Die Vereinten Nationen haben vorige Woche vor den verheerenden Auswirkungen der Gletscherschmelze auf die weltweite Wasserversorgung gewarnt. Eine im Februar veröffentlichte Studie der Forschungsinitiative "Glacier Mass Balance Intercomparison Exercise", kurz GlaMBIE, zeigt: Die Gletscher verlieren weltweit durchschnittlich 273 Milliarden Tonnen Eis im Jahr. Was der Durchschnittswert nicht zeigt: In den vergangenen zehn Jahren nahm der Verlust deutlich zu. Allein 2023 und 2024 haben die untersuchten Gletscher rund fünf Prozent ihres Gesamtvolumens verloren. Die Studie belegt zudem, dass seit 2020 in keiner Weltregion so viel Gletschereis verloren ging wie in den Alpen.
In Deutschland gibt es noch vier Gletscher, sie liegen alle in Bayern: der Nördliche Schneeferner und der Höllentalferner auf dem Zugspitzmassiv sowie der Watzmanngletscher und das Blaueis in den Berchtesgadener Alpen. Einer, der deren Schwund seit rund 20 Jahren wissenschaftlich dokumentiert, ist Christoph Mayer von der Forschungsgruppe Erdmessung und Glaziologie an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. "Langfristig wird es keinen der vier Gletscher mehr geben", sagt der Glaziologe. Die Gletscher im Zugspitzmassiv würden "ein bisschen länger durchhalten" - vor allem, weil sie etwa viermal so groß und deutlich dicker sind wie wie die Gletscher in den Berchtesgadener Alpen.
Watzmanngletscher hat noch Fläche von 4,7 Hektar
Der Watzmanngletscher - er liegt in einem Kessel unterhalb der Watzmann-Mittelspitze - erstreckte sich bei der jüngsten Vermessung im Herbst 2023 über eine Fläche von 4,7 Hektar. Die Dicke des Eises lässt sich nicht exakt bestimmen, betrug vor eineinhalb Jahren aber etwa sieben bis acht Meter und nahm damit seit 2018 um rund einen halben Meter ab. "Der Watzmanngletscher liegt geschützt in einer schattigen Mulde", erklärt Mayer und ergänzt: "Inzwischen ist ungefähr die Hälfte der Gletscherfläche unter Schutt begraben." Die Felssteine, die von der Ostwand heruntergefallen sind, bieten einen weiteren Schutz vor dem wärmeren Klima. Der Wissenschaftler glaubt, dass sich die Fläche des Watzmanngletschers zunächst nicht mehr wesentlich verkleinern wird. "Das Eis wird erst vertikal abschmelzen."
Um das Blaueis - es liegt an der Nordseite des Hochkalters - steht es schlechter. "In den 1990er Jahren bestand es vermutlich noch aus einem zusammenhängenden Eisfeld, aber jetzt zergliedert es sich in seine Einzelteile", sagt Mayer. Der untere Teil sei von Schutt bedeckt und der obere Teil liege im Schatten unter den Nordwänden des Hochkalters, "doch der mittlere Teil schmilzt schnell weg". Im Herbst 2023 erstreckte sich das Blaueis über eine Fläche von 4,2 Hektar. Das Eis hatte eine Dicke von fünf bis sechs Metern. "Zwischen 2018 und 2023 sind rund 3,30 Meter abgeschmolzen", berichtet der Glaziologe.
Watzmanngletscher hat in 125 Jahren 83 Prozent seiner Fläche verloren
Wie dramatisch der Schwund des Eises ist, zeigt auch ein Blick auf Vermessungsdaten aus dem späten 19. Jahrhundert - die ältesten, die für die beiden Gletscher in den Berchtesgadener Alpen vorliegen. Demnach bedeckte das Blaueis im Jahr 1889 eine Fläche von rund 16 Hektar. "Es hat also bis Herbst 2023 ungefähr drei Viertel seiner Fläche verloren", rechnet Mayer vor. Der Watzmanngletscher schrumpfte sogar noch mehr: Er erstreckte sich im Jahr 1897 noch über eine Fläche von rund 28 Hektar. "Er hat damit 83 Prozent seiner Fläche verloren." Rasant schreitet das Abschmelzen beider Gletscher vor allem seit dem Jahr 2000 voran.
Christoph Mayer und ein Kollege wollen die Gletscher diesen Herbst erneut vermessen - mit Hilfe eines Tachymeters. "Wir messen den Umriss und viele weitere Punkte ein, sodass wir Fläche und Höhe bestimmen können", erläutert der Forscher. Früher hätten die Vermessungen alle fünf Jahre stattgefunden, "aber jetzt wollen wir in kürzeren Abständen wissen, wie es mit den Gletschern weitergeht".