"Ich bin in einer Pflegefamilie aufgewachsen und das Arbeiten war für mich nie so wirklich möglich. Erst mit Apropos habe ich es geschafft einer Tätigkeit nachzugehen", eröffnet die 55-jährige in Lehen wohnende Apropos-Verkäuferin Evelyne Aigner ihren ersten öffentlich zugänglichen Sozialen Stadtspaziergang im Saftladen. Nach einjähriger Vorlaufzeit, die die Planung des Spaziergangs, der Stationen und Stadtspaziergangsschulungen in Basel beinhaltet hatte, gibt es nun den ersten Sozialen Stadtspaziergang Salzburgs mit einer Frau.
"Es ist nicht so einfach Leute zu finden, die dazu bereit sind das zu machen," erzählt Chefredakteurin vom Apropos Michaela Gründler. Sie bewundert die Stärke von Evelyne, denn neben dem Mut der dazugehöre, habe auch nicht jeder die Kompetenz seine Geschichte zu erzählen.
"Ich finde es wichtig, dass man das erfährt. Viele können sich unter Armut nichts vorstellen" erklärt Aigner, die neben dem Stadtspaziergang und Apropos-Verkauf auch gemeinsam mit ihrem Mann Georg Apropos-Botschafterin für Schulen, Kindergärten und Gruppen ist.
Rückblick auf ein bewegtes Leben mit Tiefen und Höhen
Authentisch und ungeschönt schilderte Aigner den Teilnehmenden an verschiedenen Stationen ihre Lebensgeschichte und wie sie schließlich bei der Salzburger Straßenzeitung landete. Als Kind einer alkoholkranken Mutter verbrachte sie die ersten vier Monate ihres Lebens im Krankenhausheim. Über eine Pflegefamilie in Kuchl und weiteren Heimaufenthalten im Jugendalter, landete sie schließlich in der Stadt Salzburg und erhielt mit 18 Jahren ihr erstes Zimmer in der Saalachstraße. Nach einer Verwarnung wegen Betrugs und einer späteren dreijährigen Bewährungsstrafe aufgrund einer Einbruchsserie mit ihrem Exmann fand sie schließlich über den Saftladen 1999 zu der Straßenzeitung Apropos und begann ihren Weg als Verkäuferin. Die Arbeit gefalle ihr bis heute, so Aigner.
Evelyne und Georg Aigner: Eine Liebe, die über die Haft hielt
Im Mai 1999 lernte sie ihren heutigen Ehemann Georg Aigner am Hauptbahnhof kennen und lud ihn kurz darauf ein, zu ihr zu ziehen. Jedoch saß Georg bald darauf wegen einem Raubüberfall eine Haftstrafe in der Justizanstalt Graz-Karlau ab. Sieben Jahre wartete sie auf ihn. Dabei kamen über 2000 Briefe zusammen. Nach der Haft ging Georg auch zu Apropos und bot bald darauf den ersten sozialen Stadtspaziergang Salzburgs an. 2007 heirateten sie im Marmorsaal im Schloss Mirabell und hielten ihre Hochzeitsfeier im "Schmankerl" in der Glockengasse ab, das auch eine der Stationen von Evelynes Aigners Spaziergang ist.
Ein Spaziergang für die Sichtbarkeit von Armut
"Wir möchten Menschen in der Armut sichtbar machen" erklärt Gründler über die Straßenzeitung und auch die sozialen Stadtspaziergänge. Apropos hat momentan 100 aktive Verkaufende. Für die Straßenzeitung sei es wichtig, dass auch die Verkaufenden ihre eigene Geschichte erzählen können. Der Soziale Stadtspaziergang "Spurwechsel" findet ab jetzt jeden Donnerstag nach voriger Reservierung bei Apropos von 9.30 bis 11 Uhr statt. Startpunkt ist der Saftladen in der Schallmooser Hauptstraße.
Als nächstes steht bei Apropos die Ausstellungseröffnung "Apropos: Perspektivenwechsel" am Mittwoch, 28.Juni, um 16 Uhr im Hotel Sacher an, die gemeinsam mit den Lehrlingen des Hotels gestaltet wurde.



