Den Unternehmen gehen die Mitarbeiter aus. Der Wiener Unternehmensberater und Autor Andreas Salcher fordert ein klares Investment in soziale Beziehungen ein, um dem Mangel zu entgegnen.
Führt eine generelle Arbeitszeitverkürzung zu einem glücklicheren Leben? Andreas Salcher: Ich halte wenig davon, das Leben mit der Stoppuhr in Arbeit und Freizeit einzuteilen. Ein Drittel unseres Lebens besteht aus Arbeit, daher ist es nicht besonders intelligent, dieses so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Arbeit kann Spaß machen, Sinn geben und Selbsterfahrung ermöglichen. Die Idealisierung der Freizeit bringt uns nicht weiter.
Ist das nicht eine sehr idealisierte Vorstellung der Arbeitswelt? Freude am Alltag ist möglich, wenn die Arbeit einen Sinn ergibt und selbstbestimmt ist. Darüber hinaus macht Arbeit nur dann Freude, wenn eine hohe Autonomie ermöglicht wird. Fremdbestimmtheit führt zur Frustration.
Das heißt, Arbeitnehmer, die eine Viertagewoche fordern, sehen die positiven Aspekte der Arbeitswelt nicht? Es ist eine gefährliche Wette auf die Zukunft. Vor fünf bis sieben Jahren sprachen wir noch davon, dass uns die Arbeit ausgeht. Es kann wieder zum Zustand kommen, dass sich die Wirtschaft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im großen Maße aussuchen kann. Wer am Beginn seiner Arbeitskarriere schon weniger arbeitet, wird nicht exzellent werden. Gut wird man nur, wenn man bestimmte Dinge intensiv macht. Im Sport ist das unumstritten - es braucht den persönlichen Einsatz. Auch Freizeit ist nicht nur positiv. Schauen wir uns an, wie viele im Stau stehen, da alle zur gleichen Zeit am letzten Schultag im Sommer auf Urlaub in den Süden fahren. Wir brauchen mehr Muße, nicht mehr Freizeit. Muße kann selbstbestimmt verwirklicht werden.
Zurück zur Fremdbestimmung. Ist in Ihrem Idealbild dann jeder selbstständig erwerbstätig? Es gibt die Selbstbestimmungstheorie, die besagt, dass drei Aspekte motivieren: Kompetenzerfahrung, Autonomie und soziale Eingebundenheit in ein Unternehmen. Wenn Unternehmen all das anbieten, bekommen sie Menschen, die nicht auf die Arbeitszeitstoppuhr schauen und bereit sind, mehr zu leisten. Das geht auch im Angestelltenverhältnis.
Es gibt Berufe, die nahezu gänzlich fremdbestimmt sind. Wie ist Ihr Konzept dort umsetzbar? Ich habe mich mit den Müllabfuhrmitarbeitern der MA 48 beschäftigt. Diese lieben zum Großteil ihren Job, weil sie Bewegung haben, an der Luft arbeiten und so Erfüllung finden. Sie sehen einen Sinn in ihrer Tätigkeit und fühlen sich von der Gesellschaft dafür wertgeschätzt.
Konkret gesprochen: Was müssen Unternehmerinnen und Unternehmer bieten, um dem Personalengpass zu entgehen? Wenn Unternehmen strikte Arbeitszeiten, keinen Teamgeist und keine Flexibilität bieten, werden die Menschen zwar kommen - jedoch die Erfüllung in der Freizeit suchen. Wer eine Identifikation mit dem Unternehmenszweck ermöglicht, wird Erfolg haben.
Mit welchem Wertekonstrukt ist ein Unternehmer, eine Unternehmerin im Jahr 2023 gut unterwegs? Unternehmen müssen sich mehr anstrengen, um Menschen zu gewinnen. Das geht vor allem auch mit Wertschätzung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es braucht daher das gezielte Investment in die menschlichen Beziehungen. Unternehmen, die nur mehr rationalisieren, werden ihre Mitarbeiter ins Burn-out führen.
Ist das eigentliche Problem nicht, dass uns viele Dinge im Alltag ablenken und überfordern - Stichwort Smartphone? Absolut. Ein typisches Beispiel ist Social Media. Der typische Österreicher verbringt einen halben Tag pro Woche mit völlig sinnlosen Social-Media-Inhalten. Das hört sich wenig an, aber wir verbrennen 26 Tage pro Jahr sinnlose Lebenszeit dadurch.
Was raten Sie Menschen, die erschöpft sind vom Alltag? Ich rate ihnen, öfter das Zauberwort Nein zu nutzen und sich die Fragen zu stellen: Muss ich all das tun? Und will ich es tun? Wenn man intrinsisch beschließt, ich muss und will nicht, dann sollte ich es lassen und dafür Ja sagen zu den Dingen, die Freude bereiten. Beispielsweise mit dem Cabrio durch die Toskana zu fahren oder mit der Partnerin nach Paris zu reisen. Das ständige Aufschieben von Dingen, die wir gerne tun würden, stresst uns auch.
Wir leben in einer Zeit der Rekordinflation. Menschen können sich die Energierechnung nicht mehr leisten. Eine Fahrt im Cabrio durch die Toskana ist wohl das geringste Problem vieler. Wenn ich mir das Essen und die Wohnung nicht leisten kann, kommt die Angst mit ins Spiel. Die Angst beinhaltet aber auch die Chance, sich neu aufzustellen. Es gilt auch in schwierigen Zeiten dankbar zu sein. Es geht um Selbstverantwortung statt Schuldzuweisung gegenüber anderen und der Gesellschaft.
Wie lautet Ihre Erfolgsformel, um resilienter durchs Leben zu gehen? Die tiefe Überzeugung und das Grundvertrauen ins Leben. Das muss man sich erarbeiten. Ich hatte viele Krisen in meinem Leben und habe sie bewältigt. Auch die härteste Krise muss als Chance gesehen werden. Fakt ist: Es kann in jeder Situation besser werden. Menschen, die in einer Krise sind und allein sind, tun sich allerdings schwer. Daher ist das familiäre Umfeld entscheidend. Wichtig ist auch, dass ein Gefühl besteht, trotz der Krise das Leben weiterhin steuern zu können.
Sind wir als Gesellschaft dabei, uns vom Zeitalter der Wachstumsökonomie dem Gemeinwohl zuzuwenden? Das sehe ich nicht so. Ich kenne keinen Staat, in dem die Gemeinwohlökonomie funktioniert. Österreich hat ohnehin eine gute soziale Absicherung. Wie wir sehen, nimmt die Weltbevölkerung stetig zu. Diesem Wachstum können wir nur mit ökonomischem Wachstum begegnen. Als Gesellschaft brauchen wir Wachstum, aber in den richtigen Bereichen.
Braucht es nicht eine Nuance von Gemeinwohlsinn, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen? Die Wirtschaft muss sich transformieren. Auch Einzelne leben schon nachhaltiger und kaufen nachhaltiger ein. Wichtiger wird jedoch die technische Transformation sein. Es gibt Methoden, um CO2 aus der Atmosphäre zu bringen. Menschen sind verführbar. Mit Verzicht allein wird es daher nicht gehen - daher brauchen wir technologische Lösungen, um das Klima zu schützen. Schlussendlich bin ich ein Optimist. Der menschliche Fortschrittsgeist hat viele Krisen bewältigt.
Zur Person
Der Autor und Unternehmensberater Andreas Salcher gastierte auf Einladung der Industriellenvereinigung im Salzburg Congress. Sein Buch
"Die große Erschöpfung" ist im Verlag edition-a erschienen.