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Mini-Bücherei: Welche Überraschungen in alten Telefonzellen zu finden sind

In der digitalen Welt wurde der Hörer in der Telefonzelle überflüssig. Stattdessen findet sich hier nun ein buntes Sammelsurium an Büchern. Was sich alles zwischen vergilbten Seiten, Leineneinbänden und gebleichten Buchrücken verbirgt.

Früher wurde hier telefoniert, heute dienen manche Telefonzellen als Mini-Büchereien.
Früher wurde hier telefoniert, heute dienen manche Telefonzellen als Mini-Büchereien.
Früher wurde hier telefoniert, heute dienen manche Telefonzellen als Mini-Büchereien.
Früher wurde hier telefoniert, heute dienen manche Telefonzellen als Mini-Büchereien.
Früher wurde hier telefoniert, heute dienen manche Telefonzellen als Mini-Büchereien.
Früher wurde hier telefoniert, heute dienen manche Telefonzellen als Mini-Büchereien.

Schon oft bin ich an ihr vorbeigeradelt, aber drinnen war ich noch nie. Bis jetzt. Denn wer weiß, was man in einer Bücherzelle alles so finden kann. Früher lag hier das Telefonbuch, heute sind dort alle möglichen Bücher zu finden. Denn in der digitalen Welt wurde der Hörer in der Telefonzelle überflüssig. Kurzerhand entstand aus der Telefon- die Bücherzelle. Eine bequeme, allzeit offene Bücherei sozusagen. Oder vielleicht nicht? Tür auf - schauen wir rein!

Da ist sie bereits, die erste Überraschung: Die Bücher sind nach Kategorien sortiert - wie in der echten Bücherei. Kochbücher, Belletristik, Poesie, Religion, ja sogar Reiseführer gibt es. "Canada"-Fans würden hier fündig werden. Oder Fans von "Österreichischer Küche".

Im gleichen Regal ziehe ich an einem beigen Papierheft. Nein, an zwei beigen Papierheften. Sie sind zwar kein Reiseführer, aber so ähnlich. Es sind Werbebroschüren eines Hotels im Vorarlberger Montafon. Was die in der Bücherzelle in Salzburg machen? Keine Ahnung. Wie sie dorthin gekommen sind? Ebenfalls fraglich. Na ja, Reiseinspiration geben sie allenfalls. Genauso wie die sechs Bände "Stickermania", die in der Kinderabteilung auf neue Besitzer warten.

Ein Blick nach unten: "Die Bestimmung". Der einzige Titel, den ich kenne. Der Rest ähnelt eher einer alten Bibliothek. Vergilbte Seiten, Leineneinbände, ausgebleichte Buchrücken. Und die Autoren? Ich meine, manche davon schon einmal gehört zu haben. Sicher bin ich aber nicht. Also nehme ich ein Buch heraus.

"Der Koloß" von Hubert von Breisky - das steht in goldener Schrift auf dem braunen Leineneinband. Allein dieser und die alte Rechtschreibung des "Koloß" verraten: kein Buch nach 1996. Der Blick hinein überrascht trotzdem. Erstens ist es ein Roman, der sich in die Poesie-Etage verirrt hat. Zweitens: aus 1959! Gedruckt bei R. Kiesel zu Salzburg. Ein 66 Jahre alter Salzburger also, der hier in der Bücherzelle steht. Das ist schon fast eine Rarität.

Da kommt bereits eine Besucherin. Das Bastelbuch für Schutzengel ist jetzt weg. Ich lasse erneut den Blick schweifen. Ganz unten bei den Neuzugängen finde ich ein Stück Kindheit. Martha Grimes' "Inspector Jury". Gelesen habe ich die Bücher nie, aber die Filme waren ein Klassiker an verregneten Samstagnachmittagen. Gleich fünf Bände könnte ich mitnehmen. Einen japanischen Exoten finde ich auch. Ich bin keinesfalls sicher, glaube aber, dass es ein Reiseführer über Wien ist. Denn ich erkenne den Stephansdom, Schloss Belvedere, das Parlament und die Secession. Da kommt noch ein Besucher. Aber er findet nichts. Ich hingegen das Buch "PC und EDV" aus dem Jahr 1992. Irgendwie passt es in die alte Telefonzelle, so überholt, wie es ist. Das Kapitel "Klassifizierung moderner EDV-Anlagen" wäre in der heutigen Ausgabe wohl eher ein "Rückblick in die Anfangszeiten". Zuletzt sehe ich ein wenig anschauliches Buch: lila Leineneinband, vergilbte Seiten, ganz verzogen, oben rot. Es ist aus 1969. Aber vielleicht den Griff wert: Denn im Buch "Die Liebesmaschine" von Jacqueline Susann finde ich vier getrocknete vierblättrige Kleeblätter. Vielleicht bringen sie dem nächsten Lesenden ja etwas Glück.

Dann, eine Woche später, bin ich wieder dort. Siehe da: So gut wie alles hat sich verändert. Das lila Buch ist weg, die Neuzugänge eingeräumt, die Kategorien geordnet, die Auswahl größer. Aber "heute ziemlich weiblich", wie ein älterer Herr bemerkt, als er mit zwei Büchern herauskommt. Kein Wunder: Es kamen viele neuere Romane ab 2010 dazu. In der Zelle scheint die Lektüre für den Sommerurlaub angekommen zu sein. Nun gibt es auch einen Reiseführer für Tansania und ein wunderschönes, selbst gestaltetes Fotobuch über "Wien 1996". Immer noch da ist "Der Koloß". Verschwunden hingegen sind die Werbebroschüren. Die sind wohl doch keine Bücher.

Schlussendlich ist die Bücherzelle eine große Wunderkiste. Vieles ist ungefähr gleich alt wie die Zelle selbst. Aber wer nicht wählerisch ist, mit alter Rechtschreibung, vergilbten Seiten und Sommerromanen zurechtkommt und wer Überraschungen liebt, der ist in einer Bücherzelle genau richtig.

Andrea Gleirscher ist 22 Jahre alt und studiert Journalismus in Aarhus (Dänemark).