Nermina Dogic vermittelt Pflegepersonal: "Viele Menschen können sich die Betreuung nicht leisten"
Mit 25 Jahren hat Nermina Dogic nicht nur ihr Jusstudium abgeschlossen, sondern auch eine bestehende Pflegeagentur übernommen. Die junge Frau kennt das Thema ebenso von der anderen Seite: Nermina ist seit ihrer Geburt auf einen Rollstuhl angewiesen. Die SN haben sie in ihrem Büro besucht. In der neuen Folge von "Die gefragte Frau" sprechen wir über die Baustellen im Pflegesystem in Österreich, wie sie sich als junge Geschäftsführerin durchgesetzt hat und über die teils mangelnde Barrierefreiheit in Österreich.

Hohe Nachfrage nach Pflege und Betreuung zu Hause
"Die Nachfrage ist sehr hoch. Es vergeht kein Tag, an dem wir keine Anfragen bekommen", erzählt Nermina. Die 28-jährige Salzburgerin hat vor zwei Jahren eine bestehende Pflegeagentur übernommen. "Die Pflegeagentur" bietet österreichweit stundenweise Betreuung und Hauskrankenpflege sowie 24-Stunden-Betreuung für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen an, angefangen bei Kindern bis hin zu älteren Menschen. "Meist passiert es plötzlich, dass jemand auf Pflege angewiesen ist. Vor allem im Fall der 24-Stunden-Pflege haben viele Menschen Sorgen, wenn auf einmal eine fremde Person ins Haus kommt", berichtet Nermina von ihren Erfahrungen. Mit ihrer Agentur möchte sie Betroffenen das Leben erleichtern und derartigen Ängsten entgegenwirken.
"Hinzu kommt, dass ich eine junge Frau bin und Migrationshintergrund habe"
Als Geschäftsführerin wurde Nermina sowohl von Angestellten als auch von Klientinnen und Klienten gut aufgenommen. Sie habe allerdings lernen müssen, dass man es nicht allen recht machen könne. "Im ersten Moment stehen mir viele Leute sicher skeptisch gegenüber. Neben meiner Behinderung kommt ja hinzu, dass ich eine junge Frau bin und Migrationshintergrund habe", sagt die Juristin. Da Nermina selbst im Rollstuhl sitzt, traue man ihr aber zu, dass sie sich daher beim Thema Pflege besonders gut auskenne, und auch ihre gute Ausbildung überzeuge stets.
Betreuung zu Hause als wichtige Säule im Pflegesystem
Die Personalsituation sei wie überall in der Pflegebranche eine Herausforderung. "Die Menschen werden immer älter, Krankenhäuser sind überlastet. Wir sagen immer, dass die Betreuung zu Hause neben den Krankenhäusern, Seniorenheimen und Rehazentren die vierte Säule im Pflegesystem bildet", betont die Juristin. Der Pflegeberuf müsse daher dringend attraktiver gemacht werden, vor allem in Hinsicht auf Arbeitsbedingungen und Gehalt.
Landesförderung für Pflege zu Hause
Im österreichischen Gesundheitssystem ortet die Expertin weitere Baustellen. Das größte Problem sieht sie in der Finanzierung von Pflegebetreuung zu Hause. "Wir verlangen eine Landesförderung, die Familien unterstützt. Diese gibt es bereits in Vorarlberg, in der Steiermark und im Burgenland, Salzburg sollte hier mitziehen", fordert Nermina. Sie sei bereits in Gesprächen mit dem zuständigen Landesrat Pewny. Aber auch bei der Bundesförderung müsse sich dringlich etwas ändern, etwa müsse die Einkommensgrenze, um die Förderung zu erhalten, erhöht werden. "Viele können sich professionelle Pflege zu Hause nicht leisten, das bleibt dann leider an den Familienmitgliedern hängen", erzählt sie.
Inklusion: "Es ist bei Weitem noch nicht so, wie es sein könnte"
Und welche Erfahrungen hat Nermina in Hinsicht auf Inklusion und Barrierefreiheit selbst erlebt? "Zum ersten Mal wurde meine Behinderung zum Problem, als ich im Zug meiner Lehre mit Matura auf der Suche nach einer Lehrstelle war", erzählt Nermina. Viele Arbeitgeber hätten sich vor dieser Herausforderung gefürchtet oder wären nicht dazu bereit gewesen, den Weg mit ihr zu gehen. Mit ihrer Lehrstelle bei der AUVA war sie dann sehr zufrieden. Oft scheitere es in Österreich bereits an der Barrierefreiheit der Gebäude. "Auch an meinem Unistandort musste ich zum Beispiel meinen Rollstuhl umbauen, um einen Lift nutzen zu können", berichtet Nermina. Außerdem fehle es meist an Behindertentoiletten. "Es ist bei Weitem noch nicht so, wie es sein könnte", sagt sie. Nermina wünscht sich mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die täglichen Probleme von Menschen mit Behinderung.