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Harnoncourt: "Diese Oper ist ein ewiges Rätsel"

"Bei der ,Zauberflöte‘ kommt man nie an", sagt Dirigent Nikolaus Harnoncourt über jene Oper, die kaum jemand so gut kennt wie er. Für Salzburg hat er neuerlich das Faksimile studiert und wieder Details entdeckt.

Harnoncourt: "Diese Oper ist ein ewiges Rätsel"
Harnoncourt: "Diese Oper ist ein ewiges Rätsel"
Er werde in Zukunft keine weiten Dirigierreisen mehr unternehmen, erzählt Nikolaus Harnoncourt im SN-Gespräch. Salzburg ist nah genug, sodass sich heuer hier sogar eine Oper ausgeht: "Die Zauberflöte". Die zweite Oper aus Mozarts letztem Lebensjahr, "La clemenza di Tito", hat Harnoncourt hier 2003 und 2006 geleitet.

SN: Gibt es für die Opern "Zauberflöte" und "Titus" Gemeinsamkeiten?

Harnoncourt: Man muss die ganze Produktion des letzten Lebensjahres von Mozart - das Klarinettenkonzert, das Klarinettenquintett, die späten Tänze für den Hof, das Requiem, "Titus" und "Zauberflöte" - als Einheit betrachten. In diesen Werken hat er zu einer neuen Tonsprache gefunden. Er instrumentiert anders, sein melodisches Denken hat sich geändert. Er komponiert einfach, dennoch tief. Das war sein Schritt ins 19. Jahrhundert. Er wäre - hätte er länger gelebt - sicher der bestimmende Komponist des Wiener Kongresses gewesen.

SN: Hat dieser neue Tonfall mit der deutschen Sprache zu tun? Schon in der "Entführung" ahnt man ja an manchen Stellen Wagner.

Harnoncourt: Wagner hört man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder durch. Er selbst wurzelt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

SN: Das hört man stärker, wenn man Wagners Musik nicht mit modernen Blechblasinstrumenten - vor allem Posaunen - spielt. Wenn man die dynamischen Anweisungen wortwörtlich nimmt, sind sie viel zu laut.

Harnoncourt: Und zu breit im Klang. Aber in Wirklichkeit sind nicht die Posaunen die Übeltäter. Das eigentliche Problem ist die Tuba. Die Posaunisten haben ihr Instrument nur nach und nach den jeweils modernsten Tuben angeglichen. Das hat den Orchesterklang nachhaltig verändert.

Die modernen Posaunen haben in einem klassischen oder romantischen Orchester nichts verloren. Als ich die "Missa solemnis" vorbereitete, schrieb ich dem Concertgebouw-Orchester in einem Brief, welche Instrumente ich nicht haben wollte und welche ich am liebsten gehabt hätte.

SN: War das Ihr Argument für eine "Zauberflöte" auf historischen Instrumenten?

Harnoncourt: Das war nicht meine Idee. Der neue Intendant wollte "Die Zauberflöte" mit alten Instrumenten, so ist das Ganze beim Concentus gelandet. Alexander Pereira hatte vorher die Wiener Philharmoniker gefragt. Die haben bei einer Orchesterversammlung abgestimmt und Nein gesagt.

SN: Welche Aufführungsprobleme gibt es für Sie bei der "Zauberflöte"?

Harnoncourt: Es gibt auf Grund der Editionssituation viele ungeklärte Fragen. Auch die Neue Mozart-Ausgabe ist eine Katastrophe. Aber jetzt kann ich zumindest auf eine gute Faksimile-Ausgabe zurückgreifen.

SN: Geht es da nicht oft um Kleinigkeiten?

Harnoncourt: Es sind nie Kleinigkeiten! Wenn Mozart ein Tempo korrigiert und ein "Molto allegro" über einen Satz schreibt, wo vorher "Allegro assai" stand, ist das bedeutungsvoll. Bei Ausbesserungen sieht man, wie der Komponist zu einer bestimmten Lösung gekommen ist. Es gibt Stellen, wo das markant ist, wie die Arie des Monostatos "Alles fühlt der Liebe Freuden".

SN: Was oft so ausgelegt wird, dass das so wahnsinnig schnell sein muss.

Harnoncourt: Auf der anderen Seite gibt es Stellen wie den Finalchor "Wenn Tugend und Gerechtigkeit", die viel zu langsam gemacht werden. Das ist das schnellste Tempo des Werks, noch dazu eines, das in eklatantem Widerspruch zum Text steht. Da muss man sich schon fragen: Wie kommt Mozart auf dieses Tempo?

Die "Zauberflöten"-Musik enthält viele Geheimnisse. Das beginnt bei der Ouvertüre, mit der unkonventionellen Betonung auf der vierten Note, den drei Akkorden und dem Passus duriusculus, dem markanten chromatischen Quartfall abwärts. Das ist in der Musikrhetorik das Tragischste und Ärgste, was es gibt. Es bedeutet: Passt auf, es ist zwar ein Märchen, aber es könnte etwas Schreckliches passieren! Und dann die Tonarten: Die Haupttonart der "Zauberflöte" ist Es-Dur. Die große Menschheitsarie "In diesen heil’gen Hallen" müsste eigentlich auch in Es-Dur sein. Aber sie steht in E-Dur. Warum? Weil da haufenweise Sachen drinnen sind, die total gegen den Text komponiert sind. Die Musik erzählt von den inneren Widersprüchen Sarastros.

Mir kommt das menschlich vor, dass Sarastro nicht nur-bös oder nur-gut ist. Alle Personen im Stück sind so: Tamino ist alles andere als ein Held. Ein Held kommt nicht auf die Bühne und ruft "Zu Hilfe!". Zugleich ist er aber auch mutig. Je mehr man versucht, die Figuren einzuschachteln, desto weiter entfernt man sich vom Stück.

SN: Was muss man, um "Die Zauberflöte" zu verstehen, von der Freimaurerei wissen?

Harnoncourt: Es stammen zwar viele der Zeremonien der Oper aus dem freimaurerischen Kontext. Aber das ist fürs Verständnis der "Zauberflöte" letzten Endes unwesentlich. Das könnten auch Rituale sein, die von anderswoher stammen.

"Die Zauberflöte" ist kein Freimaurer-Stück. Sie ist eher eine Oper, in der viel vom Tod gesprochen wird. Alle drei Hauptfiguren machen Selbstmordversuche, alle drei fallen in Ohnmacht.

SN: Welche Art von Oper ist also diese "Zauberflöte"?

Harnoncourt: "Die Zauberflöte" ist ein Solitär. Sie lässt sich nirgendwo einordnen, hat keine Vorgänger und keine Nachfolger. Sie ist ein ewiges Rätsel. Zugleich ist sie ein in ihrer Art perfektes Werk.

SN: Oft wird gesagt, "Die Zauberflöte" sei eine Oper für Kinder.

Harnoncourt: Man könnte mit dem gleichen Recht sagen, es ist eine Oper für Philosophen, weil darin die großen Fragen der Aufklärung und Humanität angesprochen werden. Und der musikalische Reichtum der "Zauberflöte" ist unendlich.

Ich meine, für Mozart waren mit "Così fan tutte" die Möglichkeiten der Dialogoper ausgeschöpft. Was hätte da noch kommen sollen? Mit "Titus" hat er eine ganz alte Art von Oper modernisiert und damit eine neue Sache erfunden. Das haben wir in Salzburg recht gut gemacht. Bei der "Zauberflöte" aber kommt man nie an.

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