Russland hat in Syrien gerade eine Niederlage zu verkraften: Machthaber Baschar al-Assad ist weg, und damit auch der russische Zugang zum Mittelmeer. Welche Konsequenzen sehen Sie bei diesen Vorgängen für den Krieg in der Ukraine? Andrzej Duda: Der Rückzug aus Syrien zeigt uns: Russland kann nicht an zwei Fronten Krieg führen. Wladimir Putin war nicht mehr imstande, Assad zu unterstützen, und hat Syrien opfern müssen.
Befürchten Sie, dass Russland aufgrund des Rückzugs aus Syrien die Offensive in der Ukraine verstärkt? Das glaube ich nicht. Russland hat nicht die nötigen Ressourcen dafür. Wenn wir nach den Gründen für den Rückzug aus Syrien suchen, spielt die Angst vor dem künftigen amerikanischen Präsidenten eine große Rolle. Russland versucht sich offensichtlich für mehrere Szenarien zu wappnen und militärische Ressourcen bereitzustellen.
Polen ist ein Nachbarstaat der Ukraine, wie präsent ist der Krieg bei Ihnen? Der Ukrainekrieg ist nach wie vor eine Gefahr für Polen. Schon mehrmals haben Raketen unseren Luftraum verletzt, eine ist bisher auf polnischem Boden eingeschlagen. Es gibt nach wie vor eine Reihe russischer Provokationen im Ostseeluftraum: Da Polen bei der Luftraumverteidigung der drei baltischen Staaten mitmacht, fliegen unsere oder alliierte Militärjets praktisch täglich dorthin, um die Russen aus diesem Luftraum - den polnischen miteingeschlossen - zu vertreiben. Zudem sind viele Flüchtlinge aus der Ukraine zu uns gekommen, im Moment sind es noch knapp eine Million. Viele Polen haben diese Menschen bei sich zu Hause aufgenommen und viele helfen ihnen auch heute noch. Ich bin sehr stolz auf meine Landsleute, wie sie ihre Herzen und ihre Häuser geöffnet haben.
Sie sind einer der wenigen Staatspräsidenten in Europa, die den künftigen US-Präsidenten Donald Trump schon während seiner ersten Amtszeit erlebt haben. Was halten Sie von seiner Ankündigung, den Krieg in der Ukraine möglichst rasch zu beenden? Donald Trumps Denkweise ist untypisch für einen Politiker, aber er ist gleichzeitig sehr klar in seinen Einschätzungen. Er denkt sehr logisch und praktisch. Aber wenn er über seine künftigen Pläne spricht, sagt er nicht klar, welche Methoden er in Zukunft anwenden wird. Er tut das, weil er sich nicht in die Karten blicken lassen will.
Sind Sie entspannt, wenn Sie auf seine zweite Präsidentschaft blicken? Ja. Wir kennen uns, wir sind uns schon oft persönlich begegnet und haben uns ausführlich unterhalten. Er kam 2017, während seiner ersten Präsidentschaft, nach Polen und später habe ich ihn drei Mal im Weißen Haus besucht. Im April dieses Jahres hatten wir ein längeres Gespräch in New York. Ich warte ganz beruhigt darauf, bis er wieder im Amt ist. Ich glaube, es gibt nur zwei Präsidenten auf der Welt, vor denen Wladimir Putin wirklich Angst hat: vor dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und Donald Trump.
Warum? Weil Donald Trump ein starker Mann ist. Er kann Entscheidungen treffen - und hat in seinem Leben schon viele wichtige getroffen. Oft wurden in deren Folge große Investitionen getätigt. Er hat große ökonomische Erfahrung. Und für Putin sind seine künftigen Entscheidungen nicht abzuschätzen.
Sie glauben also nicht, dass Trump die Ukraine im Stich lässt - wie das viele in Europa befürchten? Präsident Trump zählt und rechnet. Er weiß sehr wohl, wie viel die USA in die Ukraine politisch investiert haben, während seiner letzten Präsidentschaft, aber auch in den vergangenen vier Jahren. Ich glaube nicht, dass er solche Investitionen einfach so aufgeben wird. Wenn meine Amtskollegen im Gespräch Befürchtungen äußern, was Trump in der Ukraine machen wird, lächle ich und sage: Versucht einmal Trump etwas wegzunehmen, was er als sein Interesse sieht.
