Kriegsgefangenenlager Markt Pongau

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Die Geschehnisse im ehemaligen Kriegsgefangenenlager Stalag XVIII C (317) Markt Pongau bei St. Johann im Pongau sind das größte NS-Kriegsverbrechen auf Salzburger Boden.

Bezeichnung und Standort des Lagers

Stalag 317 (XVIII C) Markt Pongau

Im Wehrkreis XVIII, der neben Tirol, Vorarlberg und der Steiermark auch die Bundesländer Salzburg und Kärnten umfasste, wurden drei große Kriegsgefangenenlager errichtet, eines in Wolfsberg in Kärnten, eines in Spittal an der Drau und das dritte in Markt Pongau.

Die amtliche Bezeichnung des Kriegsgefangenenlagers war Stalag 317 (XVIII C) Markt Pongau. Stalag steht für Stammlager, XVIII ist die Nummer des damaligen Wehrkreises, Markt Pongau war die NS-Ortsbezeichnung für St. Johann im Pongau. Diesem Stammlager waren alle Kriegsgefangenen zugehörig, auch wenn sie in firmeneigenen Lagern, wie z. B. beim Bau der Tauernkraftwerke Kaprun, untergebracht waren. Vom Stalag aus wurden sie zum Einsatz transportiert und von dort erhielten sie ihre Befehle. Im Stalag wurden sie disziplinär bestraft und dorthin wurden sie nach ihrem Einsatz in firmeneigenen Lagern letztendlich auch zurück gebracht.

Russenbühel und Russenfriedhof

Der Lagerkomplex bestand aus Nord- und Südlager, befand sich nördlich des Ortszentrums von St. Johann, unterhalb der Richtung Bischofshofen führenden Bundesstraße B 311 am orographisch linken Salzachufer. Im Volksmund heißt die Anhöhe oberhalb des ehemaligen Lagers noch heute Russenbühel, die unterhalb der Bundesstraße befindliche Gedenkstätte wird allgemein "Russenfriedhof" genannt. Die Gedenkstätte selbst steht in Zusammenhang mit einer beschämenden jahrzehntelangen Nachkriegsgroteske. Der Friedhof hatte keinen Zugang. Nur das illegale Überschreiten privaten Bauerngrundes ermöglichte den Besuch der Gedenkstätte. Erst im Jahr 2009 hatten die Bemühungen einiger engagierter St. Johanner und St. Johannerinnen Erfolg. In Zusammenarbeit von Gemeinde und Grundeigentümer konnte endlich ein legaler Zugangsweg geschaffen werden.

Lager, Baracken und Großzelte

Der Plan zur Errichtung des Lagers entstand im März 1941. Die Grundstücksverhandlungen für das Nordlager begannen laut Schriftverkehr zwischen Kreisbauernschaft und Wehrkreisverwaltung in der Stadt Salzburg im April 1941. Demselben Schriftverkehr ist zu entnehmen, dass das Lager die Größe von ca. acht Hektar hatte. Die Unterkünfte wurden von verschiedenen St. Johanner Firmen erbaut und im Oktober 1941 fertig gestellt. Nach Errichtung des Nordlagers kamen die Russen, die vorher in einer der Baracken des etwas früher fertig gestellten Südlagers untergebracht waren, in das Nordlager. Im Südlager verblieben die Franzosen, Serben und Polen. Nicht belegbar ist, dass auch Engländer und Kanadier dort inhaftiert waren. Jedes der beiden Lager bestand aus ca. 25 bis 30 Holzbaracken, in denen 300 bis 500 Personen untergebracht wurden. Die Baracken sollen nach Angabe eines dort beim Bau eingesetzten Lehrlings ca. 45 bis 50 m lang gewesen sein. Sie hatten einen Mittelgang, der die Baracke in zwei gleich große Teile gliederte und in dem vier Tröge zum Waschen aufgestellt wurden. Auf einer Seite der Baracke waren Doppelgestelle mit jeweils drei Schlafstellen montiert, auf der anderen Seite war der Betonboden mit Stroh bedeckt und diente so als Schlaflager. An beiden Barackenenden befand sich jeweils ein Plumpsklo. Weder Waschtröge, noch Schlafplätze noch Klos waren für die große Anzahl der in jeder Baracke untergebrachten Gefangenen ausreichend. Zur Verbesserung der "hygienischen" Situation mussten die Kriegsgefangenen vor ihrer Baracke daher eine Latrine errichten, die aus einem zehn Meter langen Graben und einer Stange, die auf Pflöcken befestigt war, bestand. Da die Baracken zur Unterbringung der großen Zahl der Gefangenen bei weitem nicht ausreichten, wurden auch Großzelte aufgestellt, in denen die Gefangenen auch im Winter hausen mussten. Allein den geschilderten Lagerbedingungen fielen zahlreiche Menschen zum Opfer.

Zusätzlich zu den Unterkünften gab es in beiden Lagern je eine Küchenbaracke. Es soll auch eine Lazarettbaracke gegeben haben, die in einem Protokoll der Gemeindevertretung Erwähnung findet.

