Der Sommer ist fast vorüber, wie ist Ihre erste Bilanz über die Hauptreisezeit? Annette Mann: Es gibt Licht und Schatten. Die Nachfrage war da, wir sind sehr zufrieden mit dem Geschäft und mit unseren Vorbereitungen auf den Sommer, das ist jedenfalls gut gelaufen. Aber es gab auch mehr externe Effekte als in früheren Sommern, die es uns im operativen Flugbetrieb schwierig gemacht haben. Das fing an mit sehr vielen Gewittern, teilweise über ganz Europa, und mit Gewitterfronten über mehrere Tage. Das führte zu vielen Ausfällen, Flughäfen mussten temporär schließen. Auch bei der europäischen Flugsicherung gab es große Engpässe, speziell über Ungarn. Dadurch kam es bei uns zu deutlich mehr Verspätungen als im Vorjahr - alles Faktoren, die schwer zu beeinflussen sind. Also intern sind wir superzufrieden, aber die externen Faktoren waren diesmal wirklich schwierig.
Zuletzt haben bei der AUA ein Hagelschaden und ein schwerer Parkschaden Schlagzeilen gemacht. Gibt es da schon neue Erkenntnisse? Das Flugzeug, das in den Hagel kam, sah wild aus, war aber schnell wieder repariert und nach knapp drei Wochen wieder in der Luft. Wir haben den Flugdatenschreiber und den Sprachrekorder versiegelt der Unfalluntersuchungsstelle des Bundes übergeben und warten selbst auf die Ergebnisse. Der Parkschaden war ein Handlingfehler des Flughafens. Ein Airbus-Team kommt im Herbst nach Wien und baut, vereinfacht gesagt, den hinteren Teil der Maschine neu. Luftfahrt ist eine der sichersten Branchen überhaupt, auch dank der vielen standardisierten Verfahren.
Wie erleben Sie als Managerin im Lufthansa-Konzern den Standort Österreich? Beklagen auch Sie die hohen Lohnkosten wie andere Branchen? Das Problem ist nicht der Lohn per se, aber der Kontext mit vielen anderen Faktoren. Die Lohnnebenkosten hier sind einfach viel zu hoch. Der OECD-Durchschnitt liegt bei gut 13 Prozent, die Schweiz und damit die Kollegen von der Swiss haben 6 Prozent, Österreich knapp 22 Prozent. Das ist eine große Bandbreite innerhalb des Konzerns. Ein Thema ist auch die sogenannte Benya-Formel - dass also hier in Österreich ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass das Unternehmen die Inflation voll trägt und man erst darüber hinaus anfängt zu verhandeln. Das ist in Deutschland und der Schweiz anders. Dazu kommt eine sehr hohe Teilzeitquote in Österreich.
Ist die in Österreich höher als in anderen Ländern? Bei den Flugbegleitern sind es 54 Prozent, bei den Kapitänen 52 Prozent. Das ist schon erheblich. Jeder soll entscheiden dürfen, wie viel er arbeiten möchte, aber als Unternehmen haben wir für alle Mitarbeitenden die gleichen Kosten, egal, ob sie nun 50 oder 100 Prozent arbeiten. Wir müssen sie rekrutieren, ausstatten, trainieren - diese Kosten fallen immer an. Je mehr Leute in Teilzeit arbeiten, desto mehr steigen indirekt die Kosten für das Unternehmen. Und die Produktivität in Österreich sinkt dadurch. Weil diese Faktoren zusammenwirken, tut das Thema Lohnkostenentwicklung hier wirklich weh.
Wie ist es um die Wettbewerbsfähigkeit der AUA innerhalb des Lufthansa-Konzerns bestellt? Bei einem Vergleich der Kosten pro Flugstunde liegt die AUA im oberen Mittelfeld der 13 Flugbetriebe im Konzern. Wenn hier gerne kolportiert wird, die AUA-Mitarbeitenden würden so schlecht bezahlt, dann stimmt das definitiv nicht. Die Wettbewerbsfähigkeit der AUA hat sich über die letzten Jahre verschlechtert, durch einen überproportionalen Anstieg der Lohnnebenkosten und weil durch die im Land übliche automatische Indexierung in Verträgen mit Lieferanten viele Kosten deutlich gestiegen sind.