Donald Trump hat auch angedeutet, dass er sich aus der Nato zurückziehen könnte. Für Polen ist die Nato besonders wichtig. Sind Sie diesbezüglich auch so entspannt? Man muss den Zeitpunkt und die Hintergründe für Donald Trumps Drohungen anschauen und sich vergegenwärtigen, wie er auf die Welt schaut. Sein ganzes Leben lang hat er Geschäfte gemacht. Wenn er jetzt wieder das Präsidentenamt übernimmt, dann stehen für ihn die amerikanischen Interessen, respektive jene der amerikanischen Steuerzahler, im Vordergrund. Gleichzeitig will er sicherstellen, dass die USA eine gewichtige Weltmacht bleiben - und das können sie nur, wenn sie reich sind. Jedes Fass hat einen Boden. Deshalb will Trump, dass jeder für seine Sicherheit und Verteidigung zahlt.
Dient Trumps Drohung nur dazu, dass die Europäer endlich mehr in ihre Verteidigung investieren? Wenn Donald Trump vom Austritt aus der Nato spricht, meint er, dass er nicht die Kosten für die Verteidigung jener Länder tragen will, die selbst nicht dafür zahlen wollen. Aber es gibt auch noch eine andere Dimension in dieser Frage, und das ist ein Paradox: Jene Länder, die keine zwei Prozent für ihre Verteidigung aufwenden, treten für europäische Autonomie ein. Ich möchte ja wissen, wie Europa sich so verteidigen soll.
Sprechen Sie von Deutschland und Frankreich? Ich sage es so: Wenn alle Mitgliedsstaaten der EU vier Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt, Anm.) aufwenden würden - einen Wert, den Polen in diesem Jahr sogar übertroffen hat -, dann könnten wir uns vielleicht selbst ohne die USA gegen Russland verteidigen. Mit nur zwei Prozent haben wir keine Chance.
Wie lautet Ihr Argument, um Ihre europäischen Kollegen zu überzeugen? Wir sind in Zeiten wie im Kalten Krieg. Russland führt heute wieder aggressive, imperialistische Politik. Wie damals droht uns Russland mit Atomwaffen. Westeuropa, angeführt von den USA, hat den Kalten Krieg gewonnen und die damalige UdSSR besiegt, ohne einen Schuss abzufeuern. Sowjetrussland konnte den Wettbewerb im Kalten Krieg wirtschaftlich nicht gewinnen. Damals haben alle Nato-Staaten mindestens drei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgegeben.
Wenn wir die Sicherheitsfragen ernst nehmen und Russland stoppen wollen, müssen wir dahin zurück.
Heißt das, dass Sie sich keine grundsätzlichen Sorgen um die Nato machen? Nein. Aber ich glaube, dass die Nato lebendig bleiben muss. Sie muss nicht nur dynamisch reagieren, sondern auch die Handlungen ihrer Gegner antizipieren. Russland lässt nicht nur seine Muskeln spielen, sondern es bedroht Europa auch mit Aggression. Aber dann muss Russland spüren, dass die Nato eine eiserne Faust hat und es ein sehr schlechtes Ende für das Land nehmen wird.
Deswegen sollte die Nato sich an die Umstände anpassen: nicht nur durch größere Verteidigungsausgaben, sondern auch die Ausarbeitung von Verteidigungsplänen, gegenseitige Abstimmung der Waffenproduktion, mehr militärische Manöver und Ausbau der Infrastruktur.
Sie sind noch sehr jung, wenn Sie im Sommer nach zehn Jahren als Präsident abtreten. Haben Sie Pläne für die Zeit danach? Wir werden sehen. Heute geht es für mich vor allem darum, dass ich meine Pflichten als Präsident erfülle. Bis zum letzten Amtstag will ich meinen Landsleuten dienen, ich wurde schließlich dafür gewählt.
* Dieses Interview ist in abgeänderter Form zuerst in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) erschienen.