte die Ministerin. "Es war ein symbolischer Schritt, gemeinsam mit anderen westlichen Ländern wie Frankreich, dem Vereinigten Königreich oder Kanada."
Dass Andorra in einem Ranking der NGO "Reporter ohne Grenzen" nur auf Platz 65 liegt, weil Medienvielfalt und Qualitätsjournalismus durch die geringe Marktgröße und den konstanten Druck aus Wirtschaft und Politik bedroht sei, quittierte die Außenministerin der APA gegenüber mit einem Lächeln. "Ich kenne den Bericht, aber in Andorra herrscht vollständige Medienfreiheit. Natürlich ist es ein kleines Land, jeder kennt jeden, und manchmal ist es für Journalistinnen und Journalisten vielleicht etwas schwieriger, ihre Arbeit zu tun. Aber die Meinungsfreiheit ist für uns ein Prinzip."
"Heikles Thema Abtreibungsverbot"
Die Rolle des Kofürsten spielt auch bei einem Thema eine wichtige Rolle, mit dem es Andorra sogar in internationalen Medien schaffte. Die Frage der Aufhebung des strikten Abtreibungsverbots, sei unter anderem deshalb noch nicht gelöst worden, weil eben "eines unserer Staatsoberhäupter ein Bischof ist", hielt Tor Faus fest. "Daher ist dieses Thema sehr sensibel." Ziel sei aber, "Abtreibung bis 2027 zu entkriminalisieren", so die Außenministerin. "Daran arbeiten wir. Wir führen dazu einen sehr konstruktiven Dialog mit dem Heiligen Stuhl. In dieser Frage müssen wir ein Gleichgewicht finden zwischen der Bewahrung unseres Systems und den Rechten der Frauen."
Kaum Chancen für baldige Qualifikation für Fußball-WM
Dass sich Andorra wie die flächenmäßig fast gleich große und mit rund 140.000 Einwohnern her nur wenig stärker besiedelte Karibikinsel Curaçao in absehbarer Zeit einmal für eine Fußball-WM qualifizierten kann, glaubt Imma Tor Faus nicht. "Schauen Sie", lachte sie zum Abschluss des APA-Gesprächs, "die meisten unserer Spieler sind ja gar keine Profis."
Die vom Niederländer Dick Advocaat gecoachte Karibik-Team hatte sich jüngst sensationell mit Rang eins in der Gruppe B des CONCACAF-Ausscheidungsbewerbs für die Fußball-WM-Endrunde 2026 in den USA, Kanada und Mexiko qualifiziert und damit einen Rekord aufgestellt. Noch nie hat ein Land mit weniger Einwohnerinnen und Einwohnern das Ticket zu einer Fußball-Weltmeisterschaft gelöst.
(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA)
(Quelle: APA)
