NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte die Rückeroberung. "Das zeigt, dass die Ukrainer Fortschritte machen und in der Lage sind, die russischen Kräfte zurückzudrängen", sagte er dem US-Sender NBC. Möglich gemacht hätten dies auch die Waffenlieferungen durch die USA und andere Staaten. Somit sei eine Fortsetzung der militärischen Unterstützung der Ukraine auch die beste Antwort auf die illegale Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin äußerte sich ebenfalls positiv zu den jüngsten Erfolgen der Ukraine. Aktuell entwickelten sich die Kampfhandlungen positiv für die ukrainische Armee, sagte er am Sonntag im Nachrichtensender CNN. Es sei schwer, den weiteren Verlauf vorherzusagen, schränkte er ein. "Aber ich würde sagen, dass egal, in welche Richtung sich das entwickelt, wir den Ukrainer so lange wie nötig Sicherheitsunterstützung gewähren werden", betonte er.
Selenskyj telefonierte am Sonntag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dabei bekräftigte er die Entschlossenheit Frankreichs, der Ukraine bei der Wiederherstellung ihrer vollen Souveränität und territorialen Integrität zu helfen und mit seinen europäischen Partnern auf neue Sanktionen hinzuarbeiten, teilte der Élyséepalast mit. Macron will am morgigen Montag bei einem Besuch in Berlin mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz über weitere Schritte beraten. Es zeichnet sich eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ab. In einer konzertierten Aktion zitieren die EU-Staaten die russischen Botschafter ins Außenministerium. Am Montagvormittag wird so auch der russische Missionschef in Wien, Dmitrij Ljubinskij, im Außenamt vorstellig werden müssen.
Die ukrainische Armee hatte am Samstag Lyman umzingelt und mehrere tausend russische Soldaten eingekesselt - später gab das russische Verteidigungsministerium den Rückzug aus der Stadt bekannt. Die Rückeroberung Lymans ist der erste größere militärische Sieg der Ukraine in den am Freitag von Russland annektierten Gebieten. Kreml-Chef Wladimir Putin hatte die vom Westen als völkerrechtswidrig bezeichnete Annexion der Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson am Freitag vollzogen.
Mit der Annexion hatte die russische Führung klargemacht, dass sie Angriffe auf diese Regionen künftig als Angriffe auf russisches Staatsgebiet betrachten werde. Für diesen Fall hatte die Nummer zwei des russischen Sicherheitsrates, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, mit dem Einsatz "strategischer Atomwaffen" gedroht.
Russlands Verfassungsgericht gab der eklatanten Völkerrechtsverletzung am Sonntag erwartungsgemäß seinen Segen. Die Aufnahme in die Russische Föderation stehe im Einklang mit der Verfassung, teilte das Gericht am Sonntag in St. Petersburg der Staatsagentur TASS zufolge mit. Am Montag will die Duma mit der Ratifizierung der Beitrittsverträge beginnen.
Die Staatspräsidenten von neun NATO-Ländern in Mittel- und Osteuropa äußerten indes Unterstützung für den NATO-Beitrittswunsch der Ukraine. In einer gemeinsamen Erklärung bekannten die Staatschefs von Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Nordmazedonien, Montenegro, Rumänien und der Slowakei, dass sie die russischen Versuche zur Annexion ukrainischen Territoriums "niemals anerkennen" werden und riefen die NATO-Verbünden auf, "ihre Militärhilfe für die Ukraine erheblich zu erhöhen".
Ukrainische Truppen starteten nach Angaben aus Moskau auch eine Offensive im Süden des Landes. Sie sollen dabei viele Verluste erlitten haben. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums vom Sonntag wurde etwa im Gebiet Mykolajiw und der Ortschaft Andrijiwka im Gebiet Cherson gekämpft. Dabei seien mehr als 240 ukrainische Soldaten getötet und 31 Panzer zerstört worden. Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich in der Regel gar nicht oder nur schwer überprüfen. Auch bei Kämpfen an anderen Orten in dem angegriffenen Land seien viele Ukrainer gestorben, hieß es aus Moskau.
Zudem berichtete das russische Verteidigungsministerium von einem Angriff auf ein Büro des ukrainischen Geheimdienstes im Gebiet Dnipropetrowsk. Dabei sollen nach Angaben aus Moskau mehr als 35 Mitarbeiter getötet worden sein, darunter auch Ausländer. Details wurden nicht genannt.