SN.AT / Politik / Weltpolitik

Das bärtige Gesicht des Terrors: Bin Laden vor fünf Jahren getötet

Für die USA war er der Staatsfeind Nummer eins, für die Welt das bärtige Gesicht des internationalen Terrorismus. Osama bin Laden lief seinen Häschern jahrelang davon. Am 2. Mai 2011 schnappte die Falle zu - US-Soldaten erschossen vor fünf Jahren den Terrorfürsten.

Das bärtige Gesicht des Terrors: Bin Laden vor fünf Jahren getötet
Das bärtige Gesicht des Terrors: Bin Laden vor fünf Jahren getötet

Barack Obama sitzt links hinten und starrt auf den Bildschirm, Hillary Clinton hält sich vor Aufregung die Hand vor den Mund. Militärs in Uniform, die Augen fest auf die Szene gerichtet: Das Bild aus dem Situation-Room im Weißen Haus hat Geschichte geschrieben. Es hält den Moment fest, in dem die USA ihren Staatsfeind Nummer eins unschädlich machen - live ins Machtzentrum der westlichen Welt nach Washington übertragen. Am 2. Mai 2011 (Ortszeit) töteten Navy Seals des US-Militärs den Terrorfürsten Osama bin Laden in seinem Versteck in Pakistan.

Mit der gezielten Ausschaltung des 53-Jährigen Bin Laden hat US-Präsident Barack Obama einen Schlussstrich gezogen unter die Art von "Krieg gegen den Terror", den sein Vorgänger George W. Bush ausgerufen hatte. Es war gleichzeitig ein Neuanfang für eine neue Art von Anti-Terror-Kampf - mehr Cyber War, weniger Guantanamo, oder wie Obama es nannte: "Ein gerechter Krieg." Nicht mehr länger ein Rachefeldzug. Für Obama selbst war der Sieg über den mit 25 Millionen Dollar Kopfgeld meistgesuchten Terroristen der Welt einer der größten Erfolge seiner beiden Amtszeiten.

Der Krieg - nach den von Bin Laden angezettelten Attentaten vom 11. September 2001 begonnen - hat in seinen zehn Jahren Siege und Pyrrhussiege für die USA zutage gefördert. Die Tötung des Terroristenführers zählte zu den Siegen. Al-Kaida wurde in Motivation und Struktur entscheidend geschwächt, der nachvollziehbare Durst der Amerikaner nach Rache für die fast 3000 Toten von 9/11 war zumindest ein wenig gestillt.

Chaos half dem Terror

Das von den USA mitausgelöste Chaos im Irak, das Ungleichgewicht in Nahost und auch die undurchsichtige Situation in Afghanistan und Pakistan haben dem Terror jedoch geholfen. Im Irak konnte der IS entstehen - brutaler, entschlossener, menschenfeindlicher noch als Bin Ladens Al-Kaida.

Im Jahr 2014 wurden dem Global Terrorism Index zufolge weltweit mehr als 32 000 Menschen durch Terrorattacken getötet. Für die Hälfte der Toten sind die Gruppen Islamischer Staat und Boko Haram verantwortlich. Der ganz überwiegende Teil der Anschläge wurde von Islamisten verübt. Der überwiegende Teil der Opfer sind Muslime. Trotz Paris und Brüssel: Nur drei Prozent des islamistischen Terrors spielt in westlichen Ländern. Nichts hassen Dschihadisten mehr, als Muslime, die sich dem Westen anbiedern.

Umfragen in den USA ergeben: Die Amerikaner fürchten sich vor Terrorangriffen mehr denn je. Und sie wissen nicht wie ihnen geschieht: "Warum Sie uns hassen", heißt eine neue Fernsehreihe, die den Amerikanern erklären soll, warum Islamisten Anti-Amerikanisch sind.

Der Schießbefehl von 2011, ausgeführt vermutlich von einem Navy Seal namens Robert O'Neill, ist bis heute umstritten. Die US-Kräfte gingen in ein fremdes Land und töteten einen Mann - ohne jegliche gerichtliche Fundierung. Politiker von Angela Merkel bis George W. Bush begrüßten den Schritt damals. Menschenrechtlern war weniger wohl.

"Akt nationaler Selbstverteidigung"

"Die Operation gegen Bin Laden war gerechtfertigt als ein Akt nationaler Selbstverteidigung", sagte der damalige US-Justizminister Eric Holder. Im Falle Bin Ladens war die US-Army extrem schnell, als es darum ging, die Leiche per Seebestattung verschwinden lassen. Bin Ladens Anhänger sollten keinen Ort finden, ihrem Idol zu huldigen.

