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Studenten und die Türkei-Krise: "Nichts wird mehr wie früher sein"

Die Türkei kommt einfach nicht zur Ruhe: der Militärputsch, Massenentlassungen von Professoren an türkischen Universitäten, das Referendum für ein Präsidialsystem. Drei Studierende erzählen, was sie von der Krisensituation in der Türkei halten.

Die Türkei kommt seit Monaten nicht zur Ruhe (Symbolbild).
Die Türkei kommt seit Monaten nicht zur Ruhe (Symbolbild).

Der Lärm aneinanderschlagender Töpfe und Pfannen hallt durch die Straßen Istanbuls. Tausende Menschen demonstrieren, schwenken Plakate und Fahnen, skandieren "Dieb, Mörder, Erdogan". Die Demonstranten lehnen sich gegen das erfolgreiche Referendum für ein Präsidialsystem auf. Sie sind wütend, fühlen sich von der türkischen Wahlkommission betrogen und ihrer Rechte beraubt. Die Entwicklungen in der Türkei werden von vielen Beobachtern kritisch bewertet. Auch die Salzburger Studentin Lara H., die ihr Auslandssemester in der türkischen Hauptstadt absolvierte, findet dies bedenklich. Wie es zu diesem Wahlergebnis gekommen ist, ist für sie fragwürdig. Besonders schwer ist es, für sie zu verstehen, wie Personen, die in Österreich oder Deutschland in einer Demokratie leben, für ein Präsidialsystem in der Türkei stimmen können. Ipek O., Studentin aus Istanbul, verbringt ihren Erasmusaufenthalt in Salzburg und zeigt sich erschüttert: "Ich denke das neue System hilft Erdogan entscheidend in seiner Regierungsweise. Jetzt muss er den Willen des Volkes nicht mehr beachten. Das ist keine Demokratie mehr. Es macht mich traurig, wenn ich über die Zukunft meines Landes nachdenke."

Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft?

Es stellt sich die Frage, wieso Erdogan dennoch derart viele Stimmen erlangen konnte. Lara H. sieht hier die Zwei-Klassen-Gesellschaft des Landes als mögliche Ursache. So findet der Präsident ihrer Meinung nach vor allem in den ärmeren Teilen des Landes Zuspruch. "Er hat angefangen, diesen Personen eine Stimme zu geben und auf sie zu schauen. Es gibt dann extrem viele Leute, die hinter ihm stehen, weil sie endlich mal jemand gehört hat." Ipek O. findet weitere mögliche Erklärungen für den Wahlausgang: "Erdogan und seine Partei nutzen den Islam als Werbung. Religiöse Menschen, die sich früher ausgegrenzt fühlten, haben nun das Gefühl, der Präsident verteidige ihre Ansichten und lässt sie wieder Mensch sein." Auch in seiner starken Persönlichkeit, sowie in seinem selbstsicheren Auftreten, sieht die Studentin mögliche Gründe für einen Anschluss an Erdogan. Anja H., die sich in ihrem Studium der Politikwissenschaften unter anderem mit der Türkeikrise beschäftigt, hat ähnliche Gedanken: "Ich glaube, die Jungen wählen Erdogan, weil sie ihn als einen charismatischen Mann ansehen, der ihnen das Gefühl gibt, gehört zu werden."

Es gibt also durchaus Argumente, die den Wahlausgang rechtfertigen. Dennoch erwägen die Studentinnen, dass bei der Wahl getrickst wurde. "Ich glaube nicht, dass es bei der Abstimmung ganz so mit rechten Dingen zugegangen ist", meint Lara H. Die Erasmusstudentin Ipek O. liefert sogar eine mögliche Erklärung, wie es zur Abgabe von Betrugsstimmen kommen konnte: "Viele AKP Wähler, haben nicht für das Referendum gestimmt. Das System wurde jedoch geändert, sodass auch Stimmen ohne Stempel angenommen wurden." Sie findet es überraschend, dass dadurch Stimmen ohne Stempel zu Stimmen für das Referendum wurden. Für Anja H. bedeutet der knappe Wahlausgang, dass "viele Menschen einfach trotzdem sehr unzufrieden sind".

Was bedeutet das Votum für die Studenten?

Doch was zieht dieses Votum nun für die Studenten in der Türkei nach sich? Lara bekam die Ausmaße der Erdogan-Regierung bereits vor dem Referendum zu spüren. Nachdem die regierungskritische Zeitung "Zaman" von der Regierung gestürmt und unter Zensur gestellt wurde, war sie sich sicher, man würde an der Universität darüber sprechen. Dies geschah allerdings nicht - und sie wies ihren türkischen Professor darauf hin. Er entgegnete ihr, dass alle Professoren, die es sich angemaßt haben, kritisch über Erdogan zu berichten, nun im Gefängnis säßen.

Auch die Studenten scheinen keine Kraft mehr zu haben, sich gegen den Präsidenten zu erheben. "Ich hatte das Gefühl, dass sich unter den Studierenden niemand mehr damit beschäftigen will. Sie versuchen ihr Leben weiter zu leben", entgegnet Lara H. Nachdem friedliche Proteste zum Schutz des Gezi-Parks brutal von der Regierung niedergeschlagen wurden, scheint sich die Lage noch zu verschlimmern. Ipek O. erzählt: "Ich glaube nicht, dass die neue Politik nur mich als Studentin beeinflussen wird, viel mehr die gesamte Türkei. Die Kunst stirbt. Die Wissenschaft stirbt. Nichts wird mehr wie früher sein. Aber ich habe Hoffnung, vielleicht können sich ja manche Dinge ändern."

Dieser Beitrag wurde von Studenten der Universität Salzburg im Rahmen einer Lehrredaktion in Kooperation mit den "Salzburger Nachrichten" erstellt.

Autoren: Stephanie Mosshammer-Facinelli, Niklas Pahl, Paula L. Trautmann