SN.AT / Politik / Weltpolitik

Berichte über neuen US-Friedensplan - Ukraine unter Druck

Die Ukraine gerät durch einen angeblich von der US-Führung mit Moskau im Geheimen ausgehandelten Friedensplan unter Druck. Von dem angegriffenen Land verlange der Rahmenentwurf große Zugeständnisse, berichtete die "Financial Times" unter Berufung auf am Gesprächsprozess beteiligte Personen. Die Ukraine solle die umkämpften Gebiete Donezk und Luhansk vollständig räumen und ihre Armee halbieren. Europäische Politiker reagierten irritiert.

Grenze zu russisch beanspruchter Region Donezk
Grenze zu russisch beanspruchter Region Donezk

US-Außenminister Marco Rubio versuchte die Medienberichte ebenso herunterzuspielen wie der Kreml. In einem X-Post sprach er am Donnerstag lediglich von einer "Liste möglicher Ideen". Zugleich rief er die beiden Konfliktparteien zu Zugeständnissen auf. "Um einen komplexen und tödlichen Krieg wie den in der Ukraine zu beenden ist ein umfassender Austausch ernsthafter und realistischer Ideen erforderlich", so Rubio.

Kiewer Führung angeblich über Plan informiert

Das Nachrichtenportal "Axios" in Washington berichtete, der Plan sei Ende Oktober von Trumps Sondergesandten Steve Witkoff und dem Moskauer Vertreter Kirill Dmitrijew ausgehandelt worden. Den Angaben nach soll Witkoff die Überlegungen dem Chef des ukrainischen Sicherheitsrates, Rustem Umjerow, zur Kenntnis gegeben haben.

Der Kreml versuchte die Berichte auch am Donnerstag herunterzuspielen. Zwar gebe es Kontakte mit den USA, aber derzeit keine Verhandlungen über einen solchen Plan, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Er lehnte eine Stellungnahme dazu ab, ob Kreml-Chef Wladimir Putin übe die Einzelheiten des Plans informiert wurde. Noch am Mittwoch hatte er nach ersten US-Medienberichten Kontakte mit den USA gänzlich in Abrede gestellt. Am Donnerstag bekräftigte er die Position Russlands, wonach ein Friedensplan "die Ursachen des Konflikts beseitigen" müsse. Russland beansprucht die vier nach Kriegsbeginn völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Regionen für sich und will das Nachbarland auch zu einem Verzicht auf einen NATO-Beitritt bringen.

Moskau will Russisch als Staatssprache

Nach Einschätzung der "Financial Times" entspricht der US-Plan weitgehend bekannten russischen Forderungen an Kiew. Moskau soll demnach die Teile von Donezk und Luhansk bekommen, die es bisher nicht erobern konnte. Allerdings sollen sie demilitarisiert werden. Die südliche Frontlinie durch die Gebiete Saporischschja und Cherson soll weitgehend eingefroren werden. Der Ukraine drohen demnach auch Begrenzungen der Reichweite ihrer Waffen.

Dem Bericht zufolge wird ebenfalls gefordert, dass Russisch als Staatssprache anerkannt und die frühere moskautreue orthodoxe Kirche wieder zugelassen werde. Die Kiewer Führung versucht, diese Kirche als Sicherheitsrisiko zu verbieten.

Über einen militärischen Rückzug der Ukrainer hatte Trump schon früher gesprochen und es Gebietsaustausch genannt. In den letzten Wochen zeigte er sich allerdings zunehmend enttäuscht wegen Putins mangelnder Verhandlungsbereitschaft. Trump sagte einen zweiten Gipfel in Budapest vorerst ab und verhängte schmerzhafte Sanktionen gegen die großen russischen Ölexporteure Rosneft und Lukoil.

Ukraine doppelt in Schwierigkeiten

Die angebliche Wiederannäherung zwischen Washington und Moskau trifft die Ukraine in einem doppelt ungünstigen Moment. An der Front im Osten ist der Fall der lange umkämpften Stadt Pokrowsk nur noch eine Frage der Zeit. Auch weiter südlich hat die ukrainische Armee Stellungen räumen müssen.

