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Lehmhaus in Traunstein: Ein einzigartiges Projekt für nachhaltiges Bauen

Der Campus St. Michael in Traunstein macht vor, wie die Zukunft des Bauens aussehen könnte. Auf dem Gelände entsteht - nach den Plänen der Laufener Architektin Anna Heringer - der erste freitragende Lehmbau Deutschlands.

Die Laufener Architektin Anna Heringer realisiert in Traunstein den ersten freitragenden Lehmbau Deutschlands.
Die Laufener Architektin Anna Heringer realisiert in Traunstein den ersten freitragenden Lehmbau Deutschlands.
Das „Lehmhaus“ steht. Medienvertreter und Interessierte durften sich schon mal ein Bild vom Baufortschritt machen.
Das „Lehmhaus“ steht. Medienvertreter und Interessierte durften sich schon mal ein Bild vom Baufortschritt machen.
Die „Lehmhaus“-Architekten (v.r.): Anna Heringer, Martin Rauch und Hans Romstätter.
Die „Lehmhaus“-Architekten (v.r.): Anna Heringer, Martin Rauch und Hans Romstätter.

Im Sommer 2025 soll das voraussichtlich rund 19,9 Millionen Euro teure "Lehmhaus" fertig sein; aktuell läuft der Innenausbau. Das zentrale Campusgebäude ist imposant: rund 70 Meter lang und 55 Meter breit, ein- und zweistöckig. Die eine Hälfte des Hauses ist ein freitragender Lehmbau und besteht innen wie außen aus rund einen Meter dicken Stampflehmwänden, die ein Betondach tragen - einmalig in Deutschland. Die andere Hälfte ist ein Hybridbau: Betonwände in einer Lehmschale.

Die Stiftung Studienseminar St. Michael hat das Bauwerk nach den Plänen von Anna Heringer aus Laufen errichtet; sie gilt als Vorreiterin des nachhaltigen Bauens und realisiert auf der ganzen Welt Projekte. Ihre anfänglichen Pläne sahen vor, dass das Campusgebäude komplett aus Lehm ist und eine Holzdecke bekommt. Doch Kompromisse blieben nicht aus - um den Kostenrahmen nicht zu sprengen, die erforderlichen Baugenehmigungen zu bekommen und so letztlich das Lehmhaus überhaupt Wirklichkeit werden zu lassen. "Lehm ist ein Baustoff, für den es in Deutschland noch keine Regeln gibt", erklärt die Architektin.

"Lehm ist in Sachen Langlebigkeit sogar Beton überlegen"

So hätte zum Beispiel das Fraunhofer-Institut nicht daran geglaubt, dass die Stampflehmwände auf der Wetterseite dauerhaft Regen und Schnee trotzen würden und dort eine Betonwand vorgeschrieben. Die Lehmhaus-Architekten - neben Anna Heringer sind das noch Martin Rauch aus Vorarlberg sowie Hans und Johannes Romstätter aus Traunstein - wissen, dass das Wetter dem Lehm nicht ernsthaft etwas anhaben kann. "Er wird nur ein wenig erodieren, das ist aber einkalkuliert", sagt Heringer und ergänzt: "Lehm hat eine Haltbarkeit von mehreren hundert Jahren und ist in Sachen Langlebigkeit sogar Beton überlegen."

Für Anna Heringer ist Lehm sowieso der "Champion" unter den Baustoffen: "Er ist das einzige Baumaterial, das man von der Natur entnehmen kann und ohne Zusätze als tragendes Bauelement, für Böden oder Lehmputz verwenden kann." Lehm ließe sich ohne jeden Qualitätsverlust beliebig oft recyceln und wieder in die natürlichen Kreisläufe zurückführen; er ist auch nach seiner Verwendung im Bau kein Sondermüll. Zusätzlich ist das Material weltweit und in Fülle vorhanden - "gratis von der Natur geschenkt".

