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Soziale Medien als Komplizen des Massentourismus

Von Hallstatt bis nach Bali: Wie Geheimtipps zu Massenmagneten werden. Und wie Lebensqualität und Natur darunter leiden.

Auf TikTok hat sich unter #TravelTok eine eigene Subkultur etabliert, die Reiseinhalte kuratiert und Trends befeuert.
Auf TikTok hat sich unter #TravelTok eine eigene Subkultur etabliert, die Reiseinhalte kuratiert und Trends befeuert.

Sind Sie schon einmal in Hallstatt gewesen? Oder verzichten Sie lieber darauf, mit einer Armada aus fotohungrigen und Selfiesticks schwingenden Touristinnen und Touristen um die "Insta"-tauglichsten Seeblicke zu konkurrieren?

Die oberösterreichische Marktgemeinde ist in unzähligen Reise-Apps als Top-Sehenswürdigkeit gelistet, findet sich unter dem Hashtag #hallstatt auf knapp einer Million Instagram-Postings wieder und verzeichnet an hochsaisonalen Spitzentagen bis zu 10.000 Tagesgäste - und das bei gerade einmal gut 700 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Zwar wurde die Kulturlandschaft um Hallstatt bereits 1997 in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen, doch verdankt die Marktgemeinde ihre heutige Popularität wohl erst dem Jahr 2006, als sie als Kulisse in der südkoreanischen Drama-Serie "Spring Waltz" weltweite Aufmerksamkeit erlangte. Für zusätzlichen Wirbel sorgte der Nachbau Hallstatts in der südchinesischen Provinz Guangdong - komplett mit Kirche und See. Inzwischen gilt das einst stille Dörflein als wahres Paradebeispiel für Übertourismus, dessen Internet-Hype unaufhörlich wächst und das seine Ruhe an ein internationales Gedränge verloren hat.

Hallstatt ist längst ein Beispiel von vielen. Ein Blick auf die Menschenmengen an der Amalfi-Küste, auf den Seychellen, in Santorin, Barcelona oder auf Bali zeigt, wie rasant der Weg vom Geheimtipp zum Massenmagneten in Zeiten digitaler Vernetzung und algorithmischer Reichweitenverstärker verlaufen kann. Geotags speichern die Koordinaten der Aufnahmeorte von Fotos und machen diese nachvollziehbar und replizierbar, während Hashtags unzählige Bilder und Videos zu einem einzigen, klickstarken Schlagwort bündeln.

Auf TikTok hat sich unter #TravelTok eine eigene Subkultur etabliert, die Reiseinhalte kuratiert und Trends befeuert. Viral gehende Beiträge erzeugen binnen kürzester Zeit immense Aufmerksamkeit und FOMO ("Fear of missing out"), die Angst, etwas zu verpassen, jagt Urlauberinnen und Urlauber schließlich im Eiltempo zu ebenjenen Orten, die von Influencerinnen und Influencern zu Spitzendestinationen erkoren wurden. Diese Hotspots bezahlen einen hohen Preis für Likes und Sichtbarkeit. Schon 2019 stellte das französische Datenanalyseunternehmen Murmuration fest, dass 80 Prozent der Reisenden nur 10 Prozent der weltweiten Reiseziele besuchen.

In diesen Touristenhochburgen werden Abwasser- und Müllsysteme an ihre Grenzen und darüber hinaus getrieben, die lokale Infrastruktur wird überlastet, wertvoller Wohnraum in Ballungszentren wird von Touristinnen und Touristen gekapert und die Lebensqualität der Einheimischen sinkt durch Lärmbelästigung und steigende Lebenserhaltungskosten dramatisch.

Hinzu kommen ökologische Belastungen: Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden für den Ausbau touristischer Anlagen zerstört, Landschaften werden vermüllt, umweltschädliche Verkehrsmittel stoßen Unmengen an CO₂ aus, auf kulturellem Erbe wird im wahrsten Sinne des Wortes herumgetrampelt. Jede zusätzliche mediale Aufmerksamkeit verstärkt diese Probleme - doch das Internet, wie Hallstatt als Beispiel deutlich macht, lässt sich nicht stoppen.

Weltenbummler, die das Gedränge an den Leitdestinationen satthaben und davon träumen, einen Ort exklusiv zu entdecken, haben mit der Suche nach "Hidden Gems", versteckten Juwelen, eine Art Gegenbewegung zum Übertourismus begründet. Das Paradoxe: In einer Welt, in der Sichtbarkeit durch soziale Medien allgegenwärtig ist und besonders Neues gern geteilt wird, weil es Extraklicks verschafft, hält sich Verstecktes nicht lange im Dunkeln. Schon bescheidene Onlinepräsenz reicht aus, um Orte aus der Unbekanntheit zu holen und sie - manchmal unbeabsichtigt - ins Rampenlicht zu katapultieren. Wer "Hidden Gems" bewahren und den Klicktourismus nicht noch weiter antreiben möchte, nimmt sich die Zeit, die Welt zu sehen, statt sie nur zu dokumentieren. Wenn aufgehört wird, nur auf Likes zu zielen, können die wahren Schätze einer Region erlebt werden, ohne sie im Übermaß zu belasten.
Magdalena Gfrerer ist 21 Jahre alt, kommt aus Zederhaus und studiert an der Universität Wien.