Zudem wurde Europa zu mehr Selbstbewusstsein aufgefordert. Nicht zuletzt wegen seines ökonomischen Potenzials brauche es sich nicht verstecken, meinte etwa Van der Bellen. "Also, mein Appell ist Einigkeit, Stärke und Unabhängigkeit Europas." Das gelte etwa auch hinsichtlich der aus seiner Sicht irregeleiteten Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump. "Zölle bremsen die Wirtschaft statt sie zu fördern", dozierte der ehemalige Wirtschaftsprofessor, allenfalls "sichern sie auf kurze Frist Arbeitsplätze, aber nicht auf Dauer." Hingegen würde lediglich Unsicherheit gesät.
Der Angriffskrieg der russischen Führung auf die Ukraine oder der Konflikt in Nahost wiederum habe auch international Gräben aufgerissen, analysierte der Bundespräsident. Zudem gebe es weltweit mehr Konflikte denn je im 80-jährigen Bestehen der UNO. Partner, auf die man sich jahrzehntelang verlassen konnte, seien weggebrochen.
"Multilateralismus in der Krise"
Der Multilateralismus als Eckpfeiler der Demokratie sei in die Krise geraten. Gerade deshalb sei es aber wichtig, 80 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen Events wie die alljährliche UNO-Generaldebatte zu vielen Gesprächen zu nutzen, ohne "um die ganze Welt reisen zu müssen", sagte der Bundespräsident und verwies darauf, dass er in New York auch Treffen mit Vertretern aus afrikanischen oder karibischen Staaten absolviert habe.
Gerade der Ukraine-Krieg zeige aber, dass ein selbstbewusstes Europa wichtig sei. Allein die Europäische Union stelle immerhin eine Bevölkerung von mehr als 500 Millionen Menschen. Gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich und anderen Nicht-EU-Mitgliedern biete das ein entsprechendes Wirtschaftspotenzial.
Russland wiederum sei zwar flächenmäßig riesengroß, verfüge aber nur über rund 150 Millionen Einwohner und eine nicht zuletzt wegen der wegen des Kriegs verhängten Sanktionen schwächelnde Wirtschaft. "Russland hat ein Bruttoinlandsprodukt, das zwischen Spanien uns Italien liegt", führte Van der Bellen an. "Wovor fürchten wir uns?" Das Budget der EU sei inklusive des Vereinigten Königreichs rund zehnmal so groß. Fazit: "Ich wünsche mir ein einiges und selbstbewusstes Europa."
"Signal an Palästinenser"
Bezüglich des Nahost-Konflikts sagte Van der Bellen, die von unter anderem von Frankreich Präsident Emmanuel Macron am Montag einberufene Tagung zur Palästinafrage sei ein wichtiges "Signal an die Palästinenser" gewesen. "Wir haben euch nicht vergessen. Uns ist nicht egal, was in Gaza passiert, was im Westjordanland passiert." Dass Österreich im Gegensatz zu Frankreich und anderen Staaten Palästina als eigenen Staat bisher nicht anerkannt habe, liege auch der eigenen Geschichte und der historischen Verantwortung, die auch das Land wegen des Holocausts trage. Damit "müssen wir sehr bewusst und vorsichtig umgehen".
Er sei ein Freund Israels, unterstrich Van der Bellen und präzisierte: "Des Staats." Das heiße aber nicht, dass er jede Maßnahme des israelischen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanyahu unterstütze. Meinl-Reisinger erklärte dazu, dass die Erinnerung an die Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegen Israel "noch immer lebendig" seien und "niemanden kalt lassen". Doch sei auch Israel aufgefordert, das Völkerrecht einzuhalten. Die humanitäre Situation im Gazastreifen sei verheerend.
Stocker: "herausfordernde Zeiten"
Auch Stocker verwies darauf, dass die Weltgemeinschaft in New York in "herausfordernden Zeiten" zusammengekommen sei. Abgesehen von Konflikten wie jenen in der Ukraine oder in Nahost und weiteren Krisenherden habe es in den vergangenen Jahren auch Rückschritte in den Bereichen "Rechtsstaatlichkeit" oder "Demokratie" gegeben. Es mache mitunter den Eindruck, dass die Vereinten Nationen gescheitert seien und ihren Zenit erreicht oder überschritten hätten. Dagegen gelte es anzukämpfen. Daher seien Orte wie das UNO-Hauptquartier in New York wichtig, um Gespräche zu führen. "Auch mit jenen, die andere Interessen und Narrative" vertreten. "Es ist wichtig, einander zuzuhören, auch wenn man nicht einer Meinung ist."
Es gelte, die regelbasierte Weltordnung unter Beweis zu stellen, forderte der Bundeskanzler. "Wir befinden uns an einer Weggabelung", formulierte Stocker angesichts der Zunahme von Autokratien auf dieser Welt. "Wir müssen unsere Freiheiten verteidigen. Demokratien gehen dann unter, wenn sie von Demokraten nicht mehr verteidigt werden." Gerade deshalb gelte es aber im Dialog zu bleiben, nannte Stocker China als Beispiel. Er habe am Dienstag den chinesischen Ministerpräsidenten getroffen. "Wir brauchen Kooperation, China ist unser wichtigster Wirtschaftspartner in Asien." Es gehe um einen "fairen" Wettbewerb im "beiderseitigen Interesse".
"UNO spürbar unter Druck"
Auch Meinl-Reisinger führte an, dass die UNO spürbar unter Druck sei. Das liege aber nicht an den Vereinten Nationen als solche, erklärte die Außenministerin und meinte: "Namhafte Mitglieder treten die Werte und Rechtsnormen der UN mit Füßen", sagte sie in Anspielung auf Russland unter Präsident Wladimir Putin und die USA unter Donald Trump. Angesichts der weltweit hohen Zahl von gewalttätigen Konflikten, "die so so groß ist wie schon lange nicht", verstehe sie aber, dass sich sehr viele Menschen die Frage stellen, ob die UNO nicht nur "ein elitärer, abgehobener diplomatischer Quatschklub" sei. Umso wichtiger sei es, konkrete Taten folgen zu lassen.
Österreich setze sich aber für eine Welt ein, in der "die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren" dominiere. Die UNO sei als Institution wichtig, weil dort eben "jedes noch so kleine Land" eine Stimme habe. Dass Österreich auch zu den "nicht so großen Ländern" der Welt zählt, orteten Van der Bellen, Stocker und Meinl-Reisinger dann auch als Atout für die Bewegung um einen nicht ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat 2027/28.
Slogan "Partnerschaft, Dialog, Vertrauen"
Der für die Bewerbung gewählte Slogan "Partnerschaft, Dialog, Vertrauen", spiegle auch wider, welche Werte Österreich in den Vereinten Nationen vertreten würden, lobte Van der Bellen. Daher habe er in der hochrangigen Woche auch immer das Gefühl, Wertschätzung zu erfahren. "Wir sind hier keine Pariah." In weiterer Folge trafen der Bundespräsident samt Bundeskanzler und Außenministerin am Mittwoch noch mit UNO-Generalsekretär António Guterres zusammen.
Die Sicherheitsratskandidatur war bei dem Meeting wohl auch ein Thema, nicht zuletzt weil Guterres aus Portugal stammt. Das Land auf der Iberischen Halbinsel will ebenfalls 2027/28 in den Sicherheitsrat und ist neben Deutschland der dritte Konkurrent um die in dieser Bewerbungsgruppe zu vergebenden zwei Plätze im höchsten UNO-Gremium.