Zersplitterte Fenster, verkohlte Autos, zerbombte Häuserfassaden: Im Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut zeigt sich noch am Mittwoch ein Bild der Zerstörung. Es sind die Reste eines gezielten Angriffs inmitten des dicht besiedelten Wohnviertels. Normalerweise werden hier Gemüse und Süßwaren verkauft. Am Dienstagabend aber wurde die Gegend, die als Hochburg der vom Iran unterstützten Schiitenmiliz Hisbollah gilt, zum Ziel eines Drohnenangriffs.
Der zweithöchste Anführer der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Arouri, wurde getötet. Insgesamt kamen sieben Mitglieder der Hamas und Verbündeter ums Leben, die sich offenbar in einer Wohnung getroffen hatten. Anders als bei anderen Angriffen dieser Art gab es keine unbeteiligten Opfer.
1. Was ist der Hintergrund der gezielten Tötung?
Israel geht davon aus, dass Arouri an der Planung des verheerenden Terroranschlags am 7. Oktober im israelischen Grenzgebiet zum Gazastreifen beteiligt war. Es ist der erste ranghohe Hamas-Führer, der seit dem 7. Oktober gezielt getötet worden ist.
Israel hatte zu Beginn des Gaza-Kriegs angekündigt, man werde die militärische und politische Führungsriege der Organisation ausschalten.
Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, sagte am Mittwoch, Israel befinde sich auf dem Höhepunkt des Krieges. "Der Mossad ist heute - wie vor 50 Jahren - verpflichtet, die Rechnung mit den Mördern zu begleichen, die am 7. Oktober die Gaza-Grenzorte angriffen, auch mit den Planern und Drahtziehern."
2. Was bedeutet das Attentat für den Gazakrieg?
Die Tötung Arouris hat den Gaza-Krieg bis in die libanesische Hauptstadt getragen. Bisher war bei gegenseitigem Beschuss nur der Süden des Landes involviert. Die gezielte Tötung des Hamas-Anführers auf libanesischem Boden könnte das ändern. Denn die vom Iran unterstützte Hisbollah hat prompt mit Vergeltung gedroht: "Dieses Verbrechen wird niemals ohne Antwort oder Strafe vorübergehen", kündigte sie noch am Dienstagabend an.
Analysten betonen aber, dass es sich um einen Angriff auf einen Anführer der sunnitischen Hamas, nicht auf einen der schiitischen Hisbollah handelte. Weder die Hisbollah noch ihr größter Unterstützer, der Iran, seien bereit, sich größeren Vergeltungsmaßnahmen zu stellen, sagte der politische Analyst Makram Rabah. Nach Ansicht des Analysten Mohanad Hage Ali vom Carnegie Middle East Center ist die Hisbollah dennoch unter Zugzwang. "Angesichts der früheren roten Linien Nasrallahs und der Art des israelischen Angriffs wäre es für die Hisbollah schwierig, nicht zu reagieren."
3. Was bedeutet Arouris Tod für die Hamas?
Der palästinensische Journalist und Hamas-Kenner Mohammed Daraghmeh sieht die Tötung vor allem als Versuch Israels, im Kampf gegen die Hamas einen Erfolg zu erzielen. Bisher sei es der israelischen Armee nicht gelungen, die Hamas-Führung im Gazastreifen zu töten. "Außerdem hat Israel es nicht geschafft, die Freilassung aller Geiseln im Gazastreifen zu erlangen", sagt er.
Innerhalb der Organisation sei Arouri ersetzbar. Für die Verhandlungen um eine Freilassung der israelischen Geiseln gilt die Tötung jedoch als klarer Rückschlag. Nach dem Angriff in Beirut wurden sie vollends auf Eis gesetzt.
Die Auslandsführung der Hamas hält sich außer im Libanon vor allem in Katar und der Türkei auf. Ob Führungspersönlichkeiten wie der Hamas-Auslandschef Ismail Haniyeh nun als nächste zur Zielscheiben werden könnten, ist unklar. Katar, wo Haniyeh Unterschlupf gefunden hat, war entscheidend an vorherigen Verhandlungen über eine Freilassung der Geiseln beteiligt gewesen.
4. Wie geht es jetzt in der Region weiter?
US-Experten des Instituts für Kriegsstudien (ISW) gehen davon aus, dass der Iran und seine "Achse des Widerstands" die regionale Eskalation gegen Israel und die USA fortsetzen werden. Das wahre Ziel sei nicht Vergeltung für Israels Angriffe im Gazastreifen. Der Regierung in Teheran gehe es vielmehr um ihre langjährigen Absichten, "regionale Hegemonie zu erzielen und das US-Militär aus der Region zu verdrängen".