Inklusives Café, Second-Hand-Spielzeugladen und vieles mehr im Lehmhaus

In Traunstein hatte man vor, das Aushubmaterial gleich für den Neubau zu verwenden. Doch weil es in Bayern keine Fabrik gibt, die Lehm stampfen könnte, kamen die fertigen Lehmblöcke - sie wiegen zusammengerechnet 1450 Tonnen - aus der Lehmfabrik von Martin Rauch in Vorarlberg. In Traunstein setzte man sie nur noch übereinander. "Das Lehmhaus strahlt schon jetzt eine beruhigende Kraft aus", findet Heringer. Der Baustoff habe archaischen Charakter. "Im Lehmhaus fühlst du dich beinahe umarmt von der Erde."

Das zentrale Campusgebäude wird nach seiner Fertigstellung unterschiedliche Akteure zum Thema Nachhaltigkeit beherbergen: unter anderem ein inklusives Café und einen Second-Hand-Spielzeugladen, beides betrieben von der Caritas, Beratungsräume der Katholischen Frühförderstelle, Büros der Stiftung St. Michael sowie einiger Campus-Partner wie dem Schulpastoralen Zentrum oder der medienpädagogische Fachstelle Q3.

Eine Attraktion wird der größtenteils öffentlich zugängliche Dachgarten mit Pavillon und "Kunstbox" des Kunstverein Traunstein sein - ein Ort zum Durchatmen. Eine moderne Interpretationen des Kreuzgangs mit kontemplativen Nischen zum Arbeiten findet sich im Erdgeschoss und lädt zum Lesen und Sinnieren sein. Größere Arbeitslandschaften mit Bibliotheksatmosphäre, modern ausgestattete Besprechungsräume sowie Seminar- und Veranstaltungsräume ergänzen die Möglichkeiten der Zusammenkunft.

Ein Ort, um Modelle zukunftsfähigen Lebens zu entwickeln

Bis Frühjahr 2027 wird die Erzdiözese München und Freising das 44.000 Quadratmeter große Areal des Studienseminars St. Michael in Traunstein zu einer innovativen Bildungseinrichtung weiterentwickeln. Der Campus St. Michael soll ein Ort sein, an dem Menschen zusammen Modelle zukunftsfähigen Lebens entwickeln und ausprobieren. Hierfür entstehen auf dem Gelände in nachhaltiger Bauweise Gebäude, Konzepte, Projekte und Veranstaltungen, die "erlebbar machen, wie es auch sein könnte", führt Wolfgang Dinglreiter, der Leiter der Stiftung und des Studienseminars St. Michael, aus.

Zwei von drei Neubauten auf dem Campus sind schon fertig. Die "KinderGärtnerei St. Oswald" - ein aus Holz gebautes, mit begrüntem Dach gestaltetes und von einem pflanzenreichen Garten umgebenes Gebäude - ist seit Herbst 2021 in Betrieb; sie bietet Platz für 100 Mädchen und Buben von drei bis sechs Jahren. Die Baukosten lagen bei 4,6 Millionen Euro, drei Millionen übernahm die Stadt Traunstein.

Gesamtkosten aller Maßnahmen: rund 45,7 Millionen Euro

Seit Sommer ist auch das Studienseminar St. Michael fertig, das Platz für 40 bis 50 Internatsschüler bietet. Unter dem Neubau, der größtenteils aus Holz besteht, befindet sich die neue Campus-Tiefgarage. Die Baukosten betrugen rund 15,4 Millionen Euro. Voraussichtlich im Herbst 2025 wird die Sanierung des denkmalgeschützten Altbaus aus dem Jahr 1929 starten; Ziel ist es auch, das Gebäude wieder in die ursprüngliche Kreuzform zu bringen. Die Baukostenobergrenze liegt bei 14,4 Millionen Euro.

Die Gesamtkosten für alle Maßnahmen auf dem Campus werden sich voraussichtlich auf rund 45,7 Millionen Euro belaufen. Die finanziellen Mittel kommen - abzüglich des Zuschusses der Stadt Traunstein für die KinderGärtnerei - von der Erzdiözese München und Freising und der kirchlichen Bischof-Arbeo-Stiftung.

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