Sportdirektor und Trainer weg, den Toptorjäger nach Monaco verkauft und ein Finish, in dem fast die gelernten Stürmer ausgingen: Sturm Graz war gezwungen, sich nach dem historischen Double-Erfolg in einer Champions-League-Saison immer wieder neu zu erfinden. Der Lohn ist die erfolgreiche Titelverteidigung wie einst 1999 auf 1998, und die erneute Aussicht auf die Königsklasse. Dieses Mal allerdings muss eine letzte Quali-Hürde übersprungen werden.
Leise Töne, lauter Rückhalt
Die Mechanismen des modernen Fußballs machen auch vor Graz nicht Halt. Die langjährigen Erfolgsmänner Christian Ilzer und Andreas Schicker folgten Verlockungen, Jürgen Säumel und Michael Parensen übernahmen. Mit dem neuen Duo hielten leisere Töne Einzug, der Rückhalt auf vollen Tribünen aber blieb frenetisch laut. Der Erfolg blieb auch, Graz ist weiter Österreichs Fußball-Hauptstadt - und trägt das selbstbewusst zur Schau. Wohlwissend um die Salzburger Dominanz, die seit dem Red-Bull-Einstieg in 20 Jahren nur sechsmal gebrochen werden konnte. Dreimal von Sturm. Einen Wiederholungstäter, der nicht Salzburg heißt, gab es in der RB-Ära bis heuer noch nicht.
Säumel, der einstige Jung-Kapitän als Spieler, darf sich nach seiner Debütsaison im Oberhaus gleich Meistertrainer nennen. Der 40-jährige Seitenlinien-Stoiker verwaltete das Ilzer-Erbe mit Bedacht und Pragmatismus. Was mit Säumel geschehen wäre, hätte Sturm das Derby nicht im Finish noch gedreht, wird nachträglich keine Historiker beschäftigen.
Ein Mannschaftskern um Otar Kiteishvili, die Autorität im Sturm-Spiel schlechthin, Jon Gorenc Stankovic, Gregory Wüthrich und Dimitri Lavalée, allesamt routiniert und etabliert, hielt das Schiff bei Gegenwind auf Kurs. Wer Meister ist, weiß, wie er es geworden ist. William Böving war in Abwesenheit eines echten Torjägers zur Stelle. Malick Yalcouyé brachte Lauffreudigkeit und Spielwitz aufs Erfolgskonto ein, und der 2,06-m-Riese Kjell Scherpen pflückte die Bälle verlässlich aus der Luft.
Ein Umbruch ist möglich
Einige Schlüsselkräfte, nicht nur die Leiharbeiter Yalcouyé und Scherpen, werden weiterziehen, der Umbruch könnte sogar größer ausfallen. Parensen kann nun erstmals wirklich seine Handschrift als neuer Sportchef einbringen. Sturms Festgeldkonto ist gefüllt, der teuerste Sturm-Kader der Geschichte wird im Streben um Bestätigung nicht zwangsläufig billiger werden. Neue, wie ein Knipser vor dem Tor, würden dem Spiel guttun.
Anzeichen, dass die Kernöl-DNA nicht nur auf dem Papier besteht, gibt es auch. Eigengewächse wie Leon Grgic und Jacob Peter Hödl haben ihre Bewerbungen für größere Rollen abgegeben. Während Infrastruktur-Pläne verschiedener Art dank Rekordeinnahmen voranschreiten, ist die Stadion-Misere bisher ungelöst. Die von Sturm forcierte Renovierungslösung für Europacup-Tauglichkeit am aktuellen Standort Graz-Liebenau liegt am Tisch. Die Finanzsituation der öffentlichen Hand jedoch ist trist. In welchem Stadion Österreichs Meister die kommende Europacup-Saison bestreiten wird, wollte der Club bisher nicht verkünden.