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Ruhe an Zinsfront: EZB hält Pulver für Krisen trocken

Klarer als der deutsche Bundesbankchef Joachim Nagel kann ein Notenbanker eine Zinspause eigentlich nicht signalisieren: "Geldpolitisch sehe ich gegenwärtig keinen Handlungsbedarf", sagte er in Washington zum Abschluss der IWF-Herbsttagung. Die EZB dürfte also Ende des Monats erneut stillhalten und nach Ansicht vieler Investoren auch bis weit ins nächste Jahr nicht am Leitzinsniveau von 2,0 Prozent rütteln.

Doch ist die Ruhe an der Zinsfront womöglich trügerisch. Die Währungshüter machen sich darauf gefasst, dass angesichts von Deregulierungstendenzen in den USA und auch wegen des technologischen Wandels Störfeuer von außen auf sie zukommt: "Wir werden Schocks erleben", warnte EZB-Chefin Christine Lagarde in Washington. Wo diese auftauchten und wie damit geldpolitisch umzugehen sei, bleibe offen.

"Welchen regulatorischen Rahmen müssen wir schaffen, um die Risiken für die Finanzstabilität zu verringern, die durch den Einzug neuer Technologien in das Finanzsystem entstehen? Diese Aufgabe wird sich uns stellen", betonte Lagarde. Aus Sicht des österreichischen Notenbankchefs Martin Kocher spricht aktuell zwar vieles für zinspolitische Stabilität. Doch wenn es zu einer krisenhaften Zuspitzung in der Euro-Zone und der Weltwirtschaft komme, sei es wichtig, "genug Pulver trocken zu halten".

Sorgen über eine Spekulationsblase

Die viele Milliarden Dollar schweren Investitionen zahlreicher Unternehmen in Künstliche Intelligenz (KI) schüren Sorgen über eine Spekulationsblase. Beobachter verweisen auf das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Damals waren Aktienkurse auf breiter Front abgestürzt, nachdem sich die hoch gesteckten Erwartungen der Anleger in Technologieunternehmen nicht erfüllt hatten. Die Bank of England (BoE) warnte nun, die globalen Märkte könnten einbrechen, wenn sich die Investorenstimmung hinsichtlich der Aussichten für KI eintrübe.

Die jüngste Krise um US-Regionalbanken ist zugleich laut Bundesbankchef Nagel ein Augenöffner dafür, dass das Thema Deregulierung mit großem Augenmaß angegangen werden muss. Zwei Insolvenzen in der US-Autoindustrie hatten Sorgen über unerkannte Kreditrisiken in der Finanzbranche geweckt und Bankenaktien auf Talfahrt geschickt. Da das Bankensystem eng vernetzt ist, schürte dies Furcht vor einer größeren Krise. DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater spricht von einem "Querschläger aus dem Bankenbereich". Es sei nicht das erste Mal, dass die US-Regionalbanken im Fokus stehen. Vor zwei Jahren hatte eine Serie von Pleiten bei US-Regionalbanken wie der Silicon Valley Bank die Branche in Turbulenzen gestürzt und die US-Notenbank Fed 2023 zu außergewöhnlichen Stabilisierungsmaßnahmen veranlasst. "Es hat sich ja bei der Krise um die Silicon Valley Bank gezeigt, dass eben die Regulierung in Deutschland, in Europa an den Stellen gegriffen hat und wir die Risiken unter Kontrolle hatten", erläuterte Nagel. Gute und aufmerksame Regulierung sei extrem wichtig, um in solchen Situationen "größere Unfälle" zu vermeiden. Mit Sorge blickt man vor diesem Hintergrund in Europa darauf, dass die USA unter Präsident Donald Trump die regulatorischen Zügel für die Banken weiter lockern.

Jenseits des Atlantiks wird die Finanzbranche traditionell ohnehin weniger reguliert. So mussten die US-Institute nie die strengen Eigenkapitalvorschriften nach dem Basel III-Regime umsetzen - obwohl die Finanzkrise 2008 durch den Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes und die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers ausgelöst wurde. Die Erwartung ist, dass Trump im ersten Halbjahr 2026 einen Vorschlag zur Banken-Deregulierung vorlegen wird, der dann vor der nächsten Präsidentenwahl umgesetzt werden könnte. "Das wird zu gigantischen Kapitalerleichterungen für amerikanische Banken führen", sagte ein Banker, der nicht namentlich genannt werden möchte.

Frankreichs Schuldenlast ist im Fokus

Während sich bange Blicke in Richtung USA gehen, lauert auch in der Euro-Zone ein Risiko: Die Schuldenkrise Frankreichs. Das Defizit liegt 2025 mit voraussichtlich 5,4 Prozent deutlich über der in der EU erlaubten Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Zwar hat der wiederernannte Premier Sebastien Lecornu Misstrauensvoten im Parlament überstanden, doch könnten ihn die schwierigen Etatverhandlungen nach Ansicht mancher Beobachter noch zu Fall bringen. Dies würde die politische Dauerkrise in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone auf die Spitze treiben.

Bisher haben die Probleme Frankreichs die EZB nicht auf den Plan gerufen. EZB-Präsidentin Lagarde verwies allerdings darauf, dass man "unterschiedliche Instrumente" im Werkzeugkasten habe. Die EZB hat mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) ein Notprogramm in petto, mit dem sie theoretisch unbegrenzt Staatsanleihen eines in Bedrängnis geratenen Euro-Landes kaufen kann.

Die Lecornu von der Opposition abgerungene Entscheidung, die Rentenreform bis nach den Präsidentschaftswahlen 2027 auszusetzen, ist aus Sicht der Rating-Agentur Fitch problematisch. Folgewirkungen könnten den strukturellen Druck auf die ohnehin schwachen öffentlichen Finanzen erhöhen, warnten die Analysten. Fitch Ratings stufte die Kreditwürdigkeit Frankreichs bereits im September herunter. Auch die Bonitätswächter von S&P Global setzten das Rating mittlerweile herab. Zur Begründung hieß es, die Haushaltskonsolidierung werde langsamer als erwartet ausfallen, da es an zusätzlichen Maßnahmen zur Senkung des Defizits fehle. Moody's wird die Bewertung am 24. Oktober überprüfen - nur wenige Tage vor dem am 30. Oktober anstehenden Zinsentscheid der EZB in Florenz.

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