Innenpolitisch steht Selenskyj unter Druck wegen eines Korruptionsskandals, der bis in sein Umfeld reicht. Zwei Minister mussten bereits zurücktreten. Nach Selenskyjs Rückkehr von einer Auslandsreise werden für heute weitere Gespräche in Parlament und Regierung über personelle Konsequenzen erwartet. In Kiew wird auch über eine Entlassung von Andrij Jermak diskutiert, der als Leiter des Präsidentenbüros als mächtig gilt.

Selenskyj: Nur Trump kann Krieg beenden

Eine direkte Reaktion der Ukraine auf den amerikanisch-russischen Plan gab es nicht. Selenskyj beschwor jedoch Trump, sich für einen gerechten Frieden einzusetzen. "Nur Präsident Trump und die USA haben genügend Kraft, dass dieser Krieg zu einem Ende kommt", schrieb er in sozialen Netzwerken.

Nach Gesprächen in Ankara dankte er dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, dass die Türkei weiter als Gastgeberin für Verhandlungen bereitstehe. Doch das Wichtigste für ein Ende des Blutvergießens und einen dauerhaften Frieden sei, dass die USA sich stark und effektiv engagierten. Erdogan rief in Ankara zu neuen Gesprächen zwischen Kiew und Moskau in Istanbul auf. Wie bei Trumps Friedensinitiative für Gaza sollen laut "Axios" Katar und die Türkei ebenfalls an dem Ukraine-Plan beteiligt sein.

Europäer bisher ausgeschlossen

Aus Brüssel hieß es, dass die europäischen Staaten den Plan noch nicht gesehen hätten. Im Vorfeld eines EU-Außenministertreffens am Donnerstag äußerten sich die Chefdiplomaten kritisch und pochten auf eine Beteiligung Europas an den Gesprächen. "Damit ein Plan funktioniert, müssen natürlich die Ukrainer und die Europäer mit an Bord sein", sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Auch der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski forderte, Europa müsse bei Friedensbemühungen konsultiert werden. "Ich hoffe, dass nicht dem Opfer Beschränkungen seiner Verteidigungsfähigkeit auferlegt werden, sondern dem Aggressor." Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) sprach von einer "Imbalance" zugunsten Russlands in dem Plan.

Ablehnung äußerte der deutsche Kanzleramtsminister Thorsten Frei. "Die ersten Nachrichten, die man dazu sieht, die sind durchaus verstörend", sagte Frei am Donnerstag bei RTL und ntv. "Es mutet etwas an, als ob Putin damit Kriegsziele erreichen könnte, die er auf dem Schlachtfeld nicht erreicht hat. Und das wäre sicherlich ein Ergebnis, das nicht akzeptabel wäre", sagte Frei mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Das Nachrichtenportal "Politico" zitierte einen nicht genannten Vertreter der Trump-Administration mit der Einschätzung, dass Selenskyj unter dem Druck innen und an der Front einlenken müsse. Die gemachten Vorschläge seien vernünftig. Auf die europäischen Verbündeten sei dabei kaum Rücksicht genommen worden.

Selenskyj trifft am Donnerstag eine US-Militärdelegation in Kiew. Sie wird von Daniel Driscoll geführt, dem für das Heer zuständigen Staatssekretär im US-Verteidigungsministerium. In einem Gespräch am Mittwoch versuchte der ukrainische Verteidigungsminister Denys Schmyhal, die Ukraine als verlässlichen und wichtigen Partner der USA darzustellen. Sein Land habe in der Drohnentechnik etwas zu bieten.

Immer noch Vermisste nach Luftangriff auf Ternopil

In der westukrainischen Stadt Ternopil dauerten die Rettungsarbeiten nach einem schweren russischen Luftangriff in Nacht auf Mittwoch weiter an. Bis zum Abend wurden nach Angaben der Nationalen Polizei 26 Leichen gezählt. Dazu habe es 93 Verletzte gegeben. Präsident Selenskyj teilte mit, in den Trümmern eines neunstöckigen Wohnblocks würden immer noch Menschen vermisst. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe hatte ein Marschflugkörper vom Typ Ch-101 das Gebäude getroffen. Wegen neuerlicher massiver russischer Luftangriffe kam es am Donnerstag zu verbreiteten Stromausfällen in der Ukraine, die in der Hauptstadt Kiew bis zu 18 Stunden für Privatverbraucher betrugen.

(Quelle: APA/dpa/Reuters)