Mein Gott, wer hat denn das gebaut? Und: Wer hat denn das erlaubt, dass es gebaut werden durfte? Fragen wie diese fallen einem sofort ein, wenn man das aktuelle Buch der 42-jährigen deutschen Kunsthistorikerin Turit Fröbe durchblättert. Auf 180 Seiten listet sie auf, was allgemein unter dem Begriff "Bausünde" firmiert. Einfamilienhäuser, deren Fassaden gerade noch ein Fenster, meist rechts oben platziert, aufweisen. Erker, die in Form von schwarzen Rieseneiern den Rest des Gebäudes schier zu erdrücken scheinen. Autobahnen inklusive grauer und dominanter Lärmschutzwände unmittelbar neben grauen Wohnhäusern. Das und noch vieles andere mehr.
In ihrem Buch "Die Kunst der Bausünde" (Quadriga Verlag) fordert Fröbe aber unterm Strich Gerechtigkeit für Bausünden. Ihre Grundsatzthese: Bausünde ist nicht gleich Bausünde, es gebe gute und schlechte Bausünden. Manches sei bloß aus der Mode gekommen, einiges sei bereits als Fehlplanung entstanden und anderes erst nachträglich durch Anbauten, Überformung, Anstrich oder Dekoration in den Stand der Bausünde erhoben worden. "Je mehr Ablehnung und Unverständnis sie beim Betrachter auslöst, je größer ihr Störfaktor im Stadtbild ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sich entweder um die Spektakelarchitektur eines Stararchitekten oder um eine gute Bausünde handelt, die ebenfalls eine Bereicherung für ihre Stadt sein kann", sagt Turit Fröbe. Zwölf Jahre lang hat sie mit ihrer Kamera Ausschau nach gebauten Verirrungen, Absonderlichkeiten aus Beton, Stahl und Glas, nach jäh ins Auge stechenden Architekturobjekten gehalten.
Eine "gut gemachte Bausünde" könne, so die 42-Jährige, eine echte Alternative zu mittelmäßiger Architektur sein. Allerdings: Gute Bausünden seien rar, die negativen Beispiele würden in der Alltagsarchitektur dominieren. Und so lenken ihre Fotos den Blick auf das Ungewöhnliche, das Verquere, das Skurrile oder das einfach schlecht Geplante in der unmittelbaren Umgebung. Turit Fröbe spricht von den "kleinen Rätselhaftigkeiten", die für die Betrachter und wohl nur für die schon wieder einen gewissen Charme aufweisen: "Wenn Fenster vergessen wurden, der Abstand von der Balkonfassade zum Nachbarhaus nur einen halben Meter beträgt oder die Dachrinne durchs Wohnzimmer geführt wird."
Bausünden würden, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Studiengang Architektur der Universität der Künste in Berlin, viel über die Stadt, in der sie zu finden sind, verraten. Keinesfalls seien sie austauschbar. Fröbe präsentiert etwa das extravagant-bunte "Happy Rizzi House" aus Braunschweig, schwarz-gelbe Quadratorgien einer Straßenbahnhaltestelle in Hannover oder Balkonfestspiele aus Nürnberg, die an mittelalterliche Festungsbauten erinnern.
Ein Kapitel im Buch ist den "Schizohäusern" gewidmet. Doppelhaushälften, die von den jeweiligen Besitzern äußerlich mit "größtmöglichem Kontrast" gestaltet sind. Links dezentes Hellblau und Holz, rechts knallbunter Dekorationskitsch. Kann denn Bauen Sünde sein? Manchmal ja.