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Hat der Wolf bei uns noch einen Platz?

Der Pongau ist in einer Intensität betroffen, die niemand so erwartet hatte. Der Wolf bedrohe auch gefährdete Schaf- und Ziegenrassen.

Zuerst in Werfen-Imlau, dann in Tenneck, weiters in St. Johann-Einöd, in St. Johann-Urreiting, in Hüttau und zuletzt in Eben: Innerhalb von nur zwei Wochen schlug ein Wolf im Pongau zu und tötete 20 Nutztiere wie Schafe, Widder, Ziegen und Lämmer. Gefressen hat der Wolf nur einen Bruchteil der erlegten Beute.

"Die Stimmung unter den Bauern ist aufgewühlt, es herrscht Ratlosigkeit", sagt Gottfried Rettenegger, Bezirkssekretär der Bauernkammer in St. Johann. "Ich bekomme laufend Anfragen, auch von Rinderhaltern, was unternommen wird. Generell ist die Meinung vieler, dass sie heuer nicht auftreiben wollen."

In Hüttau sind 20 Schafbauern betroffen, deren Tiere in den nächsten Tagen aufs Hochgründeck gebracht werden sollen.

Die Schafbauern stellen sich die Frage, was sie alternativ tun könnten, auch weil das Futter zu Ende geht. "Jeder ist verunsichert und keiner weiß, was tun. "Wir sind alles Idealisten", meint Walter Steiner. "Für uns ist die Zucht von seltenen Schafrassen eher ein Hobby und eine Leidenschaft." Gezüchtet wird von ihm etwa das braune Bergschaf, im Farbschlag gescheckt. "Von dieser aussterbenden Tierrasse gibt es weltweit viel weniger Stück als Wölfe. Uns wurde nahegelegt, dass wir Herdenschutzmaßnahmen ergreifen sollen. Aber wie?", fragt er sich. "Das ist für uns ein Nebenerwerb und rechnet sich nicht. Viele von uns wollen aufhören. Eine Lösung muss kommen, wir suchen verzweifelt danach."

Gregor Grill, der österreichischer Delegierte der Landwirtschaftskammer, warb vorige Woche im EU-Parlament für die Sicht der Bauern. Der Wolf ist streng geschützt, das absichtliche Töten, Fangen oder Stören verboten. "Trotz der europaweit zunehmenden Attacken gegen Nutztiere und Weidevieh", wie Rettenegger enttäuscht sagt. "Wölfe dürfen bei uns demnach nur in Ausnahmefällen abgeschossen werden, etwa wenn besonders aggressive Einzeltiere dem Menschen zu nahe kommen. Daran soll sich laut EU grundsätzlich nichts ändern. Leider ist Brüssel sehr weit von den Regionen entfernt und man nimmt offensichtlich unsere Probleme nicht wahr." Im Pongau sei man von einer Intensität betroffen, die niemand so erwartet hatte. Immer mehr Nebenerwerbs- und Bergbauern werden aufgeben, befürchtet er. "Offensichtlich werden diese Nebenwirkungen gar nicht bedacht."

"Der Wolf lernt schnell", erklärt die Radstädter Biologin Gudrun Pflüger, die selbst jahrelang in der kanadischen Wildnis bei den Wölfen lebte. "Derzeit wandern vor allem einzelne Wölfe durch Österreich. Zurzeit ist deren Stand unnatürlich hoch, der Grund dafür ist der ebenfalls hohe Wildbestand." Wird dieser geringer, dann würde auch die Vermehrungsrate der Wölfe weniger werden.

Eine Gefahr für den Menschen sieht sie nicht, "denn ein gesunder Wolf wird sein Beutespektrum nicht auf den Menschen erweitern. Wir riechen anders und haben vor allem mit unserem aufrechten Gang eine in den Augen der Wölfe unübliche Beutetier-Haltung." Ausnahmen seien nur alte, kranke oder gestresste Tiere, auch jene, die angefüttert oder angeschossen würden, aber das seien alles Faktoren, die ebenso für diverse andere Wildtiere gelten. Der Wolf sei scheu, aber auch neugierig, deshalb empfehle sie auf jeden Fall bei einem direkten Kontakt, dass man stehen bleiben soll, keinesfalls weglaufen, aber "auch nicht zu viel Respekt zeigen und keine hektischen Bewegungen machen."

