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Digitalgipfel in Berlin: Europa ringt bei Cloud, KI & Co. um Unabhängigkeit

Wichtige Daten liegen in der Cloud bei Google. Auf den meisten Rechnern läuft Microsoft Office. Und auch die KI wird von US-Firmen dominiert – wie kann sich Europa unabhängiger machen von den mächtigen Unternehmen?

Bei vielen Digitalisierungs- und IT-Sicherheitsthemen ist Europa von US-Softwaregiganten und US-Cloudanbietern abhängig.
Bei vielen Digitalisierungs- und IT-Sicherheitsthemen ist Europa von US-Softwaregiganten und US-Cloudanbietern abhängig.

Auf höchster politischer Ebene beraten Frankreich und Deutschland heute Dienstag, in Berlin mit den EU-Digitalministern und der EU-Kommission bei einem sogenannten Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität über dieses Thema.

Thema Digitalisierung ist Chefsache

Geplant sind Reden von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Diskussionsrunden, Vorträge und Gespräche mit Chefs europäischer Unternehmen. Für Österreich nimmt Digitalisierungsstaatssekretär Alexander Pröll (ÖVP) am Gipfel teil. Firmen wie SAP, Telekom oder Siemens sind vertreten. Erwartet werden nach Angaben des deutschen Bundesdigitalministeriums mehr als 1000 hochrangige Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der digitalen Community.

Das Thema habe wegen der äußeren Umstände eine ganz neue Priorität, hieß es aus Regierungskreisen. Es gelte nicht nur, militärisch souverän zu werden, sondern auch im digitalen Raum.

Investitionen und Kooperationen im Fokus

Im Zuge des Treffens werden zahlreiche Ankündigungen von Kooperationen und Investitionen deutscher und französischer Unternehmen in verschiedenen Bereichen erwartet. Dabei geht es etwa um Recheninfrastruktur, Quantentechnologie, Gesundheit, Verteidigung oder Drohnen.

„Von diesem Gipfel geht ein klares Signal aus: Wir Europäer können und wollen bei Schlüsseltechnologien zu den Spitzenreitern gehören“, sagte der Veranstalter, Deutschlands Digitalminister Karsten Wildberger (CDU), vorab. Deutschland und Frankreich wollten Motor für mehr europäische digitale Souveränität sein.

Die Cloud-Frage: Unabhängigkeit von US-Anbietern

Ein zentrales Thema ist der Aufbau einer europäischen Cloud-Infrastruktur für sensible Behörden- und Unternehmensdaten. Entscheiden sich Unternehmen oder Organisationen dafür, Daten in der Cloud zu speichern, landen diese momentan in der Regel auf Servern von Amazon AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud – obwohl es auch Anbieter aus Deutschland wie die Schwarz-Gruppe oder Ionos gibt.

Laut einer im Frühsommer veröffentlichten Studie des deutschen Digital-Branchenverbands Bitkom, nutzen neun von zehn deutschen Unternehmen mit mindestens 20 Mitarbeitern Cloud-Dienste. 89 Prozent der Betriebe sehen einer weiteren Bitkom-Umfrage zufolge bei sich selbst eine Abhängigkeit vom Ausland. Europa sei bei Künstlicher Intelligenz (KI), Mikroelektronik sowie bei Lösungen für Cybersicherheit und die digitale Infrastruktur technologisch abhängig, sagte Deutschlands Industriepräsident Peter Leibinger vor dem Gipfel.

Nicht nur das Wo – auch das Wie ist entscheidend

Beim Thema digitale Souveränität geht es den Europäern aber nicht nur um die Frage, von welchem Unternehmen in welchem Land die Daten gespeichert werden und wer darauf Zugriff hat. Wichtig ist auch die Frage, welche gesellschaftlichen Werte – aber auch wirtschaftlichen Interessen – in den cloudbasierten Systemen und den dort integrierten KI-Werkzeugen verankert sind. Das wirkt sich zum Beispiel bei Dokumentenzusammenfassungen, intelligenten Suchen in den Daten oder der automatischen Priorisierung wichtiger Dokumente aus.