Noch vor Fertigstellung des Nordlagers langten die ersten Transporte mit russischen Kriegsgefangenen ein. Sie sollen zwei Wochen lang zu Hundert in einem Viehwaggon eingepfercht ohne Essen zugebracht haben. Die die Fahrt überlebt hatten, kamen mehr tot als lebendig am Bahnhof St. Johann an. Unter SS-Aufsicht wurden sie in das Lager getrieben. Nach Augenzeugenberichten kamen sie in zerlumpter und infolge von Ruhr in kot- und blutverschmierter Kleidung in das Lager. Aufgrund ihres Zustandes überlebten weitere 30 bis 40 Menschen die erste Nacht im Stalag nicht.

Belegung, Leitung, Wachmannschaft, Lagerordnung

Der Lagerkomplex, geteilt in Nord- und Südlager, war laut Plan für 8 000 bis 10 000 Gefangene und eine 1 000-köpfige Wachmannschaft ausgelegt. Die Wachmannschaft, bestehend aus Wehrmachtssoldaten, wurde großteils in der heutigen Bundesheerkaserne (Krobatin-Kaserne in St. Johann im Pongau) untergebracht. Das Lager unterstand der Wehrmacht mit dem Wehrkreiskommando Salzburg. Für die Aufrechterhaltung der Lagerordnung bediente man sich einiger Gefangener, die für Vergünstigungen als Lagerpolizei tätig wurden. Diesen 40 bis 50 Mann teilte man doppelte Essensrationen zu und rüstete sie mit Holzstöcken als Waffen aus. Darüber hinaus arbeiteten mindestens 51 Angestellte im Lagerbereich, davon 42 Frauen, alle in St. Johann im Pongau. wohnhaft.

Die Behandlung der russischen Kriegsgefangenen

Anfangs durften die russischen Kriegsgefangenen das Stalag nicht verlassen. Erst ab dem Jahr 1943 wurden auch sie Arbeitseinsätzen zugeteilt. Sie durften aber nur in geschlossenen Kommandos eingesetzt und in geschlossenen Lagern unter scharfer Bewachung untergebracht werden. Ihre magere Lagerkost bestand aus Kraut und Erdäpfeln und ihre gezielte Unter- und Mangelernährung war auch für jeden Laien unverkennbar. Erst ab August 1944, als auch ihre Arbeitskraft benötigt wurde, erhielten die russischen Kriegsgefangenen im Stalag Markt Pongau dieselben Rationen wie die Angehörigen anderer Nationalitäten.

Die russischen Kriegsgefangenen standen wie überall im Bereich der NS-Herrschaft an unterster Stelle. Erlässe aus dem Jahr 1944, in denen im Stalag Markt Pongau die Behandlung der russischen Kriegsgefangenen noch extra geregelt wurde, forderten rücksichtsloses Durchgreifen aus geringstem Anlass, was den Waffengebrauch gegenüber den Russen praktisch aus jeder Situation heraus rechtfertigte. Zumindest ein Teil der Soldaten, die als Wachmannschaften eingeteilt waren, setzte das auch in die Praxis um. Neben den ca. 40 Russen, die täglich an Unterernährung und an Krankheiten verstarben, wurden tagtäglich auch russische Kriegsgefangene praktisch vor den Augen der St. Johanner Bevölkerung erschossen.

Wie aus Protokollen der Gemeindevertretung hervorgeht, traten im Lager auch unterschiedliche Infektionskrankheiten auf. Aus Angst vor der Seuchengefahr wurde der Bevölkerung das Betreten des Lagers untersagt. Von der Wachmannschaft Ermordete und an Krankheiten und Hunger Verstorbene wurden anfangs in einem Massengrab auf dem St. Johanner Friedhof verscharrt. Nachdem dieses Grab aufgrund der Anzahl der Toten nicht mehr ausreichte, bekam das Stalag von der Gemeinde St. Johann den sog. Fischbacher-Grund. Das dort wahrscheinlich schon im Jahr 1942 angelegte Massengrab wird seither als "Russenfriedhof" bezeichnet und steht heute dort auch die nach dem Krieg errichtete Gedenkstätte, die an den Tod von 3 542 Gefangenen erinnert. Ein anderes Denkmal, das an den Tod von 167 Gefangenen erinnert, befindet sich auf dem Ortsfriedhof. Am Weg zum Schwimmbad steht ebenfalls ein Gedenkstein. Im Oktober 1944 musste neben dem Russenfriedhof auch für die Toten anderer Nationalitäten auf den Einödgründen ein weiterer Friedhof errichtet werden, da auch für sie auf dem Ortsfriedhof kein Platz mehr war.

Das Lager und die Kontakte mit der Bevölkerung

Das Lager wurde von einheimischen Firmen errichtet. Die Gefangenentransporte kamen am Bahnhof St. Johann an. Noch während der Ankunft der ersten Russentransporte waren einheimische Arbeiter mit der Fertigstellung der Baracken beschäftigt. Im Lagerbereich arbeiteten auch zivile Angestellte aus der einheimischen Bevölkerung. Die Wachmannschaften waren größtenteils in der Krobatin-Kaserne untergebracht, die außerhalb des Lagerareals liegt. Das Lager wurde von außen mit den Gütern des täglichen Bedarfs versorgt.