Welche Rolle spielt für die AUA der Staat, der ja mit Gebühren und Gesetzen den Rahmen vorgibt? Es ist nicht nur der Staat, in der Luftfahrt sind wir überhaupt umgeben von Monopolisten, Duopolisten und staatlichen Playern, die die Rahmenbedingungen vorgeben. Das ist in Österreich nicht anders als in anderen Ländern, damit muss man umgehen. Was hier aber gut funktioniert, ist die Zusammenarbeit der Akteure in der Luftfahrt. AUA, Flughafen und Flugsicherung müssen eng zusammenarbeiten, das gelingt sehr gut. Die Wege sind kurz, man kennt und vertraut sich.
Also alles eitel Wonne beim Zusammenspiel der wichtigsten Akteure in der heimischen Luftfahrt? Man könnte schon überlegen, ob es nicht eine Strukturreform bei den Gebühren bräuchte. Die Marge eines Wiener Flughafens ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Sollte nicht auch etwas mehr bei der Airline hängen bleiben? Wir haben hohe Investitionen. Wenn wir nicht investieren können, weil alle Kosten steigen, hat auch der Flughafen nichts davon. Diese Dialoge führen wir. Da geht es auch um die Zukunft des Drehkreuzes Wien. Aber grundsätzlich haben wir ein gutes Verhältnis.
Welche Wünsche haben Sie an eine neue Regierung? Sie muss sich auf europäischer Ebene unbedingt für eine Revision des "Fit for 55"-Pakets einsetzen (das Klimapaket der EU, das die Senkung der Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 vorsieht; Anm.). Wien ist ein relativ kleines Flugdrehkreuz, die AUA eine kleine Airline. Wenn europäische Netzwerk-Airlines dadurch immer weniger wettbewerbsfähig werden, ist das Risiko, dass uns das am meisten betrifft, am größten. Österreich soll sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die Luftfahrt international wettbewerbsfähig bleibt. Und eine Senkung der Lohnnebenkosten würde uns ebenfalls eine Menge helfen. Rund 25 Prozent unserer Kosten sind Personalkosten. Das ist ein großer Hebel für uns. Übrigens gibt es auch Basisfaktoren, wo Österreich schauen muss, den internationalen Anschluss nicht zu verlieren. Das Land investiert sehr viel ins Bildungssystem, aber die Ergebnisse sind mehr im Mittelfeld - das sehen wir auch, wenn wir neue Lehrlinge auswählen. Wir bekommen viele Bewerbungen, aber die durchschnittliche Qualität sinkt.
Osteuropa und der Nahe Osten sind Kernmärkte der AUA. Genau hier beschränken Kriege den Flugbetrieb. Können Sie das ausgleichen? Wir hatten das Glück, dass 2022 und 2023 starke Reisesommer waren, daher konnten wir Kapazitäten aus Russland und der Ukraine auf Mittelmeerziele verlagern oder in den Norden, der auch im Trend liegt. Das ist der Vorteil einer Airline, wir können schnell in neue Märkte rein und wieder raus und müssen keine Fabriken schließen wie Produktionsbetriebe.
Im Nahen Osten ist es anders. Auch wenn wir gerade die Sicherheitslage jeden Tag neu bewerten müssen, wollen wir aus diesem Markt ganz sicher nicht rausgehen. Wir schauen im Gegenteil, dass wir da so viel wie möglich fliegen können. Letztlich ist es genau unsere Aufgabe, Menschen, Kulturen und Volkswirtschaften zu verbinden, wo immer das möglich ist. Seit Donnerstag fliegen wir nach einer Pause wieder nach Tel Aviv und Teheran.
Wie stark schlagen solche politisch bedingten Probleme auf die Bilanz durch? Mit einem deutlich zweistelligen Millionenbetrag in diesem Jahr. Wenn Sie einen Flug rausnehmen müssen, entstehen Kosten durch das Umbuchen oder Entschädigungen. Die Kombination aus dem Ausfall von Erlösen, stehenden Produktionsmitteln, also Flugzeugen, und Personal, das Sie nicht produktiv einsetzen können, wirkt sich also auch auf das Jahresergebnis aus. Durch die Sperre des Luftraums über Russland müssen wir nach Schanghai oder Tokio Umwege von zwei, drei Stunden fliegen, die die Flüge in der Produktion ebenfalls teurer machen.
