SN.AT / Politik / Weltpolitik

Die Familie einer österreichischen Hamas-Geisel klagt an: "Der tägliche Terror, mit dem wir leben"

Tal Shoham ist Geisel der Hamas. Er ist österreichischer Staatsbürger. Seine Familie und seine Schwägerin haben der Welt einiges zu sagen.

Der österreichische Doppelstaatsbürger Tal Shoham wurde in Geiselhaft 39 Jahre alt.
Der österreichische Doppelstaatsbürger Tal Shoham wurde in Geiselhaft 39 Jahre alt.

Shaked Haran sitzt beim Frühstück auf dem Balkon des Schlosses Leopoldskron, ihr Baby im Arm. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel, Vogelgezwitscher ist aus dem Park zu hören. "Friedlicher und schöner" könnte der Moment für die Israelin nicht sein. "Ich sitze hier, genieße das Schloss und die Ruhe. Aber zwei Sekunden später schießt mir in den Sinn, was ich hier tue. Und ich erinnere mich, dass ich in der vergangenen Nacht um drei Uhr früh mit meiner Schwester telefoniert habe. Sie hatte eine Panikattacke, weil sie nach wie vor nicht weiß, ob ihr Mann als Geisel der Hamas noch lebt oder nicht. Sie weiß nicht, ob ihre beiden Kinder ihn jemals wieder sehen werden. Das ist der tägliche Terror der Hamas, mit dem wir leben."

Die Anwältin Shaked Haran ist in Salzburg, weil sie, wie am Dienstag in Leopolsdkron, für die Freilassung ihres Schwagers Tal Shoham kämpft. Weil sie wachrütteln will und weil sie das Bild, das die Welt derzeit von Israel hat, korrigieren will.

Der 39-jährige Tal Shoham, der Mann von Harans Schwester, besitzt neben der israelischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Seit dem 7. Oktober 2023 befindet er sich in Geiselhaft der Hamas im Gazastreifen. Auch seine Frau Adi, eine Psychologin, und seine Kinder, der achtjährige Naveh und die vierjährige Yahel, wurden damals verschleppt. Mutter und Kinder kamen nach 50 Tagen durch einen Geiseldeal aber wieder frei.

Von Tal Shoham, der im Bereich Photovoltaik und als Informatiker arbeitete, gibt es aber null Informationen. Shaked Haran geht aber davon aus, dass ihr Schwager noch lebt, weil andere Geiseln gesehen hätten, wie er verschleppt wurde und offenbar körperlich unversehrt im Gazastreifen angekommen ist. Die Familie sei auch nicht, wie in anderen Fällen, von seinem Tod benachrichtigt worden.

Tal Shohams 62-jähriger Vater Gilad Korngold ist der Sohn einer Holocaust-Überlebenden aus Wien und ebenfalls österreichischer Staatsbürger. Shaked Haran kämpft an seiner Seite und muss dabei selbst verkraften, dass sie durch den Hamas-Terror ihren Vater verloren hat. Eine Tante, ein behinderter Onkel und dessen Pflegerin haben das Martyrium ebenfalls nicht überlebt.

Vom Haus ihrer Eltern im Kibbuz Beeri ist, wie Haran den SN erzählt, nur eine Ruine übriggeblieben. Die Hamas-Terroristen setzten das Gebäude in Brand, nachdem sie Tal, seine Frau und die Kinder, die gerade zu Besuch waren, gefangen genommen hatten. Shaked Haran selbst war zu dieser Zeit hochschwanger und eine Woche vor dem 7. Oktober in ihrem Elternhaus, sie entkam so dem Terror.

Auf die Frage, was Shaked Haran von ihrer Regierung erwartet und ob sie genug tut, um die Geiseln freizubekommen, reagiert sie leicht genervt. Sie sagt zwar, dass es auch eine klare Forderung der Bevölkerung an die Regierung gebe, die Geiseln nach Hause zu bringen und man darüber diskutieren könne, ob sie genug dafür tue. "Aber die realistische Sicht ist wohl eher, dass in Wahrheit die Hamas einen Geiseldeal verhindert."

