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Die letzten Tage der Erhellung

Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" erweist sich für Georg Schmiedleitner als Monstrum dramatischer Aktualität.

Die letzten Tage der Erhellung
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Die letzten Tage der Erhellung


Kurzfristig hat der Linzer Regisseur Georg Schmiedleitner von Matthias Hartmann die Aufgabe übernommen, "Die letzten Tage der Menschheit" zu inszenieren. Nun sitzt er - wenige Tage vor der Premiere am nächsten Dienstag - in einem Steinbruch der Sprache und des Wahnsinns.

SN: Herr Schmiedleitner, Karl Kraus schreibt über sein Drama "Die letzten Tage der Menschheit", es sei "einem Mars-theater" zugedacht. Wie bekommt man das auf eine stinknormale Landestheater- Bühne?

Schmiedleitner: Marstheater, dieser Verweis auf etwas Überirdisches, scheint mir eine gute Bezeichnung. Kraus beschreibt ja nicht nur die Kriegschronologie, sondern das Stück wirkt auch als überirdischer, bildhafter Reigen. Wir begegnen also einem Szenario über den Untergang an sich, die Apokalypse der Menschheit. Diesen Aspekt nehme ich in die Inszenierung. Es darf nicht die Illustration eines Kriegsgeschehens sein. So etwas wäre zu klein und zu billig. Es geht darum, das Wort vom Marstheater zu nehmen und zu versuchen, die abgründige Luft in diesem Stück zu atmen.

SN: Nun würde der Abend des gesamten Dramas, wie Kraus schreibt, zehn Abende dauern. Es sind 219 Szenen plus Epilog, ein paar Hundert Figuren. Wie filtern Sie da?

Man klopft steinbruchmäßig die großen Sachen weg, die gar nicht gehen.

SN: Wieso gehen manche Szenen gar nicht?

Da gibt es Szenen, die ausufern, in Gedankenfluten mäandern, die sich auch jeder Bebilderung widersetzen. Und wenn die weg sind, bleiben welche über, die man dann hin- und herschiebt, herumdreht und manche aussortiert. Ich profitierte stark von der Vorarbeit, die Dramaturg Florian Hirsch erledigt hat. Ohne ihn hätte ich das nicht machen können. Man arbeitet sich dann eben wie in einem Labor und in einer Werkstatt vor zu einer vorzeigbaren Version. Das ist ja ein durchaus lustvoller Vorgang.

SN: Ist es lustvoller im Vergleich zu anderen Stücken, wenn man in einem Steinbruch abbauen kann?

Es ist anders, als wenn man quasi vom Blatt spielt. Wesentlich ist, dass es bei Kraus wenige durchgehende Rollen gibt und man so keine Psychologie anwenden kann. Die Figuren sind scherenschnittartige, unpsychologische Behauptungen.

SN: Besteht da nicht die Gefahr, dass man in eine Nummernrevue abgleitet?

Es ist die Herausforderung, aus diesen Szenen eben keine Kabarettnummer zu machen oder eine Revueshow herunterzuklopfen. Deshalb muss man die Szenen in eine größere Handlung einbetten, muss quasi ein neues Stück erfinden, es in einer nachvollziehbaren Weise von logischer und zugleich atmosphärischer Abfolge bringen.

SN: Wie schätzen Sie das Wissen des Publikums bei diesem Stück ein?

Man kennt den Titel, aber ich vermute, nur ein geringer Prozentsatz hat es zur Gänze gelesen. Es wird für viele eine Erstaufführung sein. Es gibt auch keine übermächtige Inszenierungsgeschichte, nur einen begrenzten Erfahrungsschatz.

SN: Inwiefern hat dieses Stück mit der Gegenwart zu tun?

Kraus war der große Entdecker des Zusammenhangs zwischen Medien, Sprache und Wirklichkeit. Dieses Zusammenspiel, auch der Zwiespalt zwischen gemachter Wirklichkeit und erlebter Wirklichkeit, zwischen tatsächlichem Geschehen und dem Berichten ist hochaktuell.

Wir leben in einer extrem medialisierten Welt. Alles twittert. Jeder meldet dauernd irgendetwas. Was Kraus macht, nimmt das fast vorweg. Er schreibt im Kaffeehaus, quasi live, was gerade passiert. Er schreibt sich ganz nahe an die Wirklichkeit heran.

Er beschreibt in den wenigsten Szenen den Krieg, illustriert und kommentiert ihn nicht, sondern beschreibt, was die Medien machen, was mit der Sprache passiert.

SN: Ist denn die Sprache im Grund der Hauptdarsteller?