Daten in der EU halten und Open Source stärken

Nach Angaben aus Berliner Regierungskreisen wollen Deutschland und Frankreich bei dem Gipfel die EU-Kommission gemeinsam dazu auffordern, darauf hinzuarbeiten, dass kritische Daten innerhalb der EU verbleiben müssen und Datenflüsse in der EU für die Wirtschaft vereinfacht werden. Außerdem wollen beide Seiten sogenannte Open-Source-Tools für die Verwaltung weiterentwickeln und verstärkt nutzen. Verwiesen wird hier auf Schleswig-Holstein, wo in der Verwaltung Microsoft-Programme wie Outlook, Excel oder Word durch andere Systeme ersetzt werden. Frankreich und Deutschland streben den Angaben zufolge auch eine beschleunigte Umsetzung der sogenannten EUDI-Wallet an, der EU-weiten digitalen Brieftasche, die Ende 2026, Anfang 2027 kommen soll. Eine gemeinsame deutsch-französische Taskforce soll die genannten Aktivitäten koordinieren.

Digitalisierungsstaatssekretär hofft auf Erklärung zu „Europäischer Digitaler Souveränität“

Digitalisierungsstaatssekretär Alexander Pröll (ÖVP) hofft für den Gipfel auf den Beschluss einer gemeinsamen EU-Erklärung zur „Europäischen Digitalen Souveränität“, wie er schon am Montag bekanntgab. Die in Berlin diskutierte „Declaration on European Digital Sovereignty“ geht auf eine Initiative Österreichs zurück. „Viele haben uns belächelt, als wir im September zu einem Gipfel in Wien eingeladen haben, aber alle sind nach Wien gekommen. Das hat unseren Weg bestätigt. Nun hoffe ich, dass viele Mitgliedsstaaten am 18. November in Berlin die Erklärung verabschieden“, so Pröll. Er hatte seine Amtskolleginnen und -kollegen bei einem EU-Ministerrat im Juni nach Wien eingeladen. Der Einladung folgten EU-Kommissarin Henna Virkkunen sowie die Staatssekretäre Portugals und der Slowakei, während die restlichen 24 EU-Amtskollegen per Video zugeschaltet waren.

Pröll: „Digitale Souveränität ist Sicherheitspolitik“

„Digitale Souveränität ist Sicherheitspolitik, Innovationspolitik und Demokratiepolitik zugleich. Wir handeln jetzt – entschlossen, national und europäisch und mit klarem Ziel: eine Europäische Erklärung zur digitalen Souveränität bis Ende des Jahres“, unterstrich Pröll im Vorfeld des Berliner Gipfels. „Digitale Souveränität ist kein technisches Detail, sondern eine Frage der politischen Selbstbestimmung.“

Mit dem Schlagwort „Digitale Souveränität“ sind die Bemühungen gemeint, die massive Abhängigkeit Europas insbesondere von amerikanischen IT-Konzernen wie Meta, Alphabet, Apple oder Microsoft zu verringern. Geräte und Anwendungen dieser Unternehmen dominieren den europäischen Markt, was die Durchsetzung von europäischen Bestimmungen in den Bereichen Datenschutz, Sicherheit und Kampf gegen Desinformation schwierig macht.

Aufbau eigener Kapazitäten im digitalen Bereich gewünscht

EU-Kommissarin Virkkunen hatte nach dem Treffen in Wien betont, dass die EU auch im digitalen Bereich eigene Kapazitäten aufbauen müsse, ähnlich wie bei der kritischen Infrastruktur oder wichtigen Rohstoffen. „Technologische Souveränität bedeutet nicht, dass wir alles selbst machen wollen, sondern dass wir immer selbst entscheiden, mit wem wir zusammenarbeiten und sicherstellen, dass Abhängigkeiten nicht gegen uns verwendet werden“, sagte die finnische Politikerin.

Der portugiesische Digitalisierungsstaatssekretär Bernardo Correia hatte gesagt, dass die digitale Souveränität auch in wirtschaftlicher Hinsicht sehr wichtig sei. „Wir möchten unsere Werte in Software gießen“, gab Correia als Ziel aus. Sein slowakischer Kollege Radoslav Štefánek hatte dazu aufgerufen, im Ausland arbeitende europäische IT-Experten zur Rückkehr zu ermutigen, um „einen Mehrwert für die europäische Digitalstrategie zu schaffen. Nur die junge Generation kann wirklich die Zukunft ändern“.