Das sagt eine Anwältin, die sich selbst politisch eher links angesiedelt sieht und daher der Rechtsaußen-Regierung von Benjamin Netanjahu grundsätzlich kritisch gegenübersteht. Sie versteht aber auch das Dilemma der israelischen Führung: Neben der Befreiung der Geiseln gehe es vor allem darum, die Sicherheit der Bevölkerung auf Dauer zu garantieren. Diesbezüglich vermisst sie auch die nötige Unterstützung der Weltöffentlichkeit. "Wir wissen, was hilft, um die Geiseln zurückzubekommen. Das Wichtigste ist, dass Israel genug Unterstützung bekommt zu tun, was notwendig ist, um die Geiseln zu befreien", betont Haran und fordert mehr Rückhalt für die Israelis, auch aus Österreich.

In diesem Zusammenhang verweist sie mit Nachdruck darauf, dass es nicht zu einer Schuldumkehr kommen dürfe: "Die Hamas ist eine Terrororganisation und es war ein Terroranschlag, der in einer zivilisierten Welt nicht akzeptiert werden darf."

Was aber ist passiert? Die Welt habe, so Shaked Haran, den Terror zunächst auch verdammt. Aber es habe nicht viel mehr als eine Woche oder zehn Tage gedauert, bis plötzlich Israel zum Aggressor gemacht wurde. "Für uns ist das besonders bitter, weil wir erleben müssen, dass der Terror der Hamas mit dem 7. Oktober nicht aufgehört hat." Auf die vielen zivilen Opfer auf palästinensischer Seite angesprochen, sagt Haran: "Es ist leider zynische Realität: Je mehr zivile Opfer es durch die israelische Armee gibt, umso besser für die Hamas. Es ist ein Teufelskreislauf. Die Hamas behält die Geiseln, Israel setzt auf Gewalt. Menschen sterben, die Hamas jubelt. Wir haben das Gefühl, dass viel zu wenig Augenmerk darauf gelegt wird."

Aber wie können Israel und die Palästinenser aus diesem Teufelskreislauf herauskommen, bei all dem Misstrauen, dass die eine Bevölkerungsgruppe der anderen entgegenbringt? Shaked Haran weiß auch, dass am Ende eine Zwei-Staaten-Lösung oder ein Staat mit weitreichender Autonomie für die Palästinenser im Gazastreifen und Westjordanland stehen könnten. Aber vor allem bei der Hamas sieht sie keinen ehrlichen Willen zu Frieden. Sie wollen, wie sie meint, Israel zerstören und dass "wir abhauen". Daher ist sie überzeugt: "Vorerst muss das jetzige Kapitel abgeschlossen werden. Und die klare Botschaft muss sein, dass sich Terror nicht lohnen darf."

Vielleicht weiß ja die nächste Generation eine Antwort aus dem ewigen Drama im Nahen Osten. Der achtjährige Naveh, Sohn des entführten Tal Shoham, der selbst in Geiselhaft schwer traumatisiert wurde, hat Papst Franziskus zusammen mit seiner Familien einen Brief geschrieben. Mit der zentralen Botschaft: "Ich hoffe, die Welt vergisst nicht, dass mein Vater noch immer gefangen ist."

Tatsächlich kam ein Antwortschreiben aus dem Vatikan, handschriftlich unterzeichnet von Franziskus. Darin äußert er nicht nur sein tiefes Mitgefühl und dass er für seine Familie beten werde. Der Papst geht auch auf Zukunftswünsche des Kindes ein: "Ich habe mich besonders über die letzten Zeilen Deines Briefes gefreut, in dem Du schreibst, dass Du auch oft an die Kinder im Gazastreifen denkst und ihnen ebenfalls Frieden wünscht."

Franziskus bestätigt und ermuntert ihn auch: "Ja, Du liegst richtig, wenn Du schreibst, dass es besser ist, miteinander Fußball zu spielen statt aufeinander zu schießen. Du bist noch jung, aber Deine Worte sind sehr weise."