Zu einer möglichen Rudelbildung meint Pflüger: "Derzeit wandern eher einzelne Wölfe durch Österreich. Seid froh, wenn erste Rudel kommen, denn diese jagen anders. Jene Wölfe, die derzeit durchs Land wandern, stammen aus sich vermehrenden Rudeln in unseren Nachbarländern und müssen ihre Familie bei Geschlechtsreife verlassen. Sie versuchen, einen Partner und ein eigenes Territorium zu finden, zu besetzen und zu verteidigen", erklärt sie. "Die Hauptaufgabe eines Rudels ist die gemeinsame Jagd. Daher ist es im Gegensatz für Einzelwölfe natürlich besonders schwierig, erfolgreich zu jagen. Sie legen ihr Augenmerk aus diesem Grund eher auf die einfacher zu reißenden Beutetierarten wie Schafe und Ziegen. Aber, wie auch immer, in Mitteleuropa pendeln sich Haustierrisse bei etwa ein Prozent der Gesamtbeute ein."

Herdenschutz ist immer wieder Thema, wenn man den Wolf in unserer Gegend haben will. Zu den kostenintensiven Maßnahmen würde laut Pflüger auch eine Umzäunung für die Nacht gehören. Dazu gehörten aber unbedingt auch eigene Hirten und geeignete Herdenschutzhunde.

Skeptisch ist Landesjägermeister Max Mayr Melnhof: "Wir haben nicht mehr den Lebensraum für den Wolf in unserer kleinstrukturierten Kulturlandschaft." Vielmehr müsse man fragen, warum der Wolf verschwunden war. "Der Druck auf die Landwirtschaft ist schon vor langer Zeit zu groß geworden, und da hatten wir nur ein Drittel der derzeitigen Bevölkerung." Auch Herdenschutzhunde sieht er kritisch: "Das sind keine Streichelhunde, sie unterscheiden nicht zwischen dem Labrador des deutschen Touristen und einem Wolf." In Salzburg ist die Jägerschaft gesetzlich zur Wildfütterung verpflichtet: "Wir haben 240 Fütterungen und füttern 20.000 Stück Rotwild im Winter. Im Kalkgebirge, wie wir es in Salzburg hauptsächlich haben, kann Wild ohne Fütterung nicht überwintern." Würden sich die Wölfe ansiedeln, würden sie auch bei den Fütterungen jagen - und damit das Rotwild in die Schutz- und Bannwälder verdrängen. Dort aber verursache das Wild den Wald gefährdende Verbiss-Schäden. So kämen auch volkswirtschaftliche Schäden dazu, weil Schutzwälder auch vor vielfältigen Naturgefahren wie Steinschlag, Muren oder Lawinen bewahren.

"Derzeit gibt es keine öffentlichen finanziellen Mittel für solche Maßnahmen", sagt Rettenegger. Betroffen seien allein im Pongau 430 Almen, die Kosten für die öffentliche Hand enorm. "Aber es geht gar nicht so sehr darum, ob wir uns diese zusätzlichen Kosten leisten wollen. Es geht nicht um ein paar Schafe. Wir haben derzeit noch Pächter für Steilflächen im Berggebiet, die sonst keiner mehr bewirtschaftet. Geht das so weiter, dann brechen uns die Betriebe weg. Vielleicht will man wieder eine Wildnis schaffen und keine Almwirtschaft mehr haben?"

"Die Rückkehr des Wolfes macht die traditionelle Alm- und Landwirtschaft viel schwerer, wenn nicht unmöglich. Das würde nicht nur unsere Bauern hart treffen", sagt Landesrat Josef Schwaiger. Das Land Salzburg reagierte auf die Vorfälle mit einem Aktionsprogramm samt einem Managementplan für Problemwölfe und einem Expertengremium mit dem Wolfsbeauftragten Hubert Stock aus Werfen.


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