Samstag, neun Uhr früh. Das Zentrum von Santa Monica ist wie ausgestorben, die Geschäfte in der Einkaufsmeile Third Street geschlossen. Nicht so in der Arizona Avenue ums Eck: Seit vielen Jahrzehnten ist der Farmers Market eine feste Größe in der kalifornischen Küstenstadt.
Auch für Gary und Jason. Gary ist Kulturmanager, sein Ehemann Jason hat lange Schauspieler für TV-Serien gecastet, vor 32 Jahren zogen beide von der Ost- an die Westküste. Jason zeigt auf einen jungen Mann hinter einem Verkaufstisch: "Als wir hierherkamen, war sein Vater ungefähr in demselben Alter wie der Sohn heute." Der junge Farmer steht diesmal mit seiner Mutter im Zelt und preist "Mäusekürbisse" an - ein südamerikanisches Kürbisgewächs, das Form und Größe von Weinbeeren hat und wie Gurken schmeckt.
So wie in Europa stehen auch in Kalifornien häufig die Bauern selbst oder ihre Familienmitglieder hinter den Verkaufstischen. Die Angebotsvielfalt ist riesig. Die meisten Betriebe befinden sich nördlich von Los Angeles, etwa rund um die Stadt Lompoc, wo das Klima neun Monate im Jahr den Anbau von Spargel ermöglicht. Dennoch ist das meiste hier saisonal. An einem Stand werden rohe Oliven einer französischen Sorte angeboten. Ein Mal im Jahr kauft Jason hier ein und legt sie zehn Wochen lang in eine würzige Salzlauge. Kürzlich hat er der Farmerin ein Glas mit ihren eigenen Oliven geschenkt: "Die seien wirklich sehr gut, hat sie bestätigt."
Im Laufe der Jahre entstehen Freundschaften. Jasons Schwester Natalie schwört neuerdings auf Löwenmähnen-Pilze. Die sollen gut gegen Alzheimer sein, die Schlange vor dem Pilzstand scheint den Hype zu bestätigen. Auch namhafte Küchenchefs trifft man an, vor allem am Mittwoch.
"Kommt ihr zu meiner Party?", ruft ein stämmiger Mann mit sonnengegerbtem Gesicht, der mit einem großen Messer kleine Kostproben aus Wassermelonen einer angeblich seltenen Sorte schneidet: "Wolfgang Puck hat auch zugesagt!" Der Kärntner Starkoch zählte in den 1980er-Jahren zu den Ersten, die das kulinarische Potenzial des kalifornischen Südens erkannten. Sein Restaurant-Imperium existiert bis heute. Die von ihm seinerzeit propagierte Fusionsküche, die asiatische Elemente mit europäischen vermischte, wurde in Kalifornien längst durch mittel- und südamerikanische Einflüsse erweitert.
Nachzuschmecken an der malerisch zerklüfteten Central Coast zwischen Los Angeles und San Francisco - etwa im schicken Santa Barbara. Dort liegt zwischen dem breiten Sandstrand und dem Stadtzentrum im Kolonialstil die Funk Zone, ein Stadtteil mit Kunstgalerien, Boutiquen, Bars und Restaurants wie The Lark. Fast alle Zutaten für das Menü wachsen in der vom Pazifik eher kühl gehaltenen Umgebung von Santa Barbara, die Austern stammen aus der nördlicher gelegenen Bucht von Monterey. Ein wenig Abenteuer ist auch manchmal dabei: Empfand die Japanerin am Nebentisch die milde Tomatillo-Salsa auf den kurz gebratenen Thunfischfilets noch als zumutbar, stießen bei der feinsinnigen Dame die gegrillten, scharfen Jimmy-Nardello-Peperoni doch auf Unverständnis. Wer offen ist für Experimente, wird mit neuen, mitunter nachahmenswerten Genusserlebnissen belohnt - so wie die mit Fischsauce und Limetten veredelten Kohlsprossen mit Datteln.
