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Berchtesgadener Alpen: Dramatischer Rückgang der Gletscher

Eine neue Studie zeigt, dass die Gletscher immer rasanter schmelzen - weltweit, aber vor allem in den Alpen. Glaziologe Christoph Mayer weiß, wie es um Watzmanngletscher und das Blaueis steht.

Das Blaueis zergliedert sich in seine Einzelteile. Im Herbst 2023 erstreckte es sich über eine Fläche von 4,2 Hektar. 
Das Blaueis zergliedert sich in seine Einzelteile. Im Herbst 2023 erstreckte es sich über eine Fläche von 4,2 Hektar. 
Der Watzmanngletscher erstreckte sich im Herbst 2023 über eine Fläche von 4,7 Hektar; ungefähr die Hälfte ist unter Schutt begraben.
Der Watzmanngletscher erstreckte sich im Herbst 2023 über eine Fläche von 4,7 Hektar; ungefähr die Hälfte ist unter Schutt begraben.

Die Vereinten Nationen haben vorige Woche vor den verheerenden Auswirkungen der Gletscherschmelze auf die weltweite Wasserversorgung gewarnt. Eine im Februar veröffentlichte Studie der Forschungsinitiative "Glacier Mass Balance Intercomparison Exercise", kurz GlaMBIE, zeigt: Die Gletscher verlieren weltweit durchschnittlich 273 Milliarden Tonnen Eis im Jahr. Was der Durchschnittswert nicht zeigt: In den vergangenen zehn Jahren nahm der Verlust deutlich zu. Allein 2023 und 2024 haben die untersuchten Gletscher rund fünf Prozent ihres Gesamtvolumens verloren. Die Studie belegt zudem, dass seit 2020 in keiner Weltregion so viel Gletschereis verloren ging wie in den Alpen.

In Deutschland gibt es noch vier Gletscher, sie liegen alle in Bayern: der Nördliche Schneeferner und der Höllentalferner auf dem Zugspitzmassiv sowie der Watzmanngletscher und das Blaueis in den Berchtesgadener Alpen. Einer, der deren Schwund seit rund 20 Jahren wissenschaftlich dokumentiert, ist Christoph Mayer von der Forschungsgruppe Erdmessung und Glaziologie an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. "Langfristig wird es keinen der vier Gletscher mehr geben", sagt der Glaziologe. Die Gletscher im Zugspitzmassiv würden "ein bisschen länger durchhalten" - vor allem, weil sie etwa viermal so groß und deutlich dicker sind wie wie die Gletscher in den Berchtesgadener Alpen.

Watzmanngletscher hat noch Fläche von 4,7 Hektar

Der Watzmanngletscher - er liegt in einem Kessel unterhalb der Watzmann-Mittelspitze - erstreckte sich bei der jüngsten Vermessung im Herbst 2023 über eine Fläche von 4,7 Hektar. Die Dicke des Eises lässt sich nicht exakt bestimmen, betrug vor eineinhalb Jahren aber etwa sieben bis acht Meter und nahm damit seit 2018 um rund einen halben Meter ab. "Der Watzmanngletscher liegt geschützt in einer schattigen Mulde", erklärt Mayer und ergänzt: "Inzwischen ist ungefähr die Hälfte der Gletscherfläche unter Schutt begraben." Die Felssteine, die von der Ostwand heruntergefallen sind, bieten einen weiteren Schutz vor dem wärmeren Klima. Der Wissenschaftler glaubt, dass sich die Fläche des Watzmanngletschers zunächst nicht mehr wesentlich verkleinern wird. "Das Eis wird erst vertikal abschmelzen."

Um das Blaueis - es liegt an der Nordseite des Hochkalters - steht es schlechter. "In den 1990er Jahren bestand es vermutlich noch aus einem zusammenhängenden Eisfeld, aber jetzt zergliedert es sich in seine Einzelteile", sagt Mayer. Der untere Teil sei von Schutt bedeckt und der obere Teil liege im Schatten unter den Nordwänden des Hochkalters, "doch der mittlere Teil schmilzt schnell weg". Im Herbst 2023 erstreckte sich das Blaueis über eine Fläche von 4,2 Hektar. Das Eis hatte eine Dicke von fünf bis sechs Metern. "Zwischen 2018 und 2023 sind rund 3,30 Meter abgeschmolzen", berichtet der Glaziologe.

