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Demenz geht alle an

Eine Demenzerkrankung ist immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft. Dabei werden die Menschen, die an Demenz erkranken, mehr.

Im Tageszentrum Puch wird gelacht, gespielt und geplaudert. Auch an Demenz erkrankte Menschen können hier den Tag verbringen.Bild: sw/Hilfswerk Salzburg
Im Tageszentrum Puch wird gelacht, gespielt und geplaudert. Auch an Demenz erkrankte Menschen können hier den Tag verbringen.Bild: sw/Hilfswerk Salzburg
Ulrich Gsenger beim einem der Beratungsgespräche mit Angehörigen.
Ulrich Gsenger beim einem der Beratungsgespräche mit Angehörigen.

Demenz betrifft immer mehr Menschen - auch in Salzburg. Laut dem Demenzbericht des Gesundheitsministeriums leben österreichweit bereits 115.000 bis 130.000 Menschen mit einer demenziellen Erkrankung, und die Zahl steigt weiter.

Eine Diagnose stellt den Alltag der Betroffenen und ihrer Angehörigen komplett auf den Kopf. "Wir müssen auf unsere Oma aufpassen wie auf ein kleines Kind", erzählt eine Frau. Ihre Großmutter sitzt oft still lächelnd auf einer Bank oder gießt hingebungsvoll den Blumenstock vorm Haus. "Der hat jeden Tag Hochwasser", schmunzelt die Enkelin. Überraschende Momente gehören dazu, wie der Tag, an dem die Großmutter klagte: "Mein Gesicht brennt." Da bemerkte die Enkelin, dass sie sich mit Zahnpasta statt mit Gesichtscreme eingecremt hatte.

Frühe Diagnose kann Fortschreiten der Demenz verzögern

Über Demenz zu sprechen, fällt vielen Angehörigen schwer. Ihren Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. "Demenz ist nach wie vor ein Tabuthema", beobachtet Ulrich Gsenger, der lange in der Altenbetreuung gearbeitet hat und das Tageszentrum der Diakonie in Aigen sowie die Demenzberatung Salzburg leitet. Er bietet Workshops und Schulungen im ganzen Land an - für Angehörige, aber auch für Bankmitarbeitende und Seniorenvereine. Sein Ziel: Aufklärung und Hilfe im Umgang mit der Krankheit. "Demenz ist aktuell nicht heilbar", erklärt Gsenger. Eine frühe Diagnose kann immerhin das Fortschreiten verzögern; zuerst sollte jedoch eine Psychologin oder ein Psychologe andere Ursachen wie Depression ausschließen. Wird Demenz bestätigt, können Medikamente, regelmäßige Spaziergänge, kleine Aufgaben im Alltag oder das Erzählen von Erlebnissen helfen, um das Fortschreiten hinauszuzögern.

Sobald eine Demenz diagnostiziert wird, können Betroffene Pflegegeld beantragen. Das österreichische Pflegesystem unterscheidet sieben Pflegestufen, die sich nach dem tatsächlichen Betreuungsaufwand richten. Bei Demenz wird bereits ab Pflegestufe 1 ein Erschwerniszuschlag von 45 Stunden gewährt, um dem erhöhten Betreuungsbedarf Rechnung zu tragen. Mit steigendem Pflegebedarf - etwa bei fortgeschrittener Demenz - erhöhen sich sowohl die Pflegestufe als auch das Pflegegeld. Zusätzlich gibt es Zuschläge für Ersatzpflege, damit Angehörige auch einmal Urlaub machen oder im Krankheitsfall entlastet werden können.

Mit der Krankheit geht viel Selbstständigkeit verloren. Deshalb rät Gsenger zu offener Kommunikation und rechtzeitiger Vorsorgevollmacht, damit Betroffene über Pflege und Unterbringung möglichst lange selbst entscheiden können. So wird nicht nur die betroffene Person entlastet, sondern auch die Familie.

Demente Menschen sind nicht dumm, sie vergessen nur viel

Oft können Betroffene ihre Demenz lange verbergen, sodass der Gedächtnisverlust und die Orientierungslosigkeit für die Angehörigen unerwartet kommen. "Sie sind nicht dumm. Sie vergessen nur vieles", betont Gsenger. Wenn die Mutter plötzlich die Wäsche mit den Händen wäscht und sagt: "Ich habe so wenig. Eine Waschmaschine einschalten, zahlt sich nicht aus", werden alltägliche Dinge wie eine Waschmaschine bedienen, die Gabel greifen oder das eigene Haar frisieren zu schwer zu bewältigenden Herausforderungen. Lob und Erfolgserlebnisse werden dadurch rar - ein täglicher Kraftakt für alle Beteiligten.

Viele Konflikte entstehen aus Missverständnissen in der Kommunikation oder falsch verstandener Hilfe. "Es hilft niemandem, wenn beim Wassereingießen vieles verschüttet wird, den Krug aus der Hand zu reißen und es zu übernehmen", sagt Gsenger. Es seien nur Wasserflecken, die leicht entfernt werden können. Wenn man etwas möchte, empfiehlt Gsenger, ruhig und ehrlich Sorgen zu äußern, etwa: "Bitte geh zum Arzt, ich mache mir Sorgen um dich." Wenn sie "arbeiten", wie etwa auf der gleichen Stelle am Tisch rubbeln, bedankt sich Gsenger immer für die Hilfe.

Oft ist es für Ehepartner, Kinder und Enkelkinder nicht so einfach, weil sie emotional verwoben sind. "Ich muss zusehen, wie mein Vater langsam stirbt", sagen etwa die Kinder. Einige Familienmitglieder wollen das Vergessene durch Übungen zurückholen. Das kann zu Aggressionen führen, weil es für die Betroffenen einfach nicht mehr machbar ist.

"Diskutieren ist sinnlos"

Barbara Bachler aus Abtenau betreute zwölf Jahre lang ihre demente Mutter und schrieb darüber das Buch "Die fabelhafte Welt meiner Mama. Leben mit Demenz. Begleiten ohne Burn-out". Sie lernte, dass Diskutieren sinnlos ist: "Je mehr ich mich auf ihre Welt eingelassen habe, desto angenehmer wurde der Alltag." So bestärkte sie ihre Mutter auch, wenn diese aus dem Bett heraus von 40 gebackenen Schnitzeln erzählte. Wichtig sind kurze, klare Sätze: "Mama. Damma essen."

Bachler prägte die Zeit mit ihrer Mutter: "Ich habe in diesen zwölf Jahren von ihr mehr gelernt als je zuvor. Dafür bin ich dankbar." Auch die Pflege ihres durch einen Unfall veränderten Bruders war für sie ein Lernprozess: "Ich bin froh, dass uns das Umfeld unterstützt und Großartiges geleistet hat. Für mich war es wichtig, einen eigenen Weg im Alltag zu finden."

Für Kinder und Partner ist Demenz oft ein Trauerprozess, weil das Verstehen und gesellschaftliche Regeln nach und nach verloren gehen. Lange Erklärungen helfen dann nicht mehr. Seit Ulrich Gsenger mit Demenzkranken arbeitet, hinterfragt er viele Erwartungen: "Warum soll man nicht mit den Fingern essen, wenn es einfacher ist?" Demente Menschen hören auf ihr Bauchgefühl. Daher empfiehlt Gsenger: "Nehmen Sie es an und lachen Sie. Das tut beiden gut: Ich bin nett. Du bist nett. Das mag ich."


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