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Kasachstan: Asiens trockenes Herz

Kasachstan in Zentralasien. Ein Besuch im größten Binnenland der Welt zeigt spektakuläre Landschaften und eigenwillige Kultur.

Lässt an die Sahara denken: die „singende Düne“ in Kasachstan.
Lässt an die Sahara denken: die „singende Düne“ in Kasachstan.
Georgij freut sich über den Zuverdienst als Guide.
Georgij freut sich über den Zuverdienst als Guide.
Geländegängig und unverwüstlich: der UAZ Buchanka.
Geländegängig und unverwüstlich: der UAZ Buchanka.
Die Berge von Aktau im Nationalpark Altyn-Emel.
Die Berge von Aktau im Nationalpark Altyn-Emel.
Der nationale Naturpark um den Kaindysee lädt zum Wandern ein.
Der nationale Naturpark um den Kaindysee lädt zum Wandern ein.
Naturschauspiel und Ausflugsziel: der versunkene Wald.
Naturschauspiel und Ausflugsziel: der versunkene Wald.
Traditionell gekleidete Kasachinnen laden zur Verkostung.
Traditionell gekleidete Kasachinnen laden zur Verkostung.
In den typischen Jurten...
In den typischen Jurten...
...wird so manches Festmahl serviert.
...wird so manches Festmahl serviert.

Schnaubend gräbt er sich in den Schotterweg, holpert nach oben, findet in einen Takt, der mehr von den Schlaglöchern bestimmt ist als von ihm selbst. Die Köpfe seiner Insassen wippen, der Staub wirbelt empor, der Auspuff spuckt eine beeindruckende Dieselwolke aus. Obwohl der UAZ Buchanka, der sowjetische Cousin des VW-Bulli, scheinbar nur vom Rost zusammengehalten wird, kämpft er sich resolut nach oben, hinauf zum Kaindysee im südöstlichen Kasachstan.

Die Passagiere haben bereits zwölf Kilometer im Jeep hinter sich, über Schotterpisten, steinige Passagen, durch einen Fluss und, hätte es geregnet, auch einmal durch knöcheltiefen Schlamm. Doch die letzten steilen Kilometer kann nur der UAZ bewältigen. Oben angelangt, spuckt das Gefährt seine menschliche Ladung in der Waldlandschaft aus, zehn Minuten Fußweg vom Kaindysee entfernt. Jenseits der endlosen Steppenebenen Kasachstans mit ihren verfallenen Fabriken und Industrieruinen aus der Sowjetzeit wirkt das Naturreservat sonderbar entrückt.

Bei kurzem Hinsehen könnte es genauso gut in Österreich liegen. Nur: Ein bisschen wilder ist die Vegetation hier in Zentralasien, gute 130 Kilometer von Almaty entfernt, der größten Stadt des Landes; die Bäume ragen noch imposanter auf. Wölfe sollen hier herumstreifen und auch Bären, sagt jedenfalls Georgij, der sich als Fahrer für Touristen etwas dazuverdient. Auf seinem Handy hat er außerdem einen Schnappschuss einer stämmigen, langhaarigen Pallaskatze. Diese Aufnahme ist dem durchtrainierten Mittvierziger auf einer seiner ausgedehnten Wanderungen durch die Bergwelt gelungen.

Hier, auf 2000 Höhenmetern, kann es auch im Sommer recht frisch werden. Eine willkommene Abwechslung zum alles durchdringenden Staub der Steppe. Und noch mehr zur stickigen Dunstglocke Almatys, die sich im Talkessel über der Stadt zusammenballt und sich perlgrau bis zu den Ausläufern des Tian-Shan-Gebirges in der Grenzregion zu China spannt. Dieser Teil des Gebirgszugs beherbergt eine ganz besondere Attraktion: den "versunkenen Wald". Fichtenstämme ragen wie Masten von Geisterschiffen aus dem Wasser des Bergsees empor. Der schillert in allen Tönen zwischen Türkis und Dunkelblau. Auch nach mehr als 100 Jahren tragen die Bäume unter Wasser ihre Nadeln, denn das Seewasser - die Temperatur steigt selten über sechs Grad - ist so kalt, dass es die Bäume regelrecht konserviert hat. Entstanden ist das Naturschauspiel 1911 durch ein Erdbeben und in Folge einen enormen Erdrutsch, der den einstigen Gebirgsbach zum See aufstaute. Heute strömen Ausflügler, Touristen und Taucher zum Kaindysee, um diesen eindrucksvollen Anblick über und unter Wasser zu genießen.

