Schon lange vor Corona war Einsamkeit ein tief greifendes soziales Problem. Während der Pandemie sind noch mehr Menschen in die Isolation geschlittert. Um eine Allianz gegen Einsamkeit zu bilden, laden das Bildungshaus St. Virgil und die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) nächste Woche zur Fachtagung "Einsamkeit - die Kraft der sozialen Kontakte" ein.
"Es nehmen 25 Institutionen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teil", sagt der Direktor von St. Virgil, Jakob Reichenberger. Ziel sei es, Kräfte zu bündeln, Initiativen zu vernetzten, Synergien zu schaffen und die vielen Aspekte von Einsamkeit bewusst zu machen. "Dabei sollen neue Kooperationen entstehen, die dann konkret für Menschen wirksam werden."
Unter Einsamkeit leiden keineswegs nur ältere Menschen. "Auch viele Jugendliche sind einsam, weil in ihrem Leben die Sozialen Medien oft echte Sozialkontakte ersetzen", betont Johanna Grössinger von der ÖGK. Auch pflegende Angehörige hätten oft kaum Freiraum, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. "Körperliche und psychische Erkrankungen, Arbeitslosigkeit und Armut schließen ebenfalls viele Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe aus." Wegen der Vielschichtigkeit des Problems brauche es verschiedene Lösungsansätze.
Während der Tagung wird das Thema deshalb nicht nur in Fachvorträgen erörtert. In 15 Foren werden verschiedene Aspekte von Einsamkeit diskutiert - von Wohnen über Armut und seelische Gesundheit bis zu Digitalisierung.
Aus Bregenz reist zur Podiumsdiskussion am Dienstagabend Kriemhild Büchel-Kapeller an. Sie arbeitet beim Land Vorarlberg im Büro für freiwilliges Engagement und Beteiligung. "Gute Beziehungen sind das Fundament für ein gelingendes Leben und stärken die Resilienz der Menschen und der gesamten Gesellschaft", betont sie. Einsamkeit mache nachweislich krank und verursache außer dem individuellen menschlichen Leid enorme volkswirtschaftliche Kosten. "Daher gibt es in Großbritannien oder in Japan ein Einsamkeitsministerium." Es sei wichtig, das Thema ganzheitlich zu betrachten und als Querschnittsthema zu begreifen, das mehrere politische Ressorts betreffe. Die Stadt Hohenems habe kürzlich das Projekt "Geborgenheit in Ems" gestartet, schildert Büchel-Kapeller. Damit wolle die Stadt auf die Faktoren reagieren, die zu gesundheitlichen und sozialen Folgen von Einsamkeit im Alter führen. "Daraus ist auch ein monatlicher Stammtisch entstanden, damit sich Gleichgesinnte vernetzen und Angebote entwickeln können, die sie mithilfe der städtischen Einrichtungen umsetzen."
Götzis habe vergangenes Jahr ein Pilotprojekt unter dem Motto "Positive Psychologie - Engagement - Einsamkeit" gestartet, bei dem Betroffene und die Verwaltung kooperiert haben.
Büchel-Kapeller verweist auch auf die "Freundeskreise" in Finnland: Es handelt sich um eine psychosoziale Gruppenrehabilitation für alte Menschen, die sich einsam fühlen. Maximal acht Leute treffen sich zwölf Mal in drei Monaten, um neue Beziehungen aufzubauen. Auch gemeinsame Aktivitäten sind eingeplant. Begleitet wird die Gruppe von Sozial- und Gesundheitsfachpersonen und Freiwilligen, die in einem speziellen Training für die Gruppenleitung ausgebildet wurden. Ein Ziel ist, die Eigeninitiative zu fördern und die Gruppe zu ermutigen, sich in Folge selbstständig zu treffen. Die Evaluierung hat ergeben, dass das Modell sehr effektiv ist und daher wurde es weit verbreitet.
In Deutschland gebe es sogenannte "Wohlfühlanrufe". Das sind Hausbesuche per Telefon von Ehrenamtlichen, die speziell geschult sind.
Info: Die Fachtagung am 29. und 30. November in St. Virgil richtet sich an alle, die sich beruflich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigen. Sie steht allen Interessierten offen, Anmeldungen sind noch möglich: anmeldung@virgil.at
www.virgil.at/einsamkeit