Was ist bei den Preisen für Flugtickets zu erwarten? Dieses Jahr sehen wir keinen Anstieg, im Vergleich zum Sommer 2023 waren die durchschnittlichen Ticketpreise sogar etwas niedriger. Aber in Zukunft wird es teurer werden, das hängt 1:1 mit den Klimaauflagen zusammen. 2025 müssen dem Kerosin laut EU-Regelung erstmals zwei Prozent nachhaltiger Flugzeugtreibstoff beigemischt werden. Dieses SAF (für "sustainable aviation fuel"; Anm.) ist drei bis fünf Mal so teuer wie normales Kerosin. Dazu kommt noch der verschärfte und verteuerte Emissionshandel. Diese Faktoren verursachen bei uns im nächsten Jahr Kosten in Höhe von etwa 90 Millionen Euro. Das können wir bei unseren recht schmalen Margen nicht einfach kompensieren, das müssen wir über die Ticketpreise weitergeben. Und es betrifft im Prinzip jede europäische Fluggesellschaft. Der vorgeschriebene SAF-Anteil steigt 2030 auf 6 Prozent und 2035 auf 20 Prozent.
Ist das überhaupt zu schaffen? Air New Zealand hat bereits erklärt, seine Klimaziele nicht zu erreichen. Für die 2 Prozent SAF gibt es schon die Chance, dass es sich ausgeht - mit entsprechend hohen Kosten. Aktuell sind nur etwa 0,5 Prozent des weltweiten Kerosinverbrauchs als SAF verfügbar, mit mehreren Produktionsanlagen in Bau. Anders sieht es bei der vorgeschriebenen Subquote für Kerosin auf Wasserstoffbasis beziehungsweise E-Fuel aus. Da ist noch völlig offen, wie viel davon wirklich bis 2030 produziert wird. Aus meiner Sicht ist das ein hausgemachtes europäisches Problem. Man hat penibel genaue Vorschriften gemacht, um das perfekteste SAF der Welt zu produzieren. Die Amerikaner gehen da ganz anders ran. Die sagen: Schauen wir, dass es überhaupt mal SAF gibt, die Regeln können wir immer noch verschärfen. Mit steuerlichen Anreizen haben sie es geschafft, dass es dort bereits mehr SAF gibt als in Europa. Wir Europäer übertreiben es mal wieder - und schaffen die perfekten Regeln für ein Produkt, das noch gar nicht da ist. Das verschlechtert unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Airlines aus arabischen Ländern und der Türkei, die diese Auflagen nicht haben und massiv Marktanteile gewinnen.
Die Einigung auf einen Bord-KV war extrem schwierig. Ist es ein guter Vertrag, der die Mühe wert war? Gut ist, dass wir drei Jahre Planungssicherheit mit Friedenspflicht haben. Es ist aber kein günstiger Abschluss. Der lange und teure Konflikt hatte auch die Auswirkung, dass ein, zwei geplante neue Dreamliner-Langstreckenflugzeuge jetzt nicht kommen und das geplante Wachstum langsamer stattfindet.
Am Höhepunkt des Lohnkonflikts haben Sie gedroht, man müsse "die AUA neu denken", wenn die Gewerkschaft auf ihren Forderungen beharre. Ist das jetzt vom Tisch? Das wird man immer wieder neu beantworten müssen. Aber die Auslagerung von Strecken in Töchter, die zu geringeren Kosten fliegen können, ist aktuell nicht der Plan. Vieles wird von der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit abhängen. Da geht es nicht nur um Lohnabschlüsse, sondern auch um die großen Verkehrsströme und politische Entwicklungen. Letztlich wird Stillstand nicht funktionieren. Wir müssen immer wieder überlegen, wie wir die AUA strukturell anpassen, damit sie langfristig wettbewerbs- und überlebensfähig ist.
Die AUA ist für viele das Tor in den Urlaub. Wie verbringen Sie Ihren Urlaub? Ich war zwei Wochen auf einem Segelboot im Mittelmeer. Es gibt nichts, womit man schneller runterkommt. Man braucht eigentlich nur Proviant, volle Tanks und muss schauen, wie der Wind steht. Segeln und Fliegen haben viel gemeinsam.
Zur Person:Seit 2003 ist die gebürtige Bayerin Annette Mann im Lufthansa-Konzern tätig, seit März 2022 ist sie Vorstandschefin der AUA.