Bei Begegnungen russischer Kriegsgefangener mit Einheimischen beeindruckte diese nach Augenzeugenberichten der sichtlich katastrophale Zustand, in dem sich die Russen befanden. Es war bekannt, dass sich die russischen Kriegsgefangenen in ihrem Hunger auch von Gras und Würmern zu ernähren versuchten.

Zeitweise waren bis zu 30 000 vertriebene und verschleppte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter im Lager zusammen gepfercht. Sie wurden zur Zwangsarbeit auf Bauernhöfen und in Betrieben aller Art herangezogen. Im Jahr 1944 scheinen 316 Personen auf, die im Gemeindegebiet von St. Johann Zwangsarbeit verrichten. Auch die täglich zur Arbeit eingesetzten Kriegsgefangenen gehörten zum St. Johanner Alltag, gleich wie die täglichen Leichentransporte zu den außerhalb des Lagers befindlichen Massengräbern, zuerst auf den Ortsfriedhof und später zu den Fischbacher-, bzw. auch zu den Einödgründen. Es gab also in vielerlei Hinsicht Kontakte mit dem Lager, mit dem Personal und sowohl mit lebenden als auch mit bereits toten Gefangenen.

Opfer und Bestattungsorte nach Nationalitäten

In St. Johann sind nach dem heutigen Forschungsstand (Mai 2018) insgesamt 3 818 Kriegsgefangene und Zivilpersonen umgekommen. Sie sind verhungert, erfroren, wurden Opfer von Seuchen oder wurden erschossen. Vor allem von den sowjetischen Kriegsgefangenen verstarben viele bereits während des Transportes oder kurz nach ihrer Ankunft, nach zwei Wochen Fahrt zusammengepfercht und ohne Essen. Das Sterben geschah vor den Augen der einheimischen Bevölkerung und mit Wissen zahlreicher Amtsträger wie Bürgermeister, hohe Offiziere, Kreisleiter, Landesräte und Gauleiter.

  • Sowjetunion: Von den insgesamt 3 744 sowjetischen Kriegsgefangenen wurden 167 in einem Massengrab im Ortsfriedhof bestattet, 3 549 Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter liegen am "Russenfriedhof" begraben. 28 haben kein Grab, ihre Leichen sind zwecks anatomischer Verwertung in das medizinische Institut Innsbruck verbracht worden.
  • Jugoslawien: 51 jugoslawische Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter sind nach dem Zweiten Weltkrieg am "Russenfreidhof" beigesetzt worden. Die Kriegsgefangenen, die ursprünglich im Ortsfriedhof bestattet worden waren, wurden 1945 von der US-Amerikanischen Verwaltung umgebettet.
  • Frankreich: 15 französische Kriegsgefangene wurden im Ortsfriedhof bestattet, am 3. Juni 1957 exhumiert und in ihre Heimat gebracht.
  • Italien: Acht italienische Kriegsgefangene wurden im Ortsfriedhof beerdigt, am 5. September 1957 exhumiert, in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen bestattet und später in ihre Heimat gebracht.

Gedenktafel-Enthüllung

Erzpriester Georgi Kharlov und Militärkommandant Heinz Hufler enthüllten am 10. Dezember 2013, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, in der Krobatin-Kaserne eine Gedenktafel mit folgender Aufschrift:

"Nahe der Krobatin-Kaserne befand sich von 1941 bis 1945 ein Kriegsgefangenenlager, in dem Menschen als Opfer des Nationalsozialismus gelitten und ihr Leben gelassen haben. Die Kaserne selbst wurde teilweise von der Wachmannschaft genutzt."

Der Pongauer Historiker Michael Mooslechner zeigte sich erfreut über diesen Schritt, bedauert in diesem Zusammenhang aber, dass der Text auf der Gedenktafel sehr allgemein gehalten wurde und mit keinem Wort auf die Sonderbehandlung der russischen Kriegsgefangenen eingeht.

Siehe auch

Quellen

  • Roswitha Helga Gatterbauer, "Arbeitseinsatz und Behandlung der Kriegsgefangenen in der Ostmark während des Zweiten Weltkrieges", (phil. Diss.) Salzburg 1975
  • Robert Stadler, Michael Mooslechner: St. Johann/PG 1938 - 1945. Das nationalsozialistische "Markt Pongau". Salzburg, Eigenverlag 1986.
  • Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.) "NS-Herrschaft in Österreich 1938 – 1945", Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1988
  • Die Opferzahlen und die Anzahl der Stalags im Wehrkreis betreffend: Annemarie Zierlinger, Historikerin, St. Johann im Pongau
  • Karin Portenkirchner: Eine Kaserne stellt sich der Nazivergangenheit, Salzburger Nachrichten, 11. Dezember 2013, Lokalteil S. 9