Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte in einer Pressekonferenz nach seinem Treffen mit den Staats- und Regierungschefinnen- und chefs, er hoffe, dass diese heute eine positive Entscheidung treffen würden, um der Ukraine mit Mitteln aus eingefrorenen Vermögenswerten zu helfen. "It´s a big deal", das sei eine große Sache, betonte er. Wofür die Gelder verwendet würden, könne später entschieden werden. Er erneuerte aber seine Wünsche nach mehr Geld für Waffen, die sein Land weiterhin dringend brauchen würde. Heute "sind wir nahe an dieser wichtigen Entscheidung", zeigte er sich optimistisch. Er dankte auch seinen EU-Partnern für das 19. Sanktionspaket und US-Präsident Donald Trump und den USA für die Sanktionen gegen den russischen Öl- und Gassektor.
Einwände zur Nutzung russischer Vermögen
Der deutsche Kanzler Friedrich Merz zeigte sich zur Nutzung der russischen Vermögen optimistisch, dass der EU-Gipfel einer Lösung näher kommt. Auch EU-Ratspräsident Antonio Costa äußerte sich optimistisch. Es gebe allerdings ein paar ernst zu nehmende Einwände, über die die 27 EU-Staats- und Regierungschefs sprechen müssten, räumte Merz ein. Besonders Belgien, wo der überwiegende Teil der russischen Gelder liegt, verlangt Garantien gegen mögliche Klagen. Während die EU-Regierungen auch den Weg für das 19. Sanktionspaket gegen Russland frei machten, gab es Lob für die neuen US-Sanktionen.
Die von der EU-Kommission und Merz vorgeschlagene Nutzung des russischen Vermögens für einen Kredit über 140 Milliarden Euro für die Ukraine steht im Zentrum der Beratungen in Brüssel. Der Ukraine sollen damit die Militärausgaben der kommenden zwei oder drei Jahre finanziert werden. Am Vormittag nahm der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der als Kritiker des EU-Kurses gilt, nicht an den Beratungen in Brüssel teil.
Belgien nennt Bedingungen
Belgien knüpft die Zustimmung zu einem 140-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine aus russischem Vermögen an drei Bedingungen. Noch sehe er keine Rechtsgrundlage für eine solche Entscheidung, betonte Ministerpräsident Bart De Wever. Belgien spielt eine Schlüsselrolle, da der Finanzdienstleister Euroclear, der einen Großteil des russischen Geldes verwahrt, dort seinen Sitz hat.
De Wever forderte eine vollständige Vergemeinschaftung des Risikos von Klagen sowie Garantien. Alle EU-Mitglieder müssten ihren Beitrag leisten, falls das Geld zurückgezahlt werden müsse. Zudem müsse jedes Land, das Vermögenswerte mobilisiert habe, im gleichen Tempo voranschreiten. "Wir sind die Einzigen, Euroclear ist das einzige Finanzinstitut, das die unerwarteten Gewinne an die Ukraine weitergibt", sagte De Wever. "Wir wissen, dass es in anderen Ländern, die sich dazu immer ausgeschwiegen haben, riesige Mengen an russischem Geld gibt." Dies gehört allerdings oft nicht der russischen Nationalbank wie bei Euroclear, sondern russischen Oligarchen.
Russland droht mit Gegenmaßnahmen
Russland warnte die EU vor einer "direkten Konfiszierung" seines eingefrorenen Vermögens. Jede Maßnahme der EU zur Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte auf Euroclear-Konten werde eine "schmerzhafte Reaktion" Russlands nach sich ziehen, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa. Allerdings haben Merz und die EU-Kommission stets betont, dass es sich nicht um eine Enteignung handle. Vielmehr soll die Ukraine über ein kompliziertes Verfahren einen Milliardenkredit erhalten. Zurückzahlen müsste sie diesen erst, wenn Russland nach einem Kriegsende Reparationen für die Schäden in dem 2022 überfallenen Land zahlt.
Selenskyj bat die europäischen Verbündeten auf der Online-Plattform X eindringlich darum, die Lieferung von Waffen mit größerer Reichweite in die Ukraine zu ermöglichen. "Diese Langstreckenwaffen gibt es nicht nur in den USA - auch einige europäische Länder verfügen über sie, darunter Tomahawks", sagte er beim EU-Gipfel. Deutschland hat die Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von etwa 500 Kilometern, die die Ukraine seit langem fordert - bisher ohne Erfolg. Selenskyj verwies darauf, wie nervös Putin geworden sei, als die Debatte über die Tomahawks losgegangen sei. "Er weiß, dass Langstreckenwaffen wirklich den Verlauf des Krieges verändern können."
EU winkt 19. Sanktionspaket durch
Abseits der Frage der russischen Gelder einigten sich die EU-Staaten auch auf ein 19. Sanktionspaket gegen Russland wegen des Ukraine-Überfalls. Es enthält unter anderem ein Einfuhrverbot für russisches Flüssigerdgas (LNG). Die Maßnahmen umfassen zudem einen neuen Mechanismus zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit russischer Diplomaten. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte, das Paket richte sich unter anderem gegen russische Banken, Krypto-Börsen sowie Unternehmen in Indien und China. Betroffen sind etwa zwei große chinesische Raffinerien und Chinaoil Hong Kong, eine Handelssparte von PetroChina. Diese verarbeiten importiertes russisches Öl. Gemeinsam mit den G7-Staaten versucht die EU, Russlands Mittel zur Finanzierung seines Krieges in der Ukraine weiter zu schmälern, indem sie die für Moskau lebenswichtigen Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung kürzt.
