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Wie lang hält die Ukraine ohne US-Hilfe durch?

US-Präsident Trump streicht Kiew die Waffenhilfe. "Schmerzhaft, aber keine Katastrophe", heißt es bei Militärexperten, die sich um Gelassenheit bemühen.

Ernüchtert muss der ukrainische Präsident Selenskyj zur Kenntnis nehmen, dass die USA vorerst die Militärhilfe stoppen.
Ernüchtert muss der ukrainische Präsident Selenskyj zur Kenntnis nehmen, dass die USA vorerst die Militärhilfe stoppen.

In Kiew scheint man es geahnt zu haben. Das ukrainische Parlament wandte sich noch am Montagabend mit einer offiziellen Danksagung an Donald Trump. Im Namen des ukrainischen Volkes drückte man ihm, dem Kongress und dem amerikanischen Volk tiefe Dankbarkeit "für die konsequente Unterstützung der ukrainischen Unabhängigkeit aus", ebenso für die militärischen Hilfspakete, die mit "zur Stabilisierung der Front" geführt hätten.

Aber die Geste des guten Willens kam zu spät. Wie die "Washington Post" berichtet, haben Trump und sein außenpolitisches Team am selben Abend beschlossen, die Waffenhilfe für die Ukraine bis auf Weiteres einzustellen. Das gilt laut "New York Times" auch für bereits zugesagtes Kriegsgerät im Wert von über einer Milliarde Dollar, zum Teil schon auf dem Weg Richtung Ukraine. Erst wenn sich Kiew zu Friedensverhandlungen mit Russland verpflichtet, soll die Unterstützung wieder aufgenommen werden.
Schon nachdem Trump und sein Vize J. D. Vance den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj am Freitag aus dem Weißen Haus gemobbt hatten, machte man sich in der Ukraine auf Schlimmeres gefasst. Und die Experten diskutieren, ob und wie lange sich das Land ohne US-Hilfe militärisch über Wasser halten kann.

Einen "Le Monde"-Artikel, laut dem die Ukraine nur noch sechs Monate aushalte, bezeichnet der ukrainische Militärblogger Tatarigami UA als "Untergangsspekulation". Der Wegfall der US-Waffenhilfe erschwere die Lage, mehr ukrainische Soldaten und Zivilisten würden getötet werden. "Aber auf dem Schlachtfeld wird es keinen plötzlichen Kollaps geben."

Der ukrainische Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr soll laut dem Portal Politico etwa 50 Milliarden Euro betragen. Dabei produziert die rasant wachsende ukrainische Rüstungsindustrie laut dem ukrainischen Regierungschef Denis Schmygal 35 Prozent ihrer Waffen inzwischen selbst. Vor allem baute man vergangenes Jahr zwei Millionen Drohnen, mehr als jedes andere Land der Welt.

US-Abrams-Kampfpanzer lassen sich durch deutsche Leopard-Panzer ersetzen, US-Atacms-Raketen durch britische Storm Shadows oder französische Skalp-Flugkörper. Aber angesichts geringer europäischer Bestände und Produktionskapazitäten könnte man doch gezwungen sein, Atacms bei den Amerikanern zu kaufen - wenn diese weiter liefern wollen. Noch schmerzhafter werden die Ukrainer den Mangel an Luftabwehrraketen für die drei von den USA bereitgestellten Patriot-Batterien spüren. Damit konnten sie bisher einen Großteil der schweren ballistischen Raketen abschießen, mit denen die Russen ukrainische Städte angriffen. Auch die Daten der US-Satellitenaufklärung sind durch keine vergleichbaren europäischen Informationen zu ersetzen. Noch ist ungewiss, ob Trump künftig den Ukrainern auch diese Daten verweigert, sie könnten ebenfalls ihre elektronische Kriegsführung empfindlich beeinträchtigen.

Elon Musk und seine Starlink-Terminale gelten als verzichtbar. Laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium hat man inzwischen eigene Lösungen entwickelt. Was der Experte Serhij Beskrestnow dem Portal Defense Express über den möglichen Wegfall von Starlink sagt, gilt auch für viele andere Waffensysteme: "Schmerzhaft, aber keine Katastrophe." Die Ukrainer verweisen darauf, sie hätten wegen der Blockade im US-Kongress schon 2023/2024 ein halbes Jahr ohne US-Waffenhilfe ausgehalten. Und Wolodymyr Selenskyj sprach am Dienstag mit dem designierten deutschen Kanzler Merz telefonisch über Unterstützung, vor allem im Bereich Luftabwehr.