Es fehle vielerorts eine "Hierarchie der Ziele". Als Beispiel für Zielkonflikte nennt Javorcik, die gerade in Wien verweilt, einerseits den Wunsch, den Verkehr zu elektrifizieren, andererseits den Automobilsektor in Europa zu schützen. In Europa produzierte E-Autos seien wesentlich teurer und bremsten damit die grüne Transition im Transportwesen.
Kritisch sieht die Ökonomin auch, dass 90 Prozent aller industriepolitischen Maßnahmen in entwickelten Volkswirtschaften ausländische Firmen diskriminierten. Dies habe eine Analyse der EBRD ergeben. Gemeint sind zum Beispiel Importtarife oder eine Präferenz für heimische Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen. Dies würde zu einer Fragmentierung der Weltwirtschaft führen.
"Verlierer gehen lassen"
Damit industriepolitische Interventionen ihr Ziel erreichen, sei es wichtig, Unternehmen, die von staatlichen Beihilfen profitieren, dem Wettbewerb auszusetzen. Als positives Beispiel nennt Javorcik China, das Unternehmen finanziell unterstütze, aber auch einen starken innerchinesischen Wettbewerb zulasse. Zur politischen Zielsetzung gehöre nicht nur, Gewinner auszusuchen, sondern auch "Verlierer gehen lassen", erläuterte Javorcik mit Verweis auf den Bericht des ehemaligen EZB-Präsidenten und italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi. Als Beispiel hierfür habe dieser die Produktion von Solarpaneelen genannt, die mittlerweile von China dominiert wird.
Weiters empfiehlt die Ökonomin, staatliche Beihilfen mit einem Ablaufdatum zu versehen, da es ansonsten politisch oft schwierig sei, Beihilfen wieder abzuschaffen. Gerade ärmeren Ländern mit geringem fiskalpolitischen Spielraum empfiehlt sie, sich auf eng ausgewählte Sektoren zu konzentrieren.
Wachstumsprognose für Osteuropa nach unten revidiert
Die EBRD (European Bank for Recovery and Development) hat einen besonderen Fokus auf Osteuropa und Zentralasien, aber auch den südlichen sowie östlichen Mittelmeerraum. Für all die betroffenen Regionen hat die Entwicklungsbank ihre Wachstumsprognosen für 2025 nach unten revidiert. Zentraleuropa und das Baltikum sollen im laufenden Jahr als Region nurmehr um 2,7 Prozent wachsen - 0,5 Prozentpunkte weniger, als noch im September 2024 prognostiziert wurden.
In Südosteuropa (Bulgarien, Griechenland, Rumänien) fällt der erwartete Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt in der am Donnerstag veröffentlichten Prognose 0,6 Prozentpunkte geringer aus als noch im September. Die Region soll heuer um 2,1 Prozent wachsen. Die kriegsgebeutelte Ukraine kann laut EBRD auf ein Plus von 3,5 Prozent hoffen - nach 4,7 Prozent im September.
Kein Risikoaufschlag für Ukraine-Nähe mehr
Viele der Anrainerstaaten der Ukraine würden zudem unter hohen Zinsen und damit hohen Schuldenkosten leiden. Die Hochzinsphase komme für die zentraleuropäischen Staaten zur Unzeit, da viele ihre Militärausgaben angesichts einer möglichen Bedrohung durch Russland stark angehoben haben - womit die Region allerdings nicht allein ist. Nach Beginn des Ukrainekrieges hätten viele Länder in Konfliktnähe einen Risikoaufschlag bei der Aufnahme von Staatsschulden zahlen müssen. Das sei mittlerweile aber nicht mehr der Fall.
Von möglichen US-Importtaxen auf Waren und Dienstleistungen aus der EU seien unter den Zentraleuropäischen Staaten die Slowakei und Ungarn laut EBRD-Analyse am stärksten betroffen - relativ zur gesamten Wirtschaftsleistung beider Länder allerdings nur in geringem Ausmaß. Viel stärker seien die Länder von der Konjunkturlage in Deutschland abhängig. Ein möglicher Handelskrieg würde sich demnach vor allem indirekt auf Zentral- und Osteuropa auswirken, erklärte Javorcik.
(Das Gespräch führte Stephan Polet/APA)