"Das war sicher der verrückteste Tag in meiner Skisprungkarriere", sagte Stefan Kraft und fasste sich ungläubig an den Kopf. Beim Einfliegen für den samstägigen Weltcupbewerb in Vikersund segelte der Salzburger 249 Meter weit, kratzte dabei an seinem eigenen, im Jahr 2017 aufgestellten Weltrekord (253,5 m). Allerdings konnte er den Sprung nicht stehen, der hohe Landedruck drückte Kraft unweigerlich nach hinten. Der 29-jährige ÖSV-Star schlug mit dem Hinterkopf heftig auf dem Schnee auf. "Ich habe mir gedacht, ich breche mir auch beide Beine, aber zum Glück ist nichts passiert", sagte Kraft, der nach einem Medizincheck die Freigabe für den anschließenden Bewerb erhielt - und als Zweiter (239,5/227,5 m) prompt auf das Weltcuppodest flog.
Der Sieg im ersten Vikersund-Fliegen ging mit 6,1 Punkten Vorsprung auf Kraft an den Norweger Halvor Egner Granerud. Mit Respektabstand dahinter freute sich mit Daniel Tschofenig ein weiterer Österreicher über Rang drei. "Ich habe mit vielem spekuliert, aber dass ich da um das Podest mitspringe, war nie vorgesehen", meinte der ÖSV-Youngster. Michael Hayböck komplettierte als Sechster das starke rot-weiß-rote Abschneiden auf dem mächtigen Bakken.
Auch tags darauf wollte Kraft seine muskulären Probleme an Hals, Nacken und Gesäß nicht überbewerten, zeigte erneut seine Flugqualitäten - und wieder erlebte der Salzburger einen Schreckmoment: Im ersten Durchgang gelang Kraft mit 246,5 Metern der weiteste Flug des Tages, bei der Landung musste er allerdings in den Schnee greifen. Weil der ÖSV-Adler im Finaldurchgang einen blitzsauberen 235,5-Meter-Sprung folgen ließ und Granerud (219 m) nicht nachlegen konnte, feierte Kraft am Sonntag seinen 29. Weltcupsieg, den ersten in Vikersund überhaupt.
"Der erste Sprung war wieder ein ordentlicher Adrenalinkick. Dennoch bin ich stolz und megahappy mit diesem Wochenende. Für die Umstände waren es perfekte Flüge, zwei echte Traumtage für mich", sagte Kraft, der zum 13. und 14. Mal in dieser Saison auf dem Weltcupstockerl landete. Hinter Kraft und Granerud belegte der Slowene Anže Lanišek Rang drei, Hayböck musste sich 1,2 Punkte dahinter mit Platz vier begnügen.
In der Raw-Air-Gesamtwertung holte sich Granerud mit 18,2 Punkten Vorsprung auf Kraft den Siegerscheck in der Höhe von 50.000 Euro. Seit Sonntag steht der 26-jährige Norweger außerdem als Gewinner des Gesamtweltcups fest. Nachdem sein polnischer Rivale Dawid Kubacki seinen Start für das zweite Skifliegen aus nicht näher beschriebenen persönlichen Gründen abgesagt hatte, ist Granerud das Gelbe Trikot zwei Wochen vor dem Weltcupfinale in Planica nicht mehr zu nehmen. Für den Norweger ist es der zweite Gesamtweltcupsieg nach 2020/21 und nach dem Erfolg bei der Vierschanzentournee und bei der Raw-Air-Serie der nächste große Titel in diesem Winter.