Männer lieben Männer. Frauen lieben Frauen. Menschen fühlen sich von beiden Geschlechtern angezogen. Sie fühlen sich in einem anderen Geschlecht wohler als in dem, in dem sie geboren sind. Oder sie sind divers, empfinden sich also weder männlich noch weiblich. Für das und noch mehr, nämlich die ganze Bandbreite der Liebe und Lebensentwürfe, stehen die Queersteiger aus Berchtesgaden. Die Gruppe, die es seit gut eineinhalb Jahren gibt, ist ein Treffpunkt für queere Menschen (siehe Infobox Seite 5) und will für deren Sichtbarkeit sorgen.
Die Angst vor einem Outing auf dem Land ist immer noch groß. "Für viele ist es schon eine totale Überwindung, sich zu unserem Stammtisch zu trauen", erzählt Marie. Sie wisse von Menschen, die fast ein Jahr mit sich rangen, ehe sie kamen. Eine Lehrerin von einer Berchtesgadener Schule berichtete den Queersteigern von zum Teil nicht geouteten Schülerinnen und Schülern, die gerne an den Monatstreffen teilnehmen würden, aber nur, wenn diese nicht im öffentlichen Raum wie einem Wirtshaus stattfinden würden.
"Wir überlegen darum, unseren Stammtisch ins ‚Werk 34' zu verlegen", erklärt Moritz. Aktuell finden die offenen Treffen immer am letzten Freitag im Monat um 18 Uhr im "Kleinen Kuckuck" statt. In der Regel schauen eine Handvoll bis ein Dutzend queere Menschen zwischen 18 und 60 Jahren vorbei. "Ich würde mir wünschen, dass wir noch eine größere Gemeinschaft werden", sagt Marie.
"Man hat mir schon Gewalt angedroht"
Die 38-Jährige weiß, dass das locker möglich wäre. "Denn hier gibt es genauso viele queere Menschen wie überall sonst in Deutschland." Also rund zwölf Prozent. Die Berchtesgadenerin, die aktivistisch und therapeutisch arbeitet, erstaunt es darum, wie sehr hier Geschlechter-Stereotype noch in den Köpfen mancher Menschen verankert sind. Moritz aus Berchtesgaden hat selbst erlebt, wie es ist, wenn man nicht ins Bild passt. "Damals in der Schule geriet ich schnell ins Visier, weil ich als Junge beste Freundinnen hatte und auf viele zu weiblich wirkte."
Lange dachte er, sich nicht outen zu können. Mit 25 wagte er es und viele Sorgen, die er hatte, lösten sich danach im Nichts auf. Doch seit er als Dragqueen Morita Maschinella in der Öffentlichkeit steht, sieht sich der 31-Jährige, der hauptberuflich in der Gastronomie arbeitet, wieder mit negativen Reaktionen konfrontiert. "Man hat mir schon Gewalt angedroht", sagt er. Nicht im echten Leben, aber in den sozialen Medien, wo Menschen Hass verbreiten, während sie sich hinter ihren Bildschirmen verstecken.
Die Akzeptanz von Queerness erlebt gerade eine zwiespältige Entwicklung. Einerseits ist die Community so sichtbar wie nie - etwa durch den Pride Month, CSD-Paraden, politische Debatten oder die erhöhte Darstellung von Homosexualität und Transidentität in Filmen und Serien. Andererseits treten seit einigen Jahren vermehrt Gegendemonstrierende bei den Paraden auf und die Gewalt gegenüber queeren Personen nimmt zu.
CSD Berchtesgaden: Premiere am 16. August
Warum sich einige davon angegriffen fühlen, was andere Menschen sind oder wen sie lieben, das hat wohl verschiedene Gründe. Marie weiß, dass Hassgewalt und Intoleranz komplexe Phänomene sind. Sie sagt: "Die Gewalt gegenüber feminin wirkenden schwulen Männern und Transfrauen lässt sich unter anderem durch die Abwertung von Frauen und allem ‚Weiblichen' erklären." Moritz ergänzt: "Vielleicht sind diese Menschen mit sich oder ihrer Sexualität selber nicht im Reinen und lassen ihre Wut an denen aus, die sich trauen, das zu leben, was sie sind."
Moritz handelt nach dem Motto: "Jetzt erst recht". Und Marie fügt an: "Wir waren schon immer da und werden immer da sein." Genau darum wird das Queersteiger-Team heuer erstmals auch in Berchtesgaden einen CSD veranstalten; der Demonstrationszug wird am Samstag, 16. August, um 14 Uhr vom Bahnhof zum Weihnachtsschützenplatz ziehen, wo es eine abschließende Kundgebung geben wird. Für den Abend (ab 21 Uhr) ist eine After-Show-Party mit Dragshow im "Kuckucksnest" geplant. Am Tag davor, am Freitag, 15. August, steht eine gemeinsame Wanderung ins Klausbachtal auf dem Programm.
Im vorigen Jahr Jahr fand schon eine kleinere "Testveranstaltung" statt, um auszuloten, wie die Berchtesgadenerinnen und Berchtesgadener reagieren. Es habe viele positive und vereinzelt negative Reaktionen gegeben. Einige hätten sich zum Beispiel auf den Schlips getreten gefühlt, weil die Queersteiger ihre Veranstaltungen auf das Wochenende legten, an dem ein Trachtenfest im Markt stattfand. "Aber das war keine Provokation, sondern Zufall", sagen sie. (Auf Wunsch der Interviewten und zum Schutz ihrer Privatsphäre wird darauf verzichtet, die Familiennamen von Marie und Moritz zu veröffentlichen, sie sind der Redaktion aber bekannt.)