Kein Wunder, dass sich schnell Verschwörungstheorien bildeten. Die prominenteste hat der US-Investigativjournalist und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh erst jüngst in Buchform gegossen. Die These Hershs: Bin Laden, in jüngeren Jahren als Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjets mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI auf Du und Du, hat mit dem Wissen des Agenten und der USA rund fünf Jahre in seinem Versteck in der Stadt Abbottabad gelebt - einer Hochburg des pakistanischen Militärs.

Das Weiße Haus streute Informationen: Die Seals hätten sich den Weg zu Bin Laden freischießen müssen, bin Laden habe eine seiner Frauen als Schutzschild benutzt, Kuriere hätten die US-Agenten zum Versteck geführt - laut Hersh, der sich auf inzwischen pensionierte US-Militärs und Geheimdienstler beruft, alles frei erfunden.

Auch in Pakistan gibt es bis heute keine Klarheit darüber, was in der Nacht des 1. Mai 2011 in Abbottabad geschehen ist. Seymour Hershs Theorie von der Beteiligung der pakistanischen Regierung klingt nicht unglaubwürdig in den Ohren vieler Pakistaner. Wie konnten die Amerikaner in das Herz des Armeeapparats, die Stadt Abbottabad, gelangen, ohne dass Armee oder Geheimdienst davon erfuhren?

Die Wut eines ganzen Landes über den "arroganten Überfall auf ein souveränes Land", wie es damals oft hieß, hat sich allerdings verflüchtigt. Das zuvor lange notorisch schlechte Verhältnis zu den USA hat sich sogar verbessert - etwas, das vor fünf Jahren noch unmöglich erschien.

Anti-Amerikanismus auf dem Höhepunkt

Im Jahr der Tötung bin Ladens war der Anti-Amerikanismus in Pakistan auf dem Höhepunkt. Seit 2001 schon hatte sich der Hass auf den Westen, speziell die USA, vor allem in den religiösen Teilen der Bevölkerung gesteigert. Als die Amerikaner nach dem 11. September ihre Operationen in Afghanistan begannen, gingen Hunderttausende auf die Straßen, um zu protestieren - oder wurden dazu gezwungen.

Religiöse Hardliner und Extremisten, unter anderem Al-Kaida, sollten von der Stimmung in den kommenden Jahren enorm profitieren. Pakistan wurde zum "Kern" des Al-Kaida-Apparates und der Kampf gegen die amerikanische "Besatzung" in Afghanistan, aber auch gegen die Regierungen Afghanistans und Pakistans, zu seinem wichtigsten Daseinszweck.

Mit den pakistanischen Taliban (TTP) und anderen in Pakistan aktiven Extremistenorganisation existierte Al-Kaida bald fast symbiotisch. Für die meisten Al-Kaida-Operationen wurden Fußsoldaten der TTP, der Hakkani-Gruppe oder der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU) eingesetzt.

Allerdings begann bald der amerikanische Drohnenkrieg gegen die Terrororganisation sowie ihre örtlichen Alliierten. 2010, im Jahr vor der Tötung Osama bin Ladens, flogen die USA dann fast 130 Drohnenangriffe. Anführer und Kämpfer von TTP und Al-Kaida kamen serienweise ums Leben. Organisationsstruktur und Einsatzfähigkeit der Bewegung nahmen schon damals schweren Schaden. Der Tod von Anführer Osama bin Laden setzte dann nur noch einen drauf.

Heute ist Al-Kaida in Pakistan mehr Mythos als Realität, sagen Sicherheitsanalysten. Was die Drohnenschläge und die vorübergehende Enthauptung der Bewegung durch den Tod bin Ladens angefangen hatten, führten pakistanische Militäroffensiven fort. Nachdem im Dezember 2014 TTP-Kämpfer in einer von der Armee betriebenen Schule mehr als 130 Schulkinder getötet hatten, wurden sie noch einmal intensiviert.

Wenngleich Osama bin Ladens Erben in Pakistan und wieder aufkeimend in Afghanistan aktiv sind - hinsichtlich der Außenwirkung haben längst die vulgären IS-Kämpfer die Vorherrschaft über die Bildschirme der Welt übernommen. Öffentlich inszenierte Enthauptungen und Selbstmordattentate in westlichen Großstädten - nach Bin Laden ist der IS die Stimme des Terrors.