An einem normalen Arbeitstag läuft Karoline Kinsky ihrem Terminkalender meist hinterher. "Ich komme eigentlich nie pünktlich von einem Patienten weg", sagt sie. 45 bis 60 Minuten pro Patientin oder Patient hat die diplomierte Pflegekraft und zertifizierte Wundmanagerin üblicherweise Zeit. Und ein kleiner Plausch muss schließlich auch noch sein. "Und der eine oder andere ist manchmal auch etwas redseliger."
Seit rund elf Jahren ist Kinsky in der Hauskrankenpflege tätig. Genau in jenem Bereich, in dem der Personalmangel mit am größten ist und den viele Pflegekräfte meiden. Auch Karoline Kinsky hatte viele Vorbehalte gegenüber der Arbeit in der mobilen Pflege. Sie war nur gewechselt, weil sie sich die Betreuungszeiten für ihre Kinder besser einteilen konnte. "Ich dachte mir damals: Jetzt bist du ganz unten angelangt." Nach kurzer Zeit hatte sie bereits ihre Kündigung eingereicht. "Mein Chef hat mich gefragt: Was müssen wir tun, damit du bleibst?"
Patienten positiver gestimmt als im Spital
Das löste in Karoline Kinsky einen Nachdenkprozess aus. Tatsächlich fand sie jede Menge gute Gründe, genau in der mobilen Pflege zu bleiben: Man braucht das am besten ausgebildete Personal, weil man auf sich allein gestellt ist. Die Patienten selbst seien viel positiver gestimmt als jene im Spital - egal, wie es ihnen wirklich gehe. "Wenn sie nach Hause entlassen werden, geht es ihnen ganz automatisch besser." In der Hauskrankenpflege sehe man auch das gesamte Umfeld des Patienten und könne zielgerichteter helfen. "Ich habe mir eingestehen müssen: Mir taugt diese Arbeit. All die negativen Dinge über die Hauskrankenpflege wurden mir nur eingeredet." Zur Kündigung kam es nicht.
Trotzdem hat die heute 46-Jährige davor und danach viele Stationen in der Pflege durchlaufen - und ist auf Probleme, Hürden und Frustration gestoßen. Das war für sie aber nie Grund aufzugeben, sondern Motivation, Probleme zu beseitigen.
Dabei war für Karoline Kinsky die Pflegeausbildung im Jahr 1996 nur die zweite Wahl. "Ich wollte eigentlich Hebamme werden, kam aber nicht in den Kurs. Ich war schließlich total glücklich, dass ich wenigstens in der Krankenpflege genommen wurde."
Traumjob: Wochenbettstation
Nach der Ausbildung fing sie auf der Kieferchirurgie im Landeskrankenhaus zu arbeiten an. "Da hatte ich eine sehr coole Station gefunden", sagt sie. Von Anfang an hat sie dort Pflegeschüler betreut. "Ich war Beauftragte für Pflegedokumentation und habe medizinisches Englisch unterrichtet: Ich hatte davor in Wien eine amerikanische Highschool besucht." Die Lehre war für sie eine Möglichkeit, unangenehme Erfahrungen während der Ausbildung aufzuarbeiten. "Wir wurden als Schülerinnen viel für Hilfsdienste wie Mullbindenaufwickeln eingesetzt. Die Erfahrungen wollte ich anderen ersparen." Nach drei Jahren auf der Kieferchirurgie war sie fünf Jahre auf der Wochenbettstation tätig. "Das war mein absoluter Traumjob." Nebenbei studierte sie Pädagogik, um später in der Krankenpflegeschule zu arbeiten. Daraus wurde aber nichts, weil ihr nach einer Gesetzesänderung Stunden der Pflegewissenschaft fehlten.
Dann bekam sie Kinder und Karoline Kinsky wechselte in die Hauskrankenpflege. Als sie für sich herausgefunden hatte, dass sie sich in diesem Bereich wohlfühlte, machte sie die Zusatzausbildung zur Wundmanagerin. "Für mich war klar, dass man seine Kompetenzen steigern muss, wenn man in der mobilen Pflege tätig ist." Danach wechselte sie noch einmal ins Spital. "Ich übernahm das Entlassungsmanagement im Krankenhaus Hallein." Die Coronapandemie machte die Arbeit schwieriger. "Die Aufgaben im Entlassungsmanagement wurden immer größer. Mir war klar, dass man diese in der Form nicht bewältigen kann." Auch hier wollte sie nicht einfach das Problem hinter sich lassen. "Ich setzte mich dafür ein, dass für den Bereich eine zweite Kraft eingesetzt wird, und war dabei auch mit der Politik in Kontakt. Als ich das Ziel erreicht hatte, machte ich mich ganz selbstständig."
"Mein Terminkalender war schnell voll"
Eigentlich hatte sie es mit der Selbstständigkeit langsam angehen wollen. "Aber mein Terminkalender war schnell voll." Und dann kam wieder ihr Drang dazu, Probleme zu lösen und Strukturen zu verbessern. "Mir war klar, dass man die Zusammenarbeit zwischen Spital und extramuraler Pflege verbessern muss."
Sie schloss sich mit zwei Kolleginnen zusammen und gründete eine Wundpflegepraxis. Dann startete sie ein Netzwerk der Wundpflege-Expertinnen, das österreichweit besteht. Sie wollte auch das Thema angehen, dass ihre Leistungen nicht mit der Krankenkasse abgerechnet werden können. "Es gibt zwar den Posten der medizinischen Hauskrankenpflege, da kann man aber nur acht Euro für 45 Minuten verrechnen." Ein Hausbesuch von Karoline Kinsky kostet 85 Euro für 60 Minuten. "Deswegen bemühen wir uns um Projekte, um vom System Rückvergütungen zu bekommen. Das ist eine Liebeserklärung an unsere Patienten."
Bei der Plattform Pflege wurde auf Karoline Kinskys Initiative ein Pilotprojekt mit dem Titel Wundsprechstunde umgesetzt: Ärzte und Ordinationshilfen wurden von den Wundmanagerinnen in der Versorgung schlecht heilender Wunden geschult. Für 2025 hat sie ein größeres Projekt in Arbeit, bei dem die Wundberatung ein Teil ist. "Wir wollen eine moderne Wundversorgung etablieren. Viele wissen gar nicht, dass es so etwas gibt."
Karoline Kinsky hat für sich einen Platz in einem schwierigen beruflichen Umfeld gefunden. Eines ihrer Ziele ist es, dass es vielen anderen im Pflegebereich genauso geht. "Wir müssen Frauen in der Pflege stärken und uns um eine gerechte Entlohnung kümmern. Alle Berufsgruppen müssen hier zusammenarbeiten, nur gemeinsam kriegen wir das hin."