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Jugendkriminalität: Wenn sich Wut in Gewalt entlädt

Jugendliche begehen immer weniger Strafdelikte, doch die Taten werden brutaler. Experten zeichnen ein differenziertes Bild.

Symbolbild.
Symbolbild.

Eine hilflose 13-Jährige soll von sechs Jugendlichen gequält, getreten, geschlagen worden sein. Die Richterin im Salzburger Prozess gegen die jungen Angeklagten findet klare Worte: "Ein Mädchen so zu quälen und ihr auch noch die Haare abzuschneiden. Das ist eine unfassbare Demütigung."

Sind derartige Taten durch Jugendliche Einzelfälle oder werden die jungen Gewalttäter immer mehr? Wird die Jugend immer roher? Werden Täter zu milde bestraft? Die SN fragten bei Experten nach.

Christa Edwards, Obfrau der Fachgruppe Jugendrichter in der österreichischen Richtervereinigung, betont: "Natürlich gibt es Fälle von schlimmer Jugendgewalt. Aber die gab es auch schon vor zehn oder 20 Jahren. Oder noch viel früher. Solche Fälle sind absolut in der Minderheit und sie sind auch nicht mehr geworden." Vertreter der Strafjustiz könnten darauf nur reagieren. "Wir verhängen dann Strafen, und zwar dort, wo vorher schon viel versäumt worden ist." Dass junge Täter vor Gericht kämen, sei Folge von "elterlichen, erzieherischen und sozialen Problemen".

Natürlich gebe es auch jugendliche Rückfallstäter: "Das sind aber vielleicht einer oder zwei von zehn, die dann wieder vor Gericht stehen. Die meisten sehen wir nicht mehr wieder." Zu Vorwürfen, dass mit jungen Tätern zu mild umgegangen werde, meint Edwards: "Die populistische Forderung: ,Gericht, komm her und sperr' sie lang genug ein', löst sicher kein gesellschaftliches Problem." Jugendrichter beurteilten jeden Straftäter vor Gericht individuell: Hat er noch eine Chance verdient oder nicht?

Eine kleine Zahl unbelehrbarer, gewaltbereiter, empathieloser Jugendlicher gebe es aber. Bei ihnen fruchte eine Diversion (Tatausgleich, gemeinnützige Arbeit, Geldbuße) nicht, auch Haft beeindrucke sie nicht. "Sie landen im Maßnahmenvollzug, also in einer Anstalt für zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher." Schlusssatz der Jugendrichterin: " Aber es gibt auch tagtäglich Zehntausende Jugendliche, die Empathie zeigen. Weil sie zum Beispiel Leuten in der U-Bahn den Sitz anbieten oder anderen über die Straße helfen."

"Die Jugendkriminalität hat nicht zugenommen, aber die Brutalität der Taten sehr wohl", sagt Gabriele Wörgötter, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Gutachterin in zahlreichen Strafprozessen. Öfter als früher komme es zu grober Gewalt und Demütigungen. "Durch den Rückhalt in der Gruppe sind Jugendliche oft besonders gewalttätig." Generell nehme die Empathie vieler Jugendlicher immer mehr ab. Jugendliche seien heute durch die Medien, Computerspiele und Filme früher und intensiver mit Gewalt konfrontiert. "Generell sind das Leben und die sozialen Umstände roher geworden, Kinder ahmen das Verhalten der Erwachsenen nach." Empathie erlerne man in frühester Kindheit, sagt Wörgötter. Später lasse sich dieses Defizit kaum noch ausgleichen.

Auch die Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt führt fehlende Empathie bei gewalttätigen Jugendlichen auf fehlende Geborgenheit und Zuwendung in der Familie zurück. "Erleben Kinder selbst Gewalt, stumpfen sie ab." Oft fehle es Jugendlichen an Beziehungen und der Auseinandersetzung mit realen Menschen. "Durch ein Zuviel an Gewalt verherrlichenden Computerspielen und einen Mangel an Beziehungen lernen sie keine Grenzen kennen."

"Ausgegrenzte Jugendliche haben oft eine Wahnsinnswut", sagt Holz-Dahrenstaedt. Oft reiche eine Lappalie, dass sich diese Wut entlade. Es werde zugeschlagen, wenn der andere "blöd schaut". Pädagogen stellen laut der Kinder- und Jugendanwältin oft fest, dass sich bei Raufereien und Rangeleien die Grenzen verschoben haben. "Früher hat man aufgehört, wenn jemand auf dem Boden gelegen ist, heute ist das nicht immer so." Holz-Dahrenstaedt warnt aber davor, Jugendlichen generell eine erhöhte Gewaltbereitschaft zu attestieren. "Es hat zu allen Zeiten immer geheißen, dass die Jugend immer ärger werde, dieser Satz zieht sich durch." Er treffe aber nicht zu.

Zahl der Messerstechereien von Jugendlichen nimmt zu

Die Statistik zur Jugendkriminalität in Österreich zeigt, dass Jugendliche insgesamt weniger Gewaltdelikte begehen, dafür häufen sich Messerstechereien. Laut Bundeskriminalamt ist seit 2008 die Zahl der Gewaltdelikte von jugendlichen Tatverdächtigen (14 bis 17 Jahre) von 5424 auf 3654 (Stand 2017) gesunken. Der Anteil der Opfer, die zum Täter keinerlei Beziehung haben, ist von 38 auf 27 Prozent gesunken.

Im Jahr 2017 waren bei 566 Straftaten Minderjähriger Stichwaffen im Spiel (2008: 99 Fälle).

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Österreich laut Statistik Austria 28.286 Personen rechtskräftig verurteilt. Mehr als 85 Prozent der Verurteilten waren Männer. Zum Tatzeitpunkt waren 94 Prozent der Verurteilten volljährig. In dieser Gruppe waren 11,3 Prozent zwischen 18 und 20 Jahre alt. Sechs Prozent der rechtskräftig Verurteilten waren zum Tatzeitpunkt zwischen 14 und 17 Jahre alt. Der Anteil der österreichischen Staatsangehörigen lag bei 57,7 Prozent.