Der Geograf Hans Holzinger ist pädagogischer Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek Salzburg. Der 62-Jährige erzählt auch, wie es ihm während seiner persönlichen Corona-Erkrankung erging.
Redaktion: Sie haben während des Lockdowns ein Buch
zur "Post-Corona-Gesellschaft" geschrieben. Was lesen wir darin?
Hans Holzinger: Der Anlass war die Krise und meine persönliche Corona-Erkrankung. In der Quarantäne hatte ich Zeit, nachzudenken. Ich konnte einige Artikel für verschiedene Zeitungen verfassen. Diese waren das Ausgangsmaterial für das Buch, das sich der Frage stellt, was wir aus der Krise lernen sollten.
Wissen Sie, wo Sie sich angesteckt haben?
Wo ich mich angesteckt habe, konnte ich nicht nachvollziehen. Ich weiß es bis heute nicht.
Sie sind 62, wie ist die Krankheit bei Ihnen verlaufen?
Es hat wie eine normale Grippe begonnen. Dann merkte ich, der Geschmack geht immer mehr weg. Ich musste das Essen immer stärker würzen. Der Test beim Roten Kreuz ergab: Ich war positiv. Ich hatte kaum Fieber, aber eine extreme Müdigkeit und Gliederschmerzen. Und an drei Tagen hatte ich Atemnot. Das hat mich kurz panisch gemacht. Insgesamt war ich aber weit weg von einem Krankenhausaufenthalt. Ich merke Gott sei Dank auch keine Folgeschäden. Ich bin über meine Hausärztin sogar Teil einer Studie, wo ein besonders guter Antikörpertest geprüft wird.
Haben Sie so etwas wie Ausgrenzung oder Ächtung erlebt, wie etliche Erkrankte berichten?
Nein, die Reaktionen waren eher wertschätzend und nachfragend. Ich wurde immer wieder gefragt: Wie es ist dir gegangen? Wir haben sehr nette Nachbarn, die für uns in der Quarantäne eingekauft haben. Sogar der Bürgermeister hat nachgefragt, ob wir etwas brauchen. Und wir konnten die Absonderung in einer geräumigen Wohnung mit Garten verbringen.
Das ist, verglichen mit anderen Menschen, die beengt leben, eine privilegierte Situation. Dennoch war ich froh, alles heil überstanden zu haben.
Als die Politik in Wirtschaft und Gesellschaft diese Vollbremsung gemacht hat, wurde sehr deutlich, dass sie das Primat der Macht hat. Hatten Sie da auch ein Aha-Erlebnis?
Ja, ich habe das ähnlich empfunden. Ich bin schon lange in der Nachhaltigkeitsforschung tätig und daher etwas ungeduldig, dass im Umweltbereich so wenig weitergeht. Auf einmal hat man gesehen, wenn es sein muss, kann die Politik rasch reagieren. Man hat das Primat der Gesundheit vor das Primat der Wirtschaft gestellt.
Warum geht es im Ringen gegen den Klimawandel so langsam und schwerfällig voran?
Die Frage ist berechtigt und auch der Vorwurf, dass die Politik zur Eindämmung der Pandemie schnelle und konsequente Maßnahmen umgesetzt hat - die ich befürworte -, beim Klimawandel aber so wenig getan wird. Ich denke, es gibt aber doch Unterschiede. Bei der Corona-Pandemie geht es um die nicht ganz unberechtigte Angst, es könnte auch mich oder meine Angehörigen, Freunde treffen. Man könnte sogar ins Krankenhaus müssen. Und man sah, dass Menschen sterben. Der Klimawandel hingegen wird als etwas wahrgenommen, das weit weg ist, als schleichendes Phänomen. Der Philosoph Richard David Precht hat das so auf den Punkt gebracht: "Menschen haben mehr Angst um das eigene Überleben als um das Überleben der Menschheit."
Die Corona-Pandemie holte sich der Mensch wie Ebola oder Aids von Tieren. Weil er sie isst und immer tiefer in ihre Lebensräume eindringt. Wie sehen Sie das?
Der Mensch besiedelt bereits 60 bis 70 Prozent des Planeten und greift immer mehr in die Lebensräume ein, wo die Tiere bisher unter sich waren. Der Großteil der Naturzerstörung passiert aber weniger aufgrund des Bevölkerungswachstums, sondern aufgrund des Lebensstils in den reichen Ländern. Dieser Lebensstil ist güter- und ressourcenintensiv. Unsere enorm gestiegene Mobilität ist autofixiert, dazu kommt die Vielfliegerei. Unsere Ernährung ist fleischzentriert. Wesentliche Fragen werden deshalb sein, welchen materiellen Wohlstand wir uns in Zukunft leisten können, wie wir uns fortbewegen und wie wir uns ernähren. Es geht nicht an, dass für unsere Massentierhaltung anderswo Regenwälder abgeholzt werden. Abgesehen von dem Tierleid ist übertriebener Fleischkonsum weder gesund noch nachhaltig.
