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Reise nach Baden-Württemberg - Deutschlands Süden: Kultur zum Kosten

Die Schwäbische Alb. Zwischen Stuttgart und Ulm entstehen köstliche Innovationen - eine Reise auf Stocherkähnen und zu Streuobst-Wiesen.

Tübingen: Während die einen die Beine baumeln lassen, werden die anderen an der Neckarfront vorbeigeschippert.
Tübingen: Während die einen die Beine baumeln lassen, werden die anderen an der Neckarfront vorbeigeschippert.
Heutzutage lenken meist Studierende die Stocherkähne.
Heutzutage lenken meist Studierende die Stocherkähne.
August Kottmann hat neben seinem Gasthof einen Obstbaumlehrpfad angelegt.
August Kottmann hat neben seinem Gasthof einen Obstbaumlehrpfad angelegt.

Schüttelt man über jugendlichen Leichtsinn den Kopf, dann ist man alt geworden. Das kann leicht passieren auf einer Fahrt mit einem Stocherkahn auf dem Neckar. Hoch oben auf einer Mauer lassen junge Menschen die Beine locker herunterbaumeln, genießen die Sonnenstrahlen und schauen den "Alten" in der Tiefe zu, die mit Sektgläsern und allerlei Fingerfood an ihnen vorbeigleiten.

In einer Liste der schönsten Studentenstädte rangiert Tübingen zweifellos ganz oben. Die mittelalterlichen Fachwerksbauten und engen Gassen der Stadt wirken, als habe man die Zeit eingefroren. Dazu passt, dass hier noch einige Burschenschaften mit Studentenzimmern in Schlössern um Mitglieder buhlen, aber das ist eine andere Geschichte.

Die flachen Tübinger Stocherkähne sind Tradition. Angetrieben und gelenkt werden sie vom sogenannten Stocher mit einer langen Holzstange. Früher waren das Fischer, heute sind es Studenten. "Es gibt unter uns Stochern ein Gesetz", klärt Vera auf, "wer die Stange verliert, muss ins Wasser springen und sie holen."

Zunächst zieht die pittoreske Neckarfront am Kahn vorbei, darunter jenes Haus, das der Dichter Friedrich Hölderlin die letzten 36 Jahre seines Lebens bewohnte. Doch bald säumt dichtes Grün beide Uferseiten, imposante Schwäne überholen Kahn und Stocherin. Zeit für einen Versuch: Passagiere, die selbst stochern, erhalten eine Urkunde.

Hier, am Einstiegstor zur Schwäbischen Alb, einem Mittelgebirge, hat Kultur eine lange Geschichte: In einer Karsthöhle nahe Heidenheim wurden 1931 die ältesten figürlichen Kunstwerke der Menschheit gefunden. Die kleinen Tierfiguren aus Mammutknochen sind im "Museum Alte Kulturen" der Universität Tübingen auf dem Schloss Hohentübingen zu sehen und sollen etwa 40.000 Jahre alt sein - 10.000 Jahre älter als die Venus von Willendorf.

Man muss freilich kein Wissenschafter sein, um die Schätze der Schwäbischen Alb für sich zu entdecken. Im beschaulichen Dörfchen Gosbach kommt im Gasthof Hirsch die Region auf den Teller: geschmortes Zicklein, Rehschäufele - also Schulter - und schwäbischer Zwiebelrostbraten. Und erst recht ins Glas, darunter Weine von den Metzinger Hängen, aber vor allem Obstbrände aus eigener Produktion. Die Gasthofbetreiber August und Andreas Kottmann sind Verrückte im besten Sinn: Mehr als drei Dutzend reinsortige Äpfel- und Birnenbrände sowie weitere Obstsorten wie Schlehe, Zwetschken und Kirschen werden vom Vater-Sohn-Gespann zu Edelbränden destilliert.
Die Schwäbische Alb gilt als eine der größten Streuobst-Regionen Europas. Und so hat gleich neben dem Gasthof der Wirt August Kottmann einen Lehrpfad angelegt, an dem rund 150 verschiedene Apfel- und Birnensorten beschriftet sind, laut Plan sollen insgesamt rund 500 unterschiedliche Sorten die Wege säumen. Was hübsch aussieht, ist auch eine höchst nachhaltige Angelegenheit: Streuobst wächst auf hochstämmigen und zugleich tief wurzelnden Bäumen, die in größerem Abstand zueinander stehen, das in der Regel eher kleinere Streuobst schmeckt in seiner ganzen Vielfalt intensiver.

"Es ist von der Natur eigentlich gar nicht vorgesehen, dass es gleichbleibende Apfelsorten gibt", erklärt Hannes Kogler, "denn es ist zwar klar, wer die Mutter ist, aber der Vater wurde von der Biene gebracht. Daher ist jeder Apfelkern ein individuelles Kind." Kogler arbeitet in der Manufaktur Jörg Geiger, die für ihre Birnen- und Apfelschaumweine in eigenen Gärten alte Sorten bewahrt, wobei in ihrem Fall auf Säure und Gerbstoffe besonderen Wert gelegt wird.

Vor fast drei Jahrzehnten startete Jörg Geiger mit einem Birnenschaumwein aus der Champagner-Bratbirne - die nach einem Rechtsstreit mit den Franzosen immer noch als solche bezeichnet werden darf - und produziert das prickelnde Getränk wie echten Champagner nach der traditionellen Flaschengärmethode.

Seit mehr als zwanzig Jahren tüftelt man hier außerdem an alkoholfreien Schaumweinen, die Hunderte Gewürze, Blüten und Kräuter enthalten und die mittlerweile auch in der österreichischen Spitzengastronomie gefragt sind. Selbst überzeugte Weinliebhaber sollten da unbedingt einen Probeschluck wagen - etwa von der Cuvée Nr. 11 aus "unreifem" Apfel und Eichenlaub. Mit komplexen, nicht nur süßen Geschmacksbildern zeigt Jörg Geiger deutlich den Trend auf.

Der Kultivierung von alten Nutzpflanzen aller Art hat sich einige Kilometer weiter das Freilichtmuseum Beuren verschrieben. Dort wurden Zeugen ländlicher Wohnkultur-Geschichte zusammengetragen, teilweise sind die Häuser noch historisch eingerichtet.

Alte, wiederentdeckte Getreidearten werden im Freilichtmuseum angebaut und sollen in Genbanken und letztlich in den Handel kommen. Für dieses Ziel wird mit einer lokalen Bäckereikette zusammengearbeitet. "Alte Sorten waren rauere Bedingungen gewohnt, und wir versuchen herauszufinden, welche sich an die heutigen Bedingungen besonders gut anpassen können", erzählt eine ältere Dame, die neben einem Korb mit frisch geernteten Etagenzwiebeln sitzt.

Es tut sich einiges in der Region. Und doch scheinen das noch nicht alle mitbekommen zu haben. In einem der Hotels erwarten prächtige Tafeläpfel aus Südtirol die Gäste. Ignoranz oder Unwissen? Denn es liegt wohl auch an der Authentizität, die diese Region der Schwäbischen Alb zu einem Geheimtipp für Jung und Alt macht.

Reiseinfo: Schwäbische Alb, www.schwaebischealb.de; Freilichtmuseum Beuren, www.freilichtmuseum-beuren.de;
Tübingen, www.tuebingen-info.de; Baden-Württemberg, www.visit-bw.com