Das Jahr 1968 an sich verbindet Sepp Grabmaier weniger mit Aufbruchsstimmung oder Flower-Power, sondern eher mit dem Gefühl einer diffusen Bedrohung. Er erzählt, wie es dazu kam: "Wir hatten damals noch eine kleine Landwirtschaft und auf unserem Grund wuchsen unzählige Vogelbeerbäume, alljährlich ernteten wir tonnenweise Vogelbeeren. Meine Schwester und ich mussten die Beeren in mühevoller Kleinarbeit abrebeln - also durch ein Gitter reiben und von Stielen usw. trennen. Während wir wochenlang mit dieser Arbeit beschäftigt waren, hörten wir im Herbst 1968 in unserem roten Philips-Kofferradio ständig Berichte von der Niederschlagung des Prager Frühlings und dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen. Ich konnte das nicht richtig einordnen, aber die Angst vor einem Krieg hat sich damals bei mir eingepflanzt."
Die von ihm als eintönig wahrgenommene Arbeit in der Landwirtschaft und vor allem im familieneigenen Sägewerk - das damals noch tatsächlich ein Sägewerk war und nicht wie heute Konzert- und Kulturzentrum - war es auch, die bei ihm schon früh den Widerstandsgeist gegen die zunächst väterliche Autorität weckte. "Meine Freunde waren spielen und hatten einen Gaudi und ich habe ihm Sägewerk gearbeitet. Das hat mir überhaupt nicht gepasst und ich habe das auch zum Ausdruck gebracht. Im Widerstand war ich also schon geübt, dann sah ich im Bad Gasteiner Kino den Film über das Woodstock-Festival. Das hat meine Haltung noch verstärkt, die Musik wurde zu einer Art inneren Heimat für mich." Die Alben seiner Woodstock-Helden konnte er auf dem Plattenspieler seiner großen Schwester horchen, besonders angetan hatte es ihm der Song "The Battle" von Blood, Sweat & Tears. "Das war in Stereo aufgenommen, das Schlagzeug wanderte dabei ständig von links nach rechts und umgekehrt, das hat in meinem Kopf den puren Wahnsinn ausgelöst."
Gute zeitgeistige Musik abseits der Kommerzschiene gab es beim damals noch jungen Sender Ö3 zu hören. Ansonsten gab es wenig Zugang zu Flower-Power und Gegenkultur. "Es gab ja damals bei uns am Land nichts, die Bravo-Zeitschriften waren für uns Landpomeranzen der Gipfel der Revolution." Dort las er auch Berichte über Rockstars wie Alice Cooper. "Solche Typen haben mir schon vom Ausschauen her getaugt, sie verkörperten für mich das Aufbegehren." Auch er wollte sich modisch von der Masse abheben, was allerdings nicht ganz so einfach war. "Meine Mutter hat mir meine Kleidung immer im Quelle-Katalog bestellt. Sie wählte dabei nach ihren eigenen Vorstellungen aus, die aber den meinigen so gar nicht entsprachen.
Aufgemotzte Blue Jeans amüsierten Gendarmen
Von irgendwoher kam er in den Besitz von Blue Jeans. "Die habe ich dann mit Ölfarben und Blechnieten ,verschönert', das sah sehr schräg aus", erzählt er. Just diese Jeans trug er auch bei einem Radausflug, den er gemeinsam mit einem Freund in Richtung Weißensee unternahm. "Wir fuhren gerade durch Techendorf - und zwar beide freihändig -, als uns ein Gendarm aufhielt und uns maßregelte, dass freihändiges Radfahren ja nun gar nicht ginge. Dann hat er meine Jeans bemerkt und sich überhaupt nicht mehr eingekriegt. Minutenlang hat er sich über die Hose lustig gemacht. Zum Schluss fragte er mich, ob man solche Jeans auch kaufen könne. Ich antworte ihm: Ja, aber anmalen musst du sie dir schon selber."
Näher zur (musikalischen) Gegenkultur kam er mit seinem Eintritt ins Holztechnikum Kuchl. Einer seiner Internatszimmergenossen kam aus Graz und war im musikalischen Underground beheimatet. Da kam er in Kontakt mit der Musik von Colosseum, Velvet Underground oder auch den Pionieren der elektronischen Musik, Tangerine Dream. Den Grundstein für seine endgültige musikalische Prägung, nämlich den Jazz, legte der Kauf seines ersten Jazzalbums: "Illumination!" des "Elvin Jones/Jimmy Garrison Sextets". Charles Davis, einer der Musiker, die darauf zu hören sind, trat über drei Jahrzehnte auch im Sägewerk auf. Dort hat er seiner Lieblingsmusik eine Heimat gegeben.