Doch was genau ist die "California Cuisine"? Küchenchef Julien Asseo, ein Franzose, der in Las Vegas bei Joël Robuchon gelernt hat und nun mit seiner Frau das Restaurant Les Petites Canailles führt, sagt: "Kalifornien ist verwöhnt, wir haben viele frische Zutaten, und die Menschen hier sind neugieriger und offener als in Europa. Man hat als Chefkoch mehr Freiheiten." Spricht's und streut Kaviar über knusprige Bratkartoffeln mit Crème fraîche.
Also doch eher Lebensgefühl als Kochstil? Die Basis sei jedenfalls die mediterrane Küche mit regionalen Zutaten, wie man sie in Südfrankreich und Italien finde, sagt Jonny Black. Mit seinem Chez Noir im malerisch-noblen Küstenstädtchen Carmel-by-the-Sea hat er sich in nur einem Jahr einen Michelin-Stern erkocht. Ihren Anfang nahm die "California Cuisine" im Restaurant Chez Panisse in Berkeley bei San Francisco. Küchenchefin Alice Waters machte hier in den 1970er-Jahren den "Farm-to-Table"-Ansatz populär, verwendete Produkte direkt von lokalen Bauern.
Jonny Black hält die Tradition in Ehren. Die Speisekarte hängt vom Angebot der Bauern der Umgebung ab und ändert sich monatlich. "Wenn Jonny am Freitagmorgen auf dem Farmers Market in Monterey einkaufen geht, hat er einen Fanclub von einigen Ladys, die ihm folgen, um zu schauen, was er einkauft", schildert seine Frau Monique, und Jonny schmunzelt. "Manchmal stibitzen sie mir sogar etwas aus meinen Taschen und tun dann so, als sei es ein Versehen gewesen."
Kein Zweifel: In Kalifornien wird auf körperliche Fitness geachtet. Und hier gilt: Du bist, was du isst. Wer etwas auf sich hält, Karriere machen möchte, der achtet im "Sunny State" auf seine Ernährung und betreibt Sport. Fast-Food-Ketten gibt es auch hier, doch sogar der Markt für hochwertiges Fast Food scheint größer zu sein als anderswo. Auf den Märkten von Santa Barbara und Los Angeles wird bei den dort angebotenen Burritos, Pastrami-Sandwiches und Empanadas sichtlich großer Wert auf Qualität gelegt, die lokale Gourmetpresse berichtet regelmäßig über die Chefs der einzelnen Essensstände.
Billig ist das alles nicht, kein Wunder, dass viele Kalifornier selbst zu Köchen werden. Am Ende des Rundgangs durch den Farmers Market in Santa Monica ruft Gary überrascht: "Hey, ich kenne Sie! Sie sind die Kochbuch-Lady!" Ihr Sohn habe sie gebeten, erzählt die ältere Dame, sich von ihren vierhundert Kochbüchern zu trennen, "damit er nach meinem Tod nicht so viel Mühe damit hat". Also stellte sich die Sammlerin an einen Marktstand. Sie fand zwar Käufer, kam aber immer wieder mit Leuten ins Gespräch, die ihr ihre eigenen Kochbücher brachten, damit sie diese für sie verkaufe. Elf Jahre später steht sie noch immer ein Mal im Monat am Farmers Market im Stadtteil Mar Vista, ihre Sammlung ist auf etwa tausend Bücher angewachsen. Man kann es seinen Kindern eben nicht immer recht machen.
INFORMATION
Grand Central Market, Los Angeles, grandcentralmarket.com
Public Market, Santa Barbara, sbpublicmarket.com
Fine Dining: The Lark, www.thelarksb.com
Les Petites Canailles, www.lpcrestaurant.com
Chez Noir, www.cheznoircarmel.com
Auskünfte zur Region: www.visitcalifornia.com/de