SN.AT / Wochenende

Mitarbeiten auf dem Biohof: Sinn statt Sangria

Voluntourismus - ehrenamtliche Arbeit im Urlaub. Unbezahlt die Ärmel hochkrempeln: Was hat man vom Geben? Ein Selbstversuch in Schweden.

Improvisation und Tatkraft: Jon beim Aufbauen eines kleinen Gewächshauses.
Improvisation und Tatkraft: Jon beim Aufbauen eines kleinen Gewächshauses.
Biobäuerin Angelika bei der wöchentlichen Besprechung mit ihren helfenden Händen.
Biobäuerin Angelika bei der wöchentlichen Besprechung mit ihren helfenden Händen.
Wenn das neue Grün wächst und gedeiht, macht Voluntourism noch mehr Spaß
Wenn das neue Grün wächst und gedeiht, macht Voluntourism noch mehr Spaß
Die wöchentliche Besprechung steht an auf „Angelikas Gård“ in Brösarp in Südschweden.
Die wöchentliche Besprechung steht an auf „Angelikas Gård“ in Brösarp in Südschweden.
Knackiges, gesundes Gemüse wird auf den Biobauernhöfen in Schweden geerntet.
Knackiges, gesundes Gemüse wird auf den Biobauernhöfen in Schweden geerntet.

Am Abend, noch ehe die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, lasse ich mich erschöpft aufs Bett fallen. Zugegeben, die Sonne scheint lang im schwedischen Hochsommer - doch so zeitig würde ich in einem anderen Urlaub garantiert nicht schlafen gehen. Dieser Urlaub aber ist nicht wie andere. Er besteht im Wesentlichen aus Arbeit. Unkraut jäten, Tiere tränken, Pflanzen pflanzen. Ich schufte auf einem Biobauernhof. Geld gibt's dafür nicht, nur Kost und Logis. Ich bin als Gastarbeiter - Gast und Arbeiter - auf Zeit gekommen. Als Voluntourist.

Das Angenehme mit dem Hilfreichen verbinden, so lautet, kurz gefasst, die Idee des Voluntourismus. Er möchte zwei Welten zusammenbringen, die auf den ersten Blick wenig gemein haben: Ausspannen und Arbeiten. Kraft schöpfen und nach Kräften helfen, ehrenamtlich.

Zu den Organisationen, die diese Idee im Natur- und Umweltbereich seit Jahrzehnten vorantreiben, zählt das Netzwerk Wwoof - Worldwide Opportunities on Organic Farms -, das hilft, Biobauernhöfe und ehrenamtlich Helfende miteinander in Kontakt zu bringen: Was 1971 als Ein-Frau-Initiative in London begann, nutzen heute Hunderttausende "Wwoofer" in mehr als 130 Ländern.

Was gibt einem das Geben als Gastarbeiter? Um das herauszufinden, bin ich per Zug und Überlandbus nach Südschweden gereist, zu "Angelikas Gård", also "Angelikas Bauernhof". Auf dem Biobauernhof von Angelika Jakimowicz, beim 700-Seelen-Örtchen Brösarp, ein paar Kilometer von der Ostküste der Provinz Skåne entfernt gelegen, leben auf 50 Hektar 120 Schafe, drei Schweine, zwei Pferde und um die 60 Hühner sowie, neben Angelika und ihrer Partnerin Kamilla, eine wechselnde Anzahl von Helferinnen und Helfern.

Tags darauf um acht Uhr in der Morgenrunde. Wir sitzen an einem Holztisch im Innenhof, Kaffee und Sonnenschein küssen uns wach. Angelika, eine fröhliche Mittdreißigerin mit Dreadlocks, Ballonmütze und tätowiertem Arm, verteilt die anfallenden Aufgaben.

"Julika trägt heute die Verantwortung für den Hofladen", sagt Angelika mit Blick auf ihren Notizblock. "Heute ist der letzte Spargeltag." Julika nickt. Letzten Sommer war sie während der großen Ferien für drei Wochen als Wwooferin auf den Hof gekommen. Es gefiel ihr gut. So gut, dass sie mit Anfang dreißig ihren Job als Sozialpädagogin an einer Schule in Worms kündigte, ebenso ihre Wohnung, und diesen Mai wiederkam, auf unbestimmte Zeit.

"Iris, du bist heute die Tomaten-Mama!" Angelika lächelt eine 25-jährige Dänin an, die fünf Jahre als Künstlerin in Kopenhagen gelebt hat und nun eine Ausbildung zur Biolandwirtin macht; für ihr Praktikum hat sie Angelikas Gård ausgewählt. Als Tomaten-Mama ist sie fürs Jäten und Gießen der kleinen roten Racker im großen Gewächshaus zuständig. Ich selbst werde fürs Unkrautjäten eingeteilt, zusammen mit Jon, einem drahtigen, vollbärtigen Schweden, der seit drei Wochen auf dem Hof mithilft. Er träumt davon, einmal selbst einen gemeinschaftlich geführten Hof zu gründen. "Easy-peasy!", ruft Angelika zum Abschluss der Morgenrunde. Beim Schwung, mit dem sie uns in den Tag entlässt, fühlt es sich an, als wäre tatsächlich jede Aufgabe, die er bringen mag, superleicht.