Lob für US-Sanktionen
Auch die US-Regierung hatte nach monatelangem Zögern am Mittwoch überraschend Sanktionen gegen den russischen Öl- und Gassektor verhängt. Selenskyj. "Die amerikanischen Sanktionen sind auch sehr wichtig, und dies ist ein gutes Signal an andere Länder der Welt, sich den Sanktionen anzuschließen." Auch Bundeskanzler Stocker begrüßte die jüngsten US-Sanktionen gegen die russische Ölindustrie. "Es ist ein Schritt, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen", sagte der Kanzler. Man habe gesehen, dass bisherige Schritte nicht ausgereicht hätten, um einen Sinneswandel bei Russlands Präsident Wladimir Putin für ernsthafte Friedensverhandlungen herbeizuführen.
Stocker verlangte im Zusammenhang mit den neuen Russland-Sanktionen der EU weiter eine "vernünftige und faire Lösung" für die Raiffeisen Bank International (RBI). "Es wäre verwunderlich, wenn wir eine europäische Firma, ein Unternehmen aus Europa, aus Österreich, schlechter stellen als einen russischen Oligarchen im Einflussbereich von Putin", sagte Stocker bei seiner Ankunft in Brüssel. Österreich hat dem 19. Sanktionspaket der EU gegen Russland allerdings trotz dieser Vorbehalte zugestimmt.
Verteidigung aller Land-, Luft- und Seegrenzen der EU ist sicherzustellen
"Der Europäische Rat verurteilt die Verletzung des Luftraums mehrerer Mitgliedstaaten und betont, wie wichtig es ist, die Verteidigung aller Land-, Luft- und Seegrenzen der EU sicherzustellen. Die unmittelbaren Bedrohungen an der Ostflanke der EU und die Bereitstellung konkreter Unterstützung für die Mitgliedstaaten müssen vorrangig angegangen werden", heißt es im Abschnitt der Schlussfolgerungen zur Verteidigung. Zentrale Punkte der "Roadmap für Verteidigung" der EU-Kommission sind die Drohnenabwehr mittels der "Europäischen Drohnen-Verteidigungsinitiative".
Der Europäische Rat habe eine Bestandsaufnahme der Arbeiten vorgenommen, die darauf abzielen, die Verteidigungsbereitschaft Europas bis 2030 entscheidend zu verbessern. Die Entschlossenheit, "dieses Ziel zügig und in großem Umfang zu erreichen", wird bekräftigt. Europa müsse "autonom, koordiniert und mit einem 360°-Ansatz auf unmittelbare und künftige Herausforderungen und Bedrohungen reagieren" können. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Auswirkungen auf die europäische und globale Sicherheit stellten "eine existenzielle Herausforderung für die Europäische Union" dar.
Erste Projekte sollen 2026 starten
Der Europäische Rat würdigt die bereits von den Mitgliedstaaten geleistete Arbeit und fordert sie auf, die Bildung von Fähigkeitskoalitionen in allen vorrangigen Bereichen bis Ende des Jahres abzuschließen und konkrete Projekte voranzutreiben, die in der ersten Hälfte des Jahres 2026 gestartet werden sollen. Die Arbeit sollte sich insbesondere auf Projekte zur Verbesserung der Fähigkeiten zur Drohnenabwehr und zur Luftverteidigung konzentrieren. Der Gipfel will auch die Rolle der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) stärken, und hier bis Ende des Jahres konkrete Vorschläge des Rates sehen. Die Rolle der EDA auch im Verhältnis zur NATO sorgte zuletzt für viele Diskussionen.
Nach der Verteidigung befassen sich die EU-Spitzen mit der Wettbewerbsfähigkeit. Ratspräsident Costa kündigte heute an, für 12. Februar einen informellen Sondergipfel zu dem Thema einzuberufen. Eine heiße Debatte ist hier bei den EU-Klimazielen zu erwarten: Die Entscheidung müssen zwar die EU-Umweltminister fällen. Mehrere Länder - darunter Österreich - hatten jedoch gefordert, dass sich davor die EU-Chefs mit dem Thema befassen, da dieses "viele Facetten" habe. Die Klimaabsätze sind Teil des sehr ausführlichen Kapitels der Schlussfolgerungen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und zum Abbau der Bürokratie.
Stocker: Wettbewerbsfähigkeit Voraussetzung für Klimaziel
Bundeskanzler Stocker betonte vor Beginn des EU-Gipfels die Wettbewerbsfähigkeit als Voraussetzung für die Klimaziele. Beim Eintreffen im EU-Ratsgebäude sagte Stocker: "Wir dürfen nicht das eine oder das andere im Auge haben, wir müssen beides sehen." Beim EU-Gipfel werde man sich nicht auf Zahlen festlegen, vielmehr werde man diskutieren, unter welchen Bedingungen man die Klimaziele erreichen wolle.