Die dauernde Flüchtlingskrise hat in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Serie von politischen Gewalttaten geführt - im Abstand von wenigen Tagen kommt es zu Attacken, insbesondere Brandanschlägen, auf geplante oder neue Asylunterkünfte. Oder zu Ausschreitungen im öffentlichen Raum. In Österreich ist die Lage an der kriminalistischen Front dagegen ruhig. Das könnte laut einer Studie eine seltsame Ursache haben: Den Erfolg der FPÖ. Aber warum?
In Salzburg keine Gewalttaten registriertAber der Reihe nach: Beim Salzburger Landesamt für Verfassungsschutz heißt es, man habe im Bundesland noch keine rechtsextrem motivierte Gewalt gegen Flüchtlinge registriert. "Warum, ist schwer zu sagen. Vielleicht ist die Stimmung einfach nicht so aufgeheizt wie in Deutschland", sagt ein hoher Beamter.
Körperliche Gewalt gab es auch bundesweit selten. Nur Anfang April geriet die Vorarlberger Gemeinde Alberschwende in die Schlagzeilen - dort versuchten mehrere Männer in ein Asylheim einzudringen, verletzten einen Mann und schlugen eine Fensterscheibe ein. Sie wurden ausgeforscht.
Ganz anders die Lage bei den Deutschen Nachbarn: Hier sind tätliche Angriffe mit fremdenfeindlichem Hintergrund an der Tagesordnung.
Sozialer Friede dank FPÖ?Warum ist also politische Gewalt in Deutschland Realität, in Österreich derzeit keineswegs? Der Salzburger Politologe Reinhard Heinisch weiß von einer aktuellen Studie, welche eine überraschende mögliche Antwort liefert. Einfach gesagt: Österreich könnte seinen relativen sozialen Frieden der FPÖ verdanken.
"Eine aktuelle englischsprachige Studie hat den Zusammenhang untersucht, der zwischen starken rechtspopulistischen Parteien und rechtsextremer Gewalt besteht", berichtet der Wissenschaftler. "Und diesen Zusammenhang scheint es tatsächlich zu geben. In der Form, dass in Ländern ohne starke Rechtsparteien die Gewalt häufiger vorkommt". Deutschland oder Schweden seien in den vergangenen Jahren Beispiele dafür gewesen - denn dort fehle eine rechte Massenpartei, wie es die Freiheitlichen in Österreich seien. Die Schlussfolgerung bestehe darin, dass solche Parteien einen Großteil der politischen Frustration "kanalisieren, abfangen und ableiten", sagt Heinisch. Diese Rolle erfülle in Österreich zweifellos die FPÖ. Sie habe in diesem Sinn eine "Ventilfunktion".
Deutschnationale tun sich schwererDaneben sieht Heinisch noch andere Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland. Insbesondere täten sich "harte Rechte" hier schon deswegen schwerer, weil sie als Deutschnationale aufträten. Und in Österreich sei der Anschluss an Deutschland kein Thema mehr. "Die Leute, die nun Wut und Angst gegen Flüchtlinge empfinden, haben eher Angst um das Österreichische - Neonazis können diese Frustrierten aber schwerer abholen als in Deutschland", sagt Heinisch. Eben, weil hierzulande niemand mehr ein Großdeutsches Reich wolle. In Deutschland hätten Rechtsextreme dagegen keine Probleme, zwischen ihrer deutschnationalen Ideologie und der Angst vor Muslimen Verbindungen herzustellen. "Dort ist auch viel klarer, was man unter einer deutschen Leitkultur versteht. Was aber wäre überhaupt eine österreichische Leitkultur? Früher war diese noch vom Katholizismus geprägt, aber auch der verliert stark an Einfluss", analysiert der Politologe. Wobei sich ja eine christliche Konfession generell schlechter dafür eigne, zu Gewalt aufzurufen - jedenfalls im Österreich des 21. Jahrhunderts. Hinzu komme, dass in Österreich viele, die nun Angst vor Zuwanderung hätten, selbst ausländische Wurzeln hätten. Und mit klassischer rassistischer Ideologie nicht ansprechbar seien.
Wurzeln in der Geschichte"Dass die FPÖ eine Ventilfunktion hat, das glaube ich auch", sagt der emeritierte Wiener Soziologe Roland Girtler. Er führt aber auch die historische Dimension an: "Österreich hat schon eine stärkere Tradition, was die Aufnahme von Fremden, die Aufnahme von Flüchtlingen angeht." Man könne hier noch viel weiter zurückdenken, als nur bis zur Ungarnkrise von 1956 oder den Balkankriegen der 1990er Jahre. "Schon 1848 haben österreichische Studenten die aufständischen Ungarn gegen die Habsburger unterstützt. Ich glaube, dass solche Aspekte der Internationalität bis heute unbewusst nachwirken", sagt Girtler.
Tatsache sei auch, dass in Österreich zwar traditionell viel geschimpft werde - die Diskrepanz zwischen dem Reden und dem Handeln der Bevölkerung jedoch außergewöhnlich groß sei. Und: In Deutschland gebe es vor allem in den östlichen Bundesländern eine Klasse von "Erniedrigten", also von Modernisierungsverlierern, die anfällig für aggressive Tendenzen seien. Dasselbe gelte für Ungarn, das ebenfalls jahrzehntelang unter einer kommunistischen Diktatur gelitten habe. Umgekehrt: "Mit Bosnien hatte Österreich-Ungarn zumindest für einige Jahre ein moslemisch geprägtes Land in seinem Staatsgebiet. Auch das könnte nachwirken."





