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Durch die Sahara: Leere zum Atmen

Durch Algeriens Wüste. Autor Wolfgang Büscher erzählt in einem neuen Buch von seiner abenteuerlichen Reise.

Auf der Spur des Eremiten: Das Bergplateau Assekrem rückt näher.
Auf der Spur des Eremiten: Das Bergplateau Assekrem rückt näher.
Büscher arbeitet für große Zeitungen und schrieb mehrere erfolgreiche Reisebücher.
Büscher arbeitet für große Zeitungen und schrieb mehrere erfolgreiche Reisebücher.
Begegnung mit dem Ziegenkitz an der Tuareg-Wasserstelle.
Begegnung mit dem Ziegenkitz an der Tuareg-Wasserstelle.
Auf der Piste durch Algeriens Wüste.
Auf der Piste durch Algeriens Wüste.
Abendrast am Feuer.
Abendrast am Feuer.
Büschers neues Buch, erschienen im dtv-Verlag.
Büschers neues Buch, erschienen im dtv-Verlag.

Der Reporter und Literat Wolfgang Büscher ist von einem abenteuerlichen Trip zurückgekehrt. Wochenlang war er in der südalgerischen Sahara unterwegs. Davon erzählt der Autor ("Berlin-Moskau") in seinem neuen Buch "Der Weg" (dtv). Jan Draeger trifft den 73-Jährigen in dessen Berliner Wohnung. Büscher zeigt zwei kleine Objekte aus der Wüste: eine gravierte Tonscherbe, Tausende Jahre alt, und einen Faustkeil. Im Interview spricht er über Begegnungen mit Tuareg und Eremiten, eine Leere, die man atmen kann, und den Kurort Wüste.

Ihr Buch "Der Weg" über die Sahara ist im kalten deutschen Winter herausgekommen. Vermissen Sie die Wüstentemperaturen manchmal? Wolfgang Büscher: Auch in der Wüste kann es sehr kalt werden. In der Wintersaison habe ich dort nachts gefroren.

Warum sind Sie in die Wüste gereist? Mein Plan war eigentlich, ein eher stilles Buch über den Geist des Reisens zu schreiben. Dafür wollte ich von Rom in Richtung Palermo gehen und von dort per Schiff nach Nordafrika übersetzen. Aber dieser Plan scheiterte schon nach wenigen Tagen. Aus dem schlichten, blöden Grund, dass Italiens Landstraßen keine Seitenstreifen haben. Ich bin nach Moskau, durch die USA und um Deutschland herum immer auf Seitenstreifen von Straßen gegangen. Als ich aus Rom auf der alten Via Appia hinausging, stand ich
irgendwann rücklings an einer Mauer und vor meinen Fußspitzen raste der Verkehr vorbei.

Und da beschlossen Sie, in die Einsamkeit der Wüste zu flüchten? Das hatte mit der Geschichte von Charles de Foucauld zu tun, die mich faszinierte. Er lebte von 1858 bis 1916, war Soldat, Lebemann, Frauenheld, dann Mönch und landete schließlich in der algerischen Wüste als Eremit. Die Tuareg nannten ihn den "weißen Marabut", also einen islamischen Heiligen. Ich hoffte, dass sich meine Wüstenreise und die historische Reise von Foucauld irgendwie kreuzten. Und schließlich half mir dabei ein Zufall.

Welcher? Foucauld hatte enge Freunde bei den Tuareg. Einen jungen Mann nannte er seinen Sohn, ihn nahm er vier Monate lang mit nach Frankreich, zu seiner Familie und seinen Freunden. Einer meiner Begleiter in Algerien sagte mir eines Tages: "Dieser junge Mann war mein Großvater." In dem Moment war mir klar, dass ich noch weiterreisen wollte - mit ihm. Das wurde dann die Reise zum Berg Assekrem, dem Ort, an dem Foucauld als Eremit gelebt hatte.

Sie sprachen eben von Begleitern. Auf Ihren früheren Reisen waren Sie doch immer allein … Das war nicht meine Entscheidung. Die algerischen Behörden fordern das. Wenn man in die Südsahara reist, muss man die Tour über eine Agentur buchen.

2003 wurden mehrere Europäer in der Sahara entführt. Hatten Sie Angst? Eine Person aus dem diplomatischen Bereich sagte mir den schönen Satz: "Vergessen Sie nicht: Sie sind dort eine Handelsware." Ich befand mich im Grenzgebiet zu Mali, Niger und Libyen - und in Libyen ist Bürgerkrieg, in Niger war gerade ein Militärputsch, in Mali sind russische Söldner,
Islamisten und Warlords zugange. Natürlich ist das Entführen von Leuten eine probate Einkommensquelle für all diese finsteren Mächte. Aber ich hatte keine Angst. Ich glaubte meinen Begleitern, die mir versicherten, dass alles gut wird.

Für Ihre Bücher sind Sie ja sonst immer zu Fuß unterwegs gewesen. Warum diesmal nicht? Wenn man in der Wüste wochenlang unterwegs sein will, ist das nur mit einem Geländewagen möglich.

Ihre Sahara-Tour begann nicht mitten in der Einsamkeit, sondern in einer Stadt. Ja, wir trafen uns in Tamanrasset, dem größten bewohnten Ort in der algerischen Wüste. Vor 100 Jahren war das eine kleine Oase, in der 40 Tuareg-Familien lebten. Heute ist es eine Stadt von rund 150.000 Einwohnern. Aber sie liegt wirklich mitten in der Wüste. Wenn man aus Tamanrasset rausfährt, ist der Übergang unfassbar hart - als träte ich hier aus einer Tür und stände auf einmal in der Sahara.

