Als 1950 in Silverstone das erste WM-Rennen in der Geschichte der Formel 1 stattfand, hatten wohl nicht einmal die kühnsten Optimisten der Rennserie eine solche Entwicklung zugetraut. 75 Jahre nach der Geburtsstunde der Königsklasse des Motorsports pilgerten am Wochenende sage und schreibe 500.000 Besucher an die Rennstrecke. Ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Formel 1 weiterhin im Aufwind befindet.
Den Fans vor Ort wurde beim Grand Prix von Großbritannien eine Menge geboten. Nachdem sich Weltmeister Max Verstappen mit seinem Red Bull im Qualifying am Samstag zum wiederholten Mal dank einer absoluten Fabelrunde und einem kleinen Heckflügel überraschend die Pole Position sicherte, sorgte tags darauf die regennasse Fahrbahn für ein sehr ereignisreiches Rennen. Noch vor dem Start des Grand Prix wechselten einige Piloten am Ende der Einführungsrunde auf Trockenreifen. Die wechselhaften Bedingungen stellten die Fahrer von Beginn an vor große Herausforderungen - mehrere virtuelle Safety-Car-Phasen waren die Folge. Als es noch vor Rennhälfte wieder stärker zu regnen begann, musste auch das reguläre Safety-Car ausrücken.
Piastri und Verstappen machten Fehler
Das Ende dieser Safety-Car-Phase wurde zum Schlüsselmoment des zwölften WM-Laufs der aktuellen Saison. McLaren-Pilot Oscar Piastri, der die Führung von Verstappen übernommen hatte, bremste unmittelbar vor dem Re-Start abrupt ab. Verstappen, der mit dem kleinen Heckflügel unter nassen Bedingungen schwer mit seinem Red-Bull-Boliden zu kämpfen hatte, konnte daraufhin eine Kollision nur knapp vermeiden. Doch der Plan Piastris ging zumindest vorerst auf. Verstappen ließ sich durch das Manöver des WM-Leaders aus dem Konzept bringen und drehte sich. Nach einer Aufholjagd kämpfte sich der viermalige Weltmeister immerhin noch vom zehnten Platz auf den fünften Rang nach vorn. Zufrieden war der 27-jährige Niederländer damit freilich nicht. "Das Auto ist einfach unfahrbar", klagte Verstappen.
Piastri kassierte Strafe
Ein Nachspiel hatte das unfaire Manöver für Piastri. Der 24-jährige Australier kassierte für sein abruptes Bremsen eine Zehn-Sekunden-Strafe und beraubte sich damit selbst aller Chancen auf den Sieg. Der ging wie schon in der Vorwoche beim Grand Prix von Österreich auch in Großbritannien an Lando Norris. Der McLaren-Pilot verkürzte mit seinem vierten Erfolg in der laufenden Saison den Rückstand in der WM auf seinen Teamkollegen, der den nächsten Doppelsieg für den britischen Traditionsrennstall perfekt machte, auf acht Punkte. Noch wichtiger als die WM-Wertung war Norris am Sonntag aber der Triumph vor 168.000 Zuschauern bei seinem Heimrennen. "Das ist einfach unglaublich", jubelte Norris.
Hülkenberg erstmals auf dem Podest
Wie ein Sieger fühlte sich in Silverstone auch Nico Hülkenberg. Der Sauber-Pilot ging nach einem verkorksten Qualifying nur vom 19. Startplatz in das Rennen, machte am Sonntag aber keinen einzigen Fehler und fuhr so bis auf den dritten Rang nach vorn. Dieses Ergebnis war gleich aus zweifacher Sicht historisch. Zum einen fuhr der 37-jährige Deutsche in seinem 239. Formel-1-Rennen zum ersten Mal auf das Podest. Zum anderen jubelte der Sauber-Rennstall zum ersten Mal seit dem Grand Prix von Japan 2012 über eine Podiumsplatzierung. "Es ist das überfälligste Podium in der Geschichte der Formel 1", lobte Teamchef Jonathan Wheatley Hülkenberg.
Grand Prix von Belgien Ende Juli
Auf der Strecke kehrt in der Formel 1 nun erst einmal wieder etwas Ruhe ein. Der nächste Grand Prix steht erst in drei Wochen am 27. Juli auf dem Programm. Dann gastieren Weltmeister Verstappen und Co. auf der legendären Ardennen-Achterbahn im belgischen Spa-Francorchamps. Angst vor Langeweile müssen die Formel-1-Fans in der rennfreien Zeit aber mit Sicherheit nicht haben. Denn abseits der Strecke dürfte die "Silly Season" nicht nur aufgrund der Personalie Verstappen, sondern auch wegen der unsicheren Zukunft einiger anderer Piloten an Fahrt aufnehmen.