Der wichtigste Laufsteg der Welt befindet sich in Peking. Im sogenannten Goldenen Saal der Großen Halle des Volkes wird alle fünf Jahre chinesische Machtpolitik auf eine Weise präsentiert, die jeder versteht. Wenn sich die großen Türen öffnen und die Mitglieder des neu gewählten Ständigen Ausschusses des Politbüros vor die Presse treten, sieht man bereits an der Reihenfolge der Personen die neuen Machtverhältnisse im Land.
Vorne also schreitet der Parteivorsitzende, hinter ihm der Zweite in der Parteihierarchie, dann der Dritte und so weiter. Bis zum Siebenten, denn der Ständige Ausschuss hat auch diesmal wieder sieben Mitglieder. Chinesische Journalisten begrüßen die Machthaber mit einem kräftigen Applaus, das ist in China so üblich. Fragen dürfen nicht gestellt werden.
Aber der neue, alte Parteivorsitzende Xi Jinping liefert auch ungefragt Antworten. Dass der Aufstieg Chinas weitergehen werde. Dass der Marxismus Chinas Erfolgsrezept sei. Dass alle wachsam bleiben müssen wie Studenten vor einer Prüfung. Solche Sachen. Doch die folgenschwerste Antwort liefert Xi Jinping nicht mit Worten, sondern mit der Auswahl seiner engsten Mitarbeiter im Ständigen Ausschuss.
Die beiden letzten moderaten Vertreter eines Wirtschaftsflügels, Premierminister Li Keqiang und Wang Yang, mussten zurücktreten, ebenso zwei weitere aus Altersgründen. Damit konnte Xi Jinping vier Posten neu besetzen, nun ist er nur noch von Freunden und Jasagern umgeben.
Xi Jinping hat seine dritte Amtszeit mit einer Machtdemonstration sondergleichen eingeleitet. Am letzten Tag des Parteitages hat er einen Zwischenfall vor der Weltpresse inszenieren lassen. In aller Öffentlichkeit ließ er seinen Vorgänger Hu Jintao aus dem Saal entfernen. Angeblich aus gesundheitlichen Gründen. Der 79-Jährige ehemalige Staats- und Parteichef leistete sichtbar Widerstand, beim Hinausgehen starrten alle Delegierten mit versteinerter Miene an ihm vorbei.
Diese Botschaft Xi Jinpings hat eingeschlagen und jeder im Saal hat sie verstanden: Das alte China seiner Vorgänger gibt es nicht mehr, wer das nicht akzeptiert, fliegt raus.
Das gilt auch für hohe Tiere in der Partei. Hu Jintao gilt als letzter Vertreter der sogenannten kollektiven Führung, die nach dem Tod Mao Zedongs eingeführt wurde. Sie sollte verhindern, dass neuerlich eine einzelne Person das Schicksal des Landes entscheidet. Hu Jintao hat im Jahr 2012 gemäß dieser Regelung die Macht reibungslos und ohne Widerstand an Xi Jinping übergeben. Doch der macht jetzt Schluss mit dem Kollektiv, er will allein regieren.
Es ist nicht der einzige Regelbruch Xi Jinpings. Auch die ungeschriebene Altersregel in der Kommunistischen Partei scheint nicht mehr zu gelten. Sie lautet: mit 67 Jahren darf man noch ein Amt übernehmen, mit 68 nicht mehr. Für sich selbst hat Xi Jinping diese Regel bereits ignoriert, er ist 69 Jahre alt, und auch für andere treue Gefolgsleute werden jetzt Ausnahmen gemacht. Außenminister Wang Yi darf trotz seiner 69 Jahre weitermachen. Auch Xis persönlicher Freund aus Jugendzeiten, der Vizemilitärchef Zhang Youxia, darf als 72-Jähriger weitermachen. Hingegen scheiden Premierminister Li Keqiang und Wirtschaftsexperte Wang Yang aus, obwohl sie erst 67 Jahre alt sind.
Nächster Tabubruch Xi Jinpings ist die Bestellung von Li Qiang zur neuen Nummer zwei. Auch Li Qiang ist ein persönlicher Freund Xi Jinpings, er ist Parteichef von Schanghai. Dort hat er sich bei der Bevölkerung aber überaus unbeliebt gemacht mit einem äußerst strengen Lockdown über zwei Monate. Dass ausgerechnet er zum neuen Premierminister aufsteigen wird, verstehen in Schanghai viele Menschen nicht. Außerdem hat er keine Regierungserfahrung auf höchster Ebene, und auch die wirtschaftliche Kompetenz Li Qiangs wird angezweifelt.
All diese Tabubrüche rund um Altersgrenzen und Amtserfahrung zeigen, dass für Xi Jinping nur eines zu zählen scheint: Loyalität. Alle Mitglieder des Ständigen Ausschusses haben ihren Aufstieg Xi Jinping zu verdanken, Widerspruch ist in diesem höchsten Parteigremium kaum noch zu erwarten.
Für Xi Jinping war es ein überaus erfolgreiches Wochenende, er hat seine dritte Amtszeit bekommen. Es wird wahrscheinlich nicht seine letzte sein, denn Nachfolger ist keiner in Sicht. Alle Mitglieder des Ständigen Ausschusses sind mindestens 60 Jahre alt, also zu alt, um Xi Jinping in fünf oder zehn Jahren ablösen zu können. Der mächtigste Parteiführer seit Mao Zedong kann sich also zufrieden zurücklehnen.