Sie sind schon von Berlin nach Moskau, um Deutschland herum und durch Amerika gegangen. Empfanden Sie die Wüste da nicht als einen öden Ort für einen Reiseschriftsteller? Überhaupt nicht. Die Wüste ist überwältigend. Eine Sanddüne erstreckt sich von Algerien Hunderte Kilometer südwärts bis nach Niger. Das ist ein gewaltiges Landschaftserlebnis. Ich bin diese Düne hochgestiegen, habe stundenlang zugesehen, wie der Wind die Dünenkante immer wieder neu modelliert. So eine Düne ist wie ein lebendiges Wesen. Wenn man Augen dafür hat, kann man diesem Wesen bei seinem unablässigen Werden zusehen. Dann die vulkanischen Felslandschaften. Manche Formationen sehen aus wie menschengemacht. Einmal stand ich vor lauter gleich großen, gleich dicken Steinplatten, vertikal gestapelt - wie eine versteinerte Schallplattensammlung.

Sie schreiben, dass man die Leere atmen konnte. Wie kann ich mir das vorstellen? Völlig allein sein in einer gewaltigen Landschaft, die niemandem zu gehören scheint. Die Stille, die Hitze, der Wind - das alles atmen. Und sonst gar nichts.

Dann aber trafen Sie dort einen Freund Ihrer Begleiter. Er wollte gerade eine Dame aus Deutschland abholen und sie dann wochenlang durch die Wüste führen. Sie mache diese Reise ein Mal im Jahr, um sich von ihrem Leben in Deutschland zu erholen. Ist die Wüste ein Kurort? Ein Kurort der speziellen Art. Es gab immer schon wüstenverrückte Leute. Um das Jahr 200 herum war die Wüste voller Eremiten. Sie lockten viele Leute an, waren so etwas wie Popstars ihrer Zeit. Im 18. und 19. Jahrhundert kamen dann Europäer, um die Wüste zu erforschen. Und heute sind es eben auch ältere Deutsche, die vier Wochen Wüste gegen den Stress zu Hause brauchen. Wie eine Seelenreinigung.

Sie leben in Berlin, in einer Großstadt mit Autohupen, Sirenen. An einem Ort, wo es schwer ist, Stille zu spüren. Wie erging es Ihnen in der Stille der Sahara? Es gibt unterschiedliche Stufen der Stille. Oft bin ich vom Zwitschern eines Vogels aufgewacht. Es war ein Mulla Mulla, wie die Tuareg ihn nennen. Der Vogel wartete darauf, dass wir endlich aufstanden, damit er ein paar Körner vom Frühstück abkriegte.

Wie zieht man sich in der Wüste an? Eine Militärhose mit Taschen, ein langärmeliges T-Shirt und über den Kopf den Chech, einen bis zu neun Meter langen Schal. Es gibt ihn in verschiedenen Farben, oft ist er blau. Er wird auf eine bestimmte Art und Weise über den Kopf gewickelt. Bei den Tuareg sind übrigens die Männer verschleiert und die Frauen nicht. Ich hatte überhaupt den Eindruck, dass das Leben der Frauen dort freier ist, als es ein strenger Islam sich wünscht. Immer wieder hatte ich Begegnungen mit Frauen, wo wir uns kurz begrüßten. Ich bin in Häusern gewesen, in denen neben dem Hausherrn seine Frau saß, unverschleiert, sie nahm am Gespräch teil.

Wie orientierten Sie und Ihre Begleiter sich in den Weiten der Sahara? Die Tuareg haben eine unfassbare Wüstenkenntnis. Eine Karte hatte nur ich. Eines Tages habe ich sie meinem Fahrer hingelegt, um unsere Strecke zu rekonstruieren. Aber die Karte konnte er gar nicht lesen. Wenn wir über die Route sprachen, ging sein Finger immer in den Sand. Dort zeichnete er, wie wir fahren. Seine Markierungen waren ein Weg, ein Baum oder ein Felsen.

Schließlich kamen Sie an Ihr Ziel. An das Assekrem-Plateau, dort, wo vor mehr als 100 Jahren Charles de Foucauld als Eremit gelebt hatte. Was haben Sie an dem Ort empfunden? Seit langer Zeit habe ich einen Traum. Ich sitze oben an einem Berghang. Von dort schaue ich auf das Gewimmel der Welt. Vielleicht ist es eine Art Abschiedstraum vom Leben. Vielleicht auch ein Versöhnungstraum mit dem Leben. Nach der Nacht auf dem Assekrem in der Klause schaute ich am Morgen vom Hang dieses Vulkanberges. Da saß ich in meinem Traum, ohne zu träumen.

BUCHTIPP:

"Der Weg. Eine Reise durch die Sahara", 240 Seiten, gebundene Ausgabe,
25,50 Euro, dtv Verlag

Weitere Bücher von Wolfgang Büscher: "Berlin-Moskau. Eine Reise zu Fuß", "Deutschland, eine Reise" und "Hartland. Zu Fuß durch Amerika".

INFORMATION:

Die zur MSC-Gruppe gehörende Fährgesellschaft GNV verkündet ihr Marktdebüt in Algerien: In der anstehenden Sommersaison, von 3. Juni bis 30. September 2025, bietet GNV neue Verbindungen vom südfranzösischen Sète nach Algier und Bejaia in Algerien. Tickets sind ab dem 7. April erhältlich.

www.gnv.it/de