Unser globalisierter Wirtschafts- und Lebensstil hat zur raschen Verbreitung des Virus auf der ganzen Welt geführt.
Wird die Wirtschaft durch Corona nachhaltiger werden?
Ich war am Anfang sehr optimistisch. Jetzt ist mein Optimismus etwas gedämpft. Ich denke trotzdem, dass das kurzfristige Herunterfahren unserer Turbogesellschaften eine bleibende Lernerfahrung sein wird.
Ist es nicht vielmehr so, dass die Menschen vor allem wollen, dass alles wieder so wird wie vorher?
Ich möchte die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie keineswegs verharmlosen. Doch unser Leben in der Konsumgesellschaft leidet an einem Paradoxon: Obwohl die Wirtschaft immer effizienter produziert, werden die To-Do-Listen im Beruflichen und im Privaten immer länger.
Die Zeit, die zum Leben bleibt, wird dafür immer kürzer. Wir brauchen planbare und ausreichende Einkommen für alle, leistbare und würdige Wohnungen sowie zufriedenstellende Sozialkontakte. Wenn dies gegeben ist, kann ein Zurückschalten, mehr freie Zeit und Muße durchaus ein Zugewinn sein.
Ist das für eine Kassierin oder Verkäuferin mit 1500 Euro Gehalt nicht eine Luxusfrage?
Das Recht auf mehr freie Zeit gilt für alle, insbesondere für jene mit niedrigeren Einkommen. Auch um Erwerbsarbeit und Familie besser vereinbaren zu können. Etwas weniger Einkommen würde jene treffen, die jetzt sehr gut verdienen. Dies wäre eine Arbeitszeitverkürzung mit gestaffeltem Lohnausgleich, die kommen muss, um die Arbeitslosigkeit nicht weiter in die Höhe zu treiben.
Wo wollen Sie in Österreich denn noch umverteilen?
Sowohl bei den Vermögen wie bei den Einkommen sind die Unterschiede noch immer groß. Warum neben Mindesteinkommen nicht auch Maximaleinkommen festlegen?
Wollen Sie eine sozialistische Gesellschaft?
Nein, Regulierung bedeutet nicht Sozialismus.
Zu hohe Vermögens- und Einkommensunterschiede schaden der Marktwirtschaft und sie untergraben das Vertrauen in das System. Und sie sind nicht leistungsgerecht.
Niemand kann das Hundertfache eines anderen leisten. Der Staat kann die Steuern so ansetzen, dass es weniger attraktiv ist, so viel zu verdienen.
Während des Lockdowns wurden vor allem Klopapier und Nahrungsmittel eingekauft. Was braucht es für ein gutes Leben?
Das ist eine spannende Frage. Die Pandemie hat gezeigt, dass unsere Wirtschaft strauchelt, wenn wir nur mehr unsere Grundbedürfnisse befriedigen. Einen längeren Lockdown halten keine Gesellschaft und kein Staat durch. Die Stützungsmaßnahmen führen in weitere Verschuldung. Dazu kommen die Steuerausfälle. Der Klimawandel erfordert daher einen geplanten Umbau unserer Wirtschaft. Das ökologisch Schädliche muss rückgebaut werden, das Umweltverträgliche darf wachsen. Wie wir das in einer "Post-Corona-Gesellschaft" hinkriegen können, darum geht es in meinem Buch.
Hans Holzinger
Der Geograf und Germanist wurde im Jahre 1957 in Gmunden in Oberösterreich geboren. Hans Holzinger studierte in Salzburg. Seit 1992 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2016 pädagogischer Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg.
Nachhaltiges Wirtschaften, Zukunft der Arbeit, neue Wohlstandsmodelle und Transformationsforschung sind Holzingers Arbeitsschwerpunkte.
Der 62-Jährige ist Moderator von Zukunftswerkstätten, Mitherausgeber des Büchermagazins "proZukunft" und Autor mehrerer
Bücher: "Wie wirtschaften? Ein
kritisches Glossar" (2018);
"Von nichts zu viel - für alle genug" (2016); "Wann lernen Gesellschaften?" (JBZ-Arbeitspapier, 2020). Sein jüngstes Buch "Post-Corona-Gesellschaft. Was wir aus der Krise lernen sollten" entstand während Holzingers Covid-Quarantäne.