Watzmanngletscher hat in 125 Jahren 83 Prozent seiner Fläche verloren

Wie dramatisch der Schwund des Eises ist, zeigt auch ein Blick auf Vermessungsdaten aus dem späten 19. Jahrhundert - die ältesten, die für die beiden Gletscher in den Berchtesgadener Alpen vorliegen. Demnach bedeckte das Blaueis im Jahr 1889 eine Fläche von rund 16 Hektar. "Es hat also bis Herbst 2023 ungefähr drei Viertel seiner Fläche verloren", rechnet Mayer vor. Der Watzmanngletscher schrumpfte sogar noch mehr: Er erstreckte sich im Jahr 1897 noch über eine Fläche von rund 28 Hektar. "Er hat damit 83 Prozent seiner Fläche verloren." Rasant schreitet das Abschmelzen beider Gletscher vor allem seit dem Jahr 2000 voran.

Christoph Mayer und ein Kollege wollen die Gletscher diesen Herbst erneut vermessen - mit Hilfe eines Tachymeters. "Wir messen den Umriss und viele weitere Punkte ein, sodass wir Fläche und Höhe bestimmen können", erläutert der Forscher. Früher hätten die Vermessungen alle fünf Jahre stattgefunden, "aber jetzt wollen wir in kürzeren Abständen wissen, wie es mit den Gletschern weitergeht".

"Die Gletscher in den Berchtesgadener Alpen wird es in zehn Jahren nicht mehr geben."
Christoph Mayer
Glaziologe

Was der Glaziologe glaubt, was ihn angesichts auch zuletzt milder Winter bei der Vermessung im Herbst erwartet wird? "Beim Blaueis rechne ich damit, dass die mittleren Eisfelder deutlich kleiner geworden sind; die waren das letzte Mal schon sehr mager", sagt der Forscher. Der Watzmanngletscher werde wohl "ein bisschen dünner sein". "Es könnte sein, dass an Stellen, die 2023 schon sehr dünn waren, inzwischen die Felsen am Boden zu sehen sind."

Weil die beiden Gletscher in den Berchtesgadener Alpen ohnehin schon sehr klein sind, hat deren Schmelze keine größeren Auswirkungen mehr. "Nur das Mikroklima ändert sich ein wenig", sagt Christoph Mayer. Die Gletscher kühlen ihre Umgebung im Sommer etwas weniger ab. Für den Forscher hat das Verschwinden des ewigen Eises vor allem eine emotionale Komponente. "Die letzten Gletscher der Berchtesgadener Alpen werden verschwinden", bedauert er. "Ein paar Jahre geben wir ihnen noch, aber wir erwarten nicht, dass es den Watzmanngletscher und das Blaueis in zehn Jahren noch geben wird."

Daniel Hrassky von der erklärt den Weg zum ewigen Eis

Wer die schnell schmelzenden Gletscher noch einmal sehen will, der muss Kondition mitbringen. Die Tour zum Blaueis beginnt in Ramsau - entweder im Ortsteil Hintersee oder an der Pfeifenmacherbrücke. In zweieinhalb beziehungsweise drei Stunden ist von hier aus die Blaueishütte über einfache ("blaue") Bergwanderwege zu erreichen. Von der Hütte aus geht es bis zum Blaueis noch einmal eine halbe bis drei Viertelstunde bergauf. "Der Weg ist dann schwerer und zum Schluss geht es weglos bis unter den Gletscher, aber es besteht keine Absturzgefahr", erklärt Daniel Hrassky vom Vorstand der DAV-Sektion Berchtesgaden. Das Blaueis liegt an der Nordseite des Hochkalters, eingebettet zwischen Blaueisspitze (2480 Meter), Hochkalter (2607 Meter) und Kleinkalter (2513 Meter).

"Auf dem Weg zu den Gletschern besteht keine Absturzgefahr"
Daniel Hrassky
DAV-Sektion Berchtesgaden

Die Tour zum Watzmanngletscher beginnt an der Wimbachbrücke in Ramsau oder am Wanderparkplatz Hammerstiel in der Hinterschönau. Von hier aus geht es circa zwei Stunden auf einem einfachen ("blauen") Bergwanderweg zur Kührointalm und von dort aus dann nochmals knapp zwei Stunden zuerst auf einem mittelschweren ("roten") Bergwanderweg weiter hinauf ins Watzmannkar und zum Schluss weglos in einen Kessel unterhalb der Watzmann-Mittelspitze, wo sich der Gletscher befindet. Es ist ratsam, ausreichend Verpflegung mitzunehmen, denn nach der Kührointalm gibt es keine weitere Hütte mehr.

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