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Alarmierende Klimadaten: Warum auch saubere Luft Europa aufheizt

Jüngste Klimadaten zeigen: Der europäische Kontinent erwärmt sich besonders stark. Dahinter steckt auch ein bisher unterschätzter Faktor.

In Europa muss man künftig nicht nur mit häufigerem Starkregen, sondern auch mit längeren Trockenphasen rechnen.
In Europa muss man künftig nicht nur mit häufigerem Starkregen, sondern auch mit längeren Trockenphasen rechnen.

Der Zustandsbericht des Klimas in Europa 2024 vom Klimawandeldienst des EU-Programms Copernicus und der Weltwetterorganisation (WMO) kam zu alarmierenden wie auch in dieser Dimension überraschenden Ergebnissen: Zum einen sticht heraus, dass sich der europäische Kontinent deutlich stärker erwärmt als der Rest der Welt. Zum Zweiten dürfte auch ein entscheidender Faktor dabei sein, dass Europa viel gegen die Luftverschmutzung getan hat. Marc Olefs, Leiter der Klimafolgenforschung bei Geosphere Austria, erklärt im SN-Gespräch, wie das zu bewerten ist und welche Folgen das hat.

Warum erwärmt sich gerade der europäische Kontinent so stark? Marc Olefs: Seit den Achtzigerjahren haben wir aus gesundheitlichen Gründen viel in die Luftreinhaltung investiert, dadurch haben wir weniger Aerosole in der Luft. Das sind feste und flüssige Schwebstoffe in der Atmosphäre, die bei Verbrennungsprozessen entstehen und die bodennah eine kühlende Wirkung haben.

Dazu kommt, dass wir seit den vergangenen 25 Jahren eine Abnahme der Bewölkung beobachten, weil Europa als Folge des Klimawandels verstärkt in den Einfluss des Subtropenhochs kommt.

Beides, also diese Abnahme der Aerosole und die Abnahme der Bewölkung, führt dazu, dass wir bodennah mehr Sonneneinstrahlung und damit mehr Energie zur Verfügung haben. Diese Energie kann aufgrund der gleichzeitig steigenden Treibhausgase schlechter ins Weltall entweichen.

Mehr Energie rein und weniger Energie raus bedeutet, dass sich die Erwärmung regional über Europa deutlich beschleunigt hat.

Hat man den Faktor einer sauberen Luft in der Klimaforschung bisher unterschätzt? Man hat jetzt vermehrt Beobachtungsdaten dazu und sieht das in den vergangenen Jahren. Bei der jetzigen Generation der Klimamodelle, die auf Europa blicken, gehen allerdings viele noch davon aus, dass die Abnahme der Aerosole deutlich langsamer vonstattengeht, als das in der Realität der Fall ist. Hier müssen wir nacharbeiten. Diese deutlich schnellere Entwicklung, die aus gesundheitlichen Gründen notwendig war, hat aber eben auch zur Folge, dass sich die Erwärmung in Europa beschleunigt und damit Wetterextreme häufiger auftreten.

Drohen da weitere Überraschungen? Wir müssen davon ausgehen, dass die Erwärmung noch einige Zeit beschleunigt weitergeht. Aber dieser Aerosoleffekt ist mehr oder weniger gedeckelt. Die Luft ist jetzt fast so sauber wie in den Fünfzigerjahren. Aber wenn man auf andere Regionen der Welt blickt, wie Südostasien, wo die Luft noch deutlich verschmutzter ist, steht dieser Prozess noch bevor. Wir erwarten dann auch dort mit einer saubereren Luft eine beschleunigte Erwärmung.

Nähern wir uns noch rascher als gedacht gefährlichen Kipppunkten, wie zum Beispiel dem Erlahmen des Golfstroms? Ja und nein. Auch in Nordamerika beobachten wir eine ähnliche Entwicklung wie in Europa, wenn auch nicht ganz so stark. Für die Kipppunkte ist aber die globale Erderwärmung von starker Relevanz. Das Kippen des Golfstromes wird insgesamt wahrscheinlicher. Letztendlich geht es immer darum: Wir müssen so rasch wie möglich global Netto-Nullemissionen erreichen. Erwärmung und Extremwetter werden so lange zunehmen, bis das tatsächlich geschehen ist.

Sie sagen eine Häufung von Wetterextremen wie Starkregen, aber auch häufigere Trockenperioden voraus. Was bedeutet das aber für die Winter, vor allem in den Alpenregionen wie Salzburg? Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Das erhöht einerseits die Gefahr von Starkregen, andererseits wird wiederum der Entzug von Bodenfeuchte begünstigt. Mehr kurzzeitige Starkregen, aber auch mehr Trockenperioden sind auch für Österreich in Studien bereits belegt, wie jüngst in einer Publikation im Fachjournal "Nature".

Sehen Sie den vergangenen trockenen Winter auch als eine Folge des Klimawandels? Die Schwankungen von einem trockenen zu einem feuchten Jahr werden durch den Klimawandel größer. Für die Winter bei uns heißt das: Vor allem unterhalb von rund 1500 Metern Seehöhe wird der technische Aufwand für die Beschneiung in den Skigebieten weiter steigen. Auch die Zeitabschnitte, in denen man einen technischen Schnee erzeugen kann, werden seltener und kürzer.

Zurück zum Anfang: Müssen wir jetzt wieder mehr die Luft verschmutzen, sprich Aerosole erzeugen? Auf keinen Fall. Die Maßnahmen zur Luftreinhaltung waren aus gesundheitlichen Gründen, denken wir nur an Atemwegserkrankungen und die hohen Folgekosten im Gesundheitssystem, absolut notwendig. Sie werden auch in anderen Gegenden der Welt notwendig sein. Der Faktor saubere Luft beim Klimawandel weist uns einfach auf die Notwendigkeit von drastischen Maßnahmen hin.