Ein tückisch kühler Wind weht übers Feld, das Jon und ich mit unseren Unkrautharken bestellen. Denn die Sonne küsst nicht mehr. Die Sonne sengt. Hockend, jätend, zupfend machen wir Meter um Meter.
"Du bist also einer der wenigen Schweden auf dem Hof?", frage ich Jon. "Ja", entgegnet er. "Das ist das Coole hier: Man lernt nicht nur über Biolandwirtschaft. Es ist auch eine Sprachschule." "Und ein Sprachchaos!", sagt Julika, die uns gerade einen Morgenimbiss vorbeibringt: grüne Spargelstauden, frisch vom Feld. "Weil auf dem Hof Schwedisch, Englisch und Deutsch gesprochen wird, mischen sich manchmal die Sprachen."

Nachdem unsere Felder bestellt sind, revanchieren Jon und ich uns bei Julika, indem wir ihr beim Waschen von Spargel und Lauchzwiebeln für den Hofladen helfen. Anschließend gehen wir zu dritt zurück in die Felder, Zucchinisetzlinge pflanzen. "Die hab ich vor drei Wochen gesät", sagt Julika. "Schön, wenn man sieht, was daraus wird." Die Erfolge des eigenen Einsatzes sind die emotionalen Früchte, die Voluntouristen die Tage versüßen.

Abends machen Iris, Julika und Jon mit mir einen Abstecher zum Strand. Ein Sprung in die frischen Ostseewellen ersetzt meine Feierabenddusche.

Meine zweite Morgenrunde. Heute winkt eine Mammutaufgabe. Neben dem großen Gewächshaus mit den Tomaten soll noch ein kleines emporwachsen, für Gurken. Irgendwo im Internet hat Angelika eine alte, günstige Stahlkonstruktion aufgetan. Nun liegen die Teile auf der Wiese beim Hühnerstall, ein rostiger, rätselhafter Haufen. Ein Gewächshaus bauen also - aber wie?!

Von Angelika lernen heißt Lernen lernen. Als sie den Hof 2017 kaufte, war sie selbst blutige Landwirtschaft-Anfängerin, eine erfolgsverwöhnte Ex-Managerin, von einem Burn-out aus der glitzernden Modewelt aufs Land katapultiert. Sie war entschlossen, erzählt sie, ihr Leben etwas Sinnvollem zu widmen - und komplett ahnungslos. "Ich hatte nie zuvor Gemüse angebaut." Dann fing sie einfach an, allein.

Der Freund eines Freundes fragte, ob er auf Angelikas Hof mithelfen könne, gegen Kost und Logis. Er kannte Wwoof. Und so kamen bald weitere Wwoofer. Mit ihnen wurde Expertise von anderen Höfen hierher verpflanzt. "Ich habe so viel gelernt!", sagt Angelika, die heute Bäuerin ist und Installateurin und Traktormechanikerin und vieles mehr. "Wenn meine Helferinnen und Helfer sagen, dies oder jenes habe ich noch nie gemacht, dann sage ich: Perfekt! Das ist genau der richtige Zeitpunkt, es zu lernen!"

Was ist schon das Aufbauen eines kleinen Gewächshauses gegen das Aufbauen eines ganzen Bauernhofs trotz abgrundtiefer Ahnungslosigkeit? Eben. Und so stürzen Kamilla und Julika, Jon und ich uns auf das rostige Rätsel. Und das ist nach gut einem Tag gelöst. Erstaunlich, wie viel Enthusiasmus so ein Haufen Helferlein freisetzen kann.

Jons Bewertung des Bauwerks, vielleicht acht Meter lang und zwei Mann hoch, klingt wenig euphorisch: "This is an old, rusty piece of shit!" Möglich. Und easy-peasy war der Aufbau auch nicht, wir kamen schön ins Schwitzen. Doch das Wichtigste: Das Gewächshausgerüst steht, sogar stabil. Wir ziehen die schwere Plastikplane drüber. Sofort staut sich darin die Hitze. Na, bitte. Die Gurken können kommen.

INFORMATION:

Worldwide Opportunities on Organic Farms (Wwoof)

Das Netzwerk in mehr als 130 Ländern bringt ehrenamtlich Helfende und Biobauernhöfe in Kontakt. Bedingung für "Wwoofer": eine Jahresmitgliedschaft, z. B. 10 Euro in Ungarn, 35 Euro in Togo. Auf manchen Höfen sind Kurzbesuche bis zu einer Woche möglich, meist sind längere Aufenthalte gewünscht.

Info: wwoof.net