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Ottinger transkribiert über 500 Feldpostbriefe

Über 500 Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg, geschrieben vor allem von Männern aus Otting und Umgebung, hat Markus Rhein (48) transkribiert und im Internet veröffentlicht.

Für die Ausstellung „Kirchliches Leben in Otting“ gestaltete Markus Rhein eine Schauwand. Daran war auch ein Foto des Empfängers der Feldpostbriefe, Pfarrer Georg Binder, geheftet.
Für die Ausstellung „Kirchliches Leben in Otting“ gestaltete Markus Rhein eine Schauwand. Daran war auch ein Foto des Empfängers der Feldpostbriefe, Pfarrer Georg Binder, geheftet.

"Die Scheinwerfer leuchten die ganze Nacht u. die Kanonen u. Gewehrkugeln fliegen bald hin und her (…). Es dürfte bald ein Ende hergehen, unser[e] Schützengräben liegen 80 m voneinander. Das heißt Kopf hinunter, sonst hat man keinen mehr."

Diese Zeilen schrieb Johann Prams (1880 bis 1946), Schmied in Unteraschau, am 1. Juli 1916 in der Nähe von Verdun, wo eine der blutigsten und verlustreichsten Schlachten des Ersten Weltkriegs stattfand. Das Gefecht sollte noch fünf Monate dauern. Der Erste Weltkrieg endete erst im November 1918.

Johann Prams war einer von rund 170 Männern aus Otting und Umgebung, die als Soldaten im Ersten Weltkrieg kämpften. 50 von ihnen kamen nicht mehr zurück. "Wir können uns nicht ausmalen, was sie erlebt und gesehen haben", sagt Markus Rhein, "aber es scheint in ihren Postkarten und Briefen durch." In Hunderten von Stunden hat der Ottinger die Feldpost transkribiert: von der damals gebräuchlichen Kurrentschrift in die heute verwendete lateinische Schrift.

Die Feldpost ging an den Pfarrer von Otting

Die Nachrichten von der Front waren adressiert an den gleichen Empfänger: den damaligen Ottinger Pfarrer Georg Binder (1853 bis 1922), ein "Macher mit riesengroßem Herz", wie ihn Rhein beschreibt. Er versorgte die Kämpfenden die Kriegsjahre hindurch mit Paketen aus der Heimat. Diese enthielten vor allem Lebensmittel, aber auch Gebetsbücher oder Rosenkränze. "Die Soldaten hatten Hunger. Und sie lebten in Todesangst. Wer sich nicht dem Alkohol zuwandte, der fand zum Glauben", weiß der Ottinger.

Pfarrer Binder, der auch Landtagsabgeordneter und Bezirksschulinspektor war, erhielt zahlreiche Dankesschreiben von den Soldaten - und erfuhr so, wo sich die Männer aufhielten und wie es ihnen erging. Die Feldpost ist bis heute erhalten, sie lagert im Pfarrarchiv von Otting. Pastoralreferent Ulrich Jauernig wandte sich mit ihr an Markus Rhein, weil er wusste, dass dieser Ahnenforschung betreibt und die alte Handschrift lesen kann.

"Ich mache das noch nicht so lange und bin ein Quereinsteiger", erzählt der 48-Jährige, der als Entwicklungsingenieur bei Siteco Beleuchtungstechnik in Traunreut arbeitet. Vor rund zwei Jahren fing er an, seine Familiengeschichte zu erforschen und dafür Kirchenbücher zu durchsuchen, die im Internet digital bereitstehen. Das Lesen der deutschen Kurrentschrift - die Schreibschrift, die bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts gebräuchlich war - brachte er sich nach und nach selbst bei.

Markus Rhein entdeckte auch Postkarten seiner Urgroßväter

Für die Schachtel aus dem Pfarrarchiv ließ er sich begeistern, weil er hoffte, darin auch Feldpost seiner Urgroßväter zu finden. Und so sollte es kommen. "Von einem meiner Urgroßväter habe ich eine Postkarte gefunden, von einem anderen sogar zwei." Sein Interesse war geweckt. Markus Rhein fing an, Schriftstück für Schriftstück zu transkribieren und sie auf einer eigens von ihm erstellten Internetseite zu veröffentlichen. Für Textstellen, die er nicht lesen konnte, zog er den Mesner von Otting, Josef Seehuber, zu Rate. "So blieben am Ende nur wenige Wörter übrig, die wir nicht entziffern konnten."

Seine Internetseite www.feldpost-pfarrer-binder.de versteht Markus Rhein als "digitales Denkmal für die Soldaten". Damit niemand auf falsche Gedanken kommt, ist gleich auf der Startseite zu lesen: "Diese Seite soll nicht den Krieg in irgendeiner Art verharmlosen oder gar verherrlichen." Die Homepage ist bewusst schlicht gehalten und einfach zu navigieren. Neben der Feldpost sind darauf auch Informationen zum Empfänger und den Absendern der Briefe zu finden: ihre Geburts- und Todesdaten, Herkunft, militärische Einheit, (Sterbe-)Bilder. Markus Rhein trug die Informationen allein zusammen - im Dorf und im Internet.

Noch sucht der Ottinger Material

Alles, was er fand, gibt es seit Ende Mai auf www.feldpost-pfarrer-binder.de zu entdecken. Die Seite ging am gleichen Tag online, an dem eine zehntägige Ausstellung über das kirchliche Leben im Ottinger Pfarrstadl eröffnete. "Ich hatte dort auch eine Wand gestaltet und kam immer wieder mit Menschen ins Gespräch, die mit einem oder mehreren der Soldaten verwandt waren. Das war schön." Markus Rhein hofft, durch die Kontakte, die so entstanden, noch an das ein oder andere (Sterbe-)Bild zu kommen, das ihm fehlt. "Es würde mich auch freuen, wenn sich Leute, die diesen Artikel lesen und Fotos oder Informationen haben, bei mir melden."

Einen Punkt hat der Familienvater aus Otting noch nicht hinter das Projekt gemacht. Er plant auch eine Fahrt ins Archiv des Erzbistums München und Freising. "Es gibt Anhaltspunkte, dass es noch mehr Feldpost aus Otting gibt", sagt er. Er habe in der Schachtel aus dem Pfarrarchiv leere Kuverts gefunden und auch Briefe, in denen beigelegte Bilder fehlen. "Dieses Material müsste in Freising sein. Ich würde es gerne finden."

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