Kasachstan erstreckt sich von China bis zum Kaspischen Meer. Damit ist das Land groß genug, um fast alle Stückerl zu spielen: Neben den Wäldern, die in ihrer Dichte und Unberührtheit an jene in Kanada erinnern, hat das Land Außergewöhnliches wie die wundersame singende Düne im Altyn-Emel-Nationalpark zu bieten, die wie ein ferner Gruß an die Sahara wirkt. Oder die Scharyn-Schlucht, die die kleine Schwester des Grand Canyon sein könnte. Und dann natürlich: die endlosen Steppen. Ein Bub auf einem mageren Pferd trabt ganz versunken in sein Smartphone einer Herde Schafe hinterher durch diese Welt aus Staub, ein Rucksacktourist stapft in den Schluchten über tellergroße Tonscherben. Sie sind alles, was von den Sturzfluten des Frühlings übrig geblieben ist, erzählt Georgij. "Das Wasser steht hier oft bis zu drei Meter hoch", sagt er und zeigt auf die übrig gebliebenen Schlammkrusten an den Felsen über seinem Kopf.

Ansonsten: Weite. Ohrenbetäubende Stille. Und gleichzeitig eine der futuristischsten Hauptstädte der Welt. Astana befindet sich im nördlichen Teil des Landes inmitten der kasachischen Steppe, 1200 Kilometer oder eine 24-stündige Zugfahrt von Almaty entfernt. Der umstrittene ehemalige Präsident Nursultan Nasarbajew ließ während seiner Amtszeit mitten im windgepeitschten Nichts glänzende Bürotürme, Einkaufszentren und acht- bis zehnspurige Straßen aus dem Boden stampfen. 1997 wurde diese Metropole vom Reißbrett zur Hauptstadt ernannt. Inzwischen hat sie gut 1,4 Millionen Einwohner.

20 Millionen Menschen leben im neuntgrößten Land der Welt, dafür aber 120 Volksgruppen. Dazu zählt neben den gut zwei Drittel Kasachen auch eine russische Minderheit, zu der Georgij gehört. Das Wappen des Landes zeigt nicht umsonst die Kuppel einer Jurte: Sie steht für den Zusammenhalt in dem Vielvölkerstaat.

Entsprechend Vielfältiges hat die Gastronomieszene der alten Hauptstadt Almaty zu bieten: von deftigen Krapfen und süßlich-fettigem Pferdefleisch, das in der traditionellen Jurte auf großen Nudelblättern serviert wird, bis hin zu europäisch angehauchten Sterne-Restaurants.

Übrigens ist das Kulinarische bereits im Namen enthalten: Der alte Name der einstigen Hauptstadt Almaty, Alma-Ata, bedeutet so viel wie "Vater der Äpfel". Forscher der Universität Oxford, die sich 2006 daran machten, das Genom des Apfels zu entschlüsseln, fanden heraus, dass das Erbgut des asiatischen Wildapfels Malus sieversii, der im Tian Shan vorkommt, mit dem des Kulturapfels fast ident ist.

Wer es unmittelbar und authentisch möchte, besucht den Grünen Basar: In der schmucklosen Halle im Sowjetstil steht die Luft und ein Verkaufsstand am nächsten. Duftende Gewürze und Berge an Trockenobst türmen sich neben georgischen Süßigkeiten aus Walnüssen und Traubensirup sowie koreanisches, scharf-saures Kimchi, also fermentiertes Kraut, daneben liegen alle möglichen Fleischteile von allen möglichen Tieren - ungekühlt.

Zumindest probieren sollte man auch die eigenwillig säuerliche Stutenmilch, die Frauen in traditionellen Gewändern mit einladendem Nicken aus Holzkellen anbieten. "Die Milch kommt frisch vom Gestüt ihres Bruders", übersetzt Georgij. Und er erklärt, welch große kulturelle Bedeutung das Pferd in Kasachstan hat: Lange Zeit war es täglicher Begleiter für die nomadisch lebenden Stämme, die ihr Vieh über die weiten Steppen trieben, und auch Waffenbruder in den zahlreichen Scharmützeln. Heute wird es neben der Küche in vielen Sportarten eingesetzt, und behält aus der Geschichte heraus einen wichtigen Stellenwert: Stalin versuchte einst durch eine gezielt hervorgerufene Hungersnot, die Nomaden zur Sesshaftigkeit zu bewegen, um sie so besser kontrollieren zu können. Mit nachhaltigen Konsequenzen: Ein Nomadenvolk sind die Kasachen heute allenfalls noch, wenn es darum geht, nach Almaty einzupendeln - an die zwei Stunden Stau sollte man zu Stoßzeiten schon einkalkulieren.

Kasachstan ist ein günstiges Reiseland, gute Flugverbindungen ab Salzburg bietet Turkish Airlines (www.turkishairlines.com). Die Unterkünfte sind meist einfach und teilweise schon für wenige Euro zu haben, die Lebensmittelpreise sind wesentlich günstiger als in Europa. Ein Liter Benzin kostet weniger als 50 Cent.

Dank der Erdölexporte ist der Lebensstandard im Land im Vergleich zu den Nachbarstaaten relativ hoch. Mehr als 60 Prozent der Einnahmen des Staatshaushalts sind im Durchschnitt der Ölbranche zu verdanken, ebenso der Großteil der Einnahmen des Nationalfonds. Diese wirtschaftliche "Monokultur" ist mit ein Grund dafür, dass sich die Regionen im Land wirtschaftlich mitunter stark voneinander unterscheiden.