Das könnte man so sagen. Wir erfahren, was ein entleerter Satz anstellt, wie die verniedlichenden Sätze, die verbalen Verkleinerungen und Vergrößerungen eines Geschehens, die Euphemismen ihre Wirkung zeigen und all das auch Anlass für heftige Missdeutungen ist.

SN: Wie gibt man in einer Theaterinszenierung der Sprache diese bedeutende Rolle?

Grundvoraussetzung sind hervorragende Schauspieler. Dann muss die Sprache Raum bekommen, darf nicht gegen Ablenkungen kämpfen müssen. Ziel muss sein, dass über die Wucht der Sprache, über die Entlarvung, die mit ihr betrieben wird, gestaunt werden kann. Die Figuren bei Kraus sind Sprachfiguren.

Es erschüttert nicht die Handlung, sondern das, was die Leute im Vorbeigehen, im Café sagen. Kraus erweist sich als Spürhund, der alle Zusammenhänge erkennt.

SN: Gelten diese Zusammenhänge auch heute noch?

Das durchaus Erschütternde bei der Beschäftigung mit dem Stück ist, dass diese Mechanismen hochaktuell sind. Und wir erleben das Zusammenspiel vieler Aspekt weit unmittelbarer als damals. Also sehen wir hier ein Stück, das hoch treffsicher ist für die Gegenwart. Es beschleicht uns doch mehr denn je ein Gefühl davon, dass die medialen Bilder der Welt mit der Wirklichkeit oft kaum etwas zu tun haben.

SN: Dauern die letzten Tage der Menschheit also ewig?

Eigentlich ist dieses Stück eine große Erhellung. Es wirft ein Licht auf die heutige Zeit. Man sieht sehr schnell, dass wir in ähnlichen Systemen leben wie die Welt damals, dass wir uns denselben Abhängigkeiten ausliefern. Ich erschrecke, wenn ich klar sehe: Wir machen ein Stück für die heutige Zeit. Es klingt vieles, als sei es eben erst geschrieben. Ich habe nicht das Gefühl, ein Stück aus einer anderen Epoche zu inszenieren. Es fühlt sich für mich an wie eine Uraufführung.

SN: Wie wird das auf der Bühne aussehen?

Wir tun alles, damit man, was man da sehen wird, nicht einfach in eine vergangene Zeit zurückschieben kann, dass man sich da nicht auf ein historisches Schwarz-Weiß-Bild ausreden kann. Illustratorische Elemente gibt es nicht. Es geht um ein heutiges Bild von Gesellschaft.

SN: Das klingt nach einem Theater, das Anspruch auf ein Mitreden in der gesellschaftlichen Diskussion hat.

Theater ist nach wie vor ein öffentliches Forum. Es ist ein öffentlicher Diskurs, auch wenn pro Abend nur 700 Leute da sind. Ich glaube an die wichtige Aufgabe des Theaters auch oder erst recht in einer Zeit, in der sonst alles über Screens läuft und es nur mehr um Verwertung von Meinungen geht.

SN: Sie haben unter anderem bei Ihren Arbeiten im Hausruck Theater und Wirklichkeit sowohl thematisch als auch, was den Spielort betrifft, nahe zueinander gebracht. Ist das vorbei?

Wo Theater und Realität ineinandergreifen, spüre ich die größte Faszination. Vielleicht gibt es auch im Hausruck wieder einen Versuch, diese Art von Theater zu beleben.

Diese Idee, dass Theater ins Leben greift, das ist der Pulsschlag, den ich brauche. Es geht darum, eine direkte Betroffenheit zu erzeugen. Das ist ein besonderer Reiz.

SN: Ist das Salzburger Landestheater innerhalb des Traditionskulturtankers Festspiele nicht der falsche Ort?

Nein. In dieser Umgebung der Festspiele vermag ja genau dieses Stück auch die Grenzen des Theaterraums zu sprengen, weil es viel Aufmerksamkeit dafür gibt.

SN: Wären die Industriehallen auf der Pernerinsel für "Die letzten Tage der Menschheit" nicht der bessere Ort gewesen?

Ja klar, das hätte tolle Möglichkeiten geboten. Aber da gab es nichts mehr einzugreifen, als ich kam. Mit einer langen Vorbereitungszeit und auch auf dem gesamten Gelände - da drängte sich für dieses Stück die Pernerinsel geradezu auf. Aber auch die Beschränkung auf die Guckkastenbühne hat Vorteile: Alles wird verdichtet und so in seiner Tragweite umso erschütternder.

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