Die offizielle Nachricht kam spät. Da waren die Besucher am Mittwoch zur zweiten konzertanten Aufführung der Oper "Adriana Lecouvreur" schon auf dem Weg ins Große Festspielhaus. Sie wollten Anna Netrebko in der Rolle einer Diva erleben. Aber auch Diven sind nicht gefeit davor, dass ihnen die Stimme versagt. Anna Netrebko also sang nicht, weil sie sich erkältet hatte. Tags darauf entschuldigte sie sich bei ihren Fans via Instagram. Womöglich sei eine Klimaanlage schuld daran gewesen, dass sie sich verkühlt habe. Sie hoffe jedenfalls, zur dritten Aufführung am Samstag wieder fit zu sein.
Solche plötzlichen Ausfälle sind in der Branche nicht unüblich. Immer wieder einmal trifft es Stars, die sich dann auf einer "Sicklist" finden. Jonas Kaufmann beispielsweise ist in letzter Zeit auffallend oft davon betroffen.
Im Falle von Anna Netrebkos Absage hat die Leitung der Salzburger Festspiele professionell reagiert. Man suchte - die Oper von Francesco Cilea gehört ja nicht zu den viel gespielten Repertoirestücken - gleichsam fliegend Ersatz, wurde in Verona fündig, wo die seit zwanzig Jahren auf internationalen Bühnen mit dramatischen Partien wie Tosca, Aida, Cio-Cio-San, Amelia (in "Maskenball"), also im Kernbereich der italienischen Oper, solide reüssierende chinesische Sopranistin Hui He gerade Puccini probte. Sie hatte die Partie der Adriana Lecouvreur erst im März und April in Verona gesungen. Also wurde sie eingeflogen und sang, zur Sicherheit von Fall zu Fall in die Noten schauend, mit hohem Engagement, die deklamatorischen Ansprüche der Partie sicher erfüllend. Die gewiss natürliche Nervosität der Einspringerin legte sich gefühlsmäßig wohl so, dass man jederzeit sicher sein durfte, dass die Aufführung zu einem guten Ende gebracht wird. Dafür gab es den berechtigten, nicht bloß dankbaren Applaus.
Wie hoch die Enttäuschung eines "Galapublikums" war, dass das Idol Anna Netrebko nicht auf der Bühne stand, lässt sich nicht leicht einschätzen. Jedenfalls nahmen die Opernbesucher im Saal die Ansage des Kaufmännischen Direktors der Salzburger Festspiele, Lukas Crepaz, leise grummelnd zur Kenntnis - so man nicht ohnehin durch die Aushänge in den Foyers schon vorgewarnt war.
Dann aber passierte völlig Unübliches. Als Crepaz auch noch Yusif Eyvazov, Netrebkos Tenor-Gatten, als indisponiert entschuldigen musste, vergaß ein erschreckend großer Teil des Auditoriums alle Regeln guten Benehmens. Es begann ein heftiges, laut brüllendes Buh-Konzert, mit deutlichen Verbalinjurien und Rufen, der Sänger solle doch heimgehen. Oder auch, er wäre am besten gleich zu Hause geblieben. Eyvazov, ohnehin gern als bloßes Anhängsel seiner berühmten Frau geschmäht, hatte spürbar keine guten Karten. Man wünschte zu diesem Zeitpunkt, der tapfer auftretende, gleichwohl hörbar angeschlagene Sänger möge diese unfairen Vorverurteilungen nicht hinter der Bühne gehört haben.
Auch Eyvazov aber brachte seine Partie mit disziplinierter Kraft unter Kontrolle; farbenreich ist sein Organ ja auch unter regulären Bedingungen nicht, der metallisch-stählerne Strahl erlischt bei anhaltender Anstrengung gern rasch. Aber er hat mit der Zeit dazugelernt und bemüht sich, seine Kräfte einzuteilen. Jedenfalls war beim Schlussapplaus der anfängliche Buh-Rausch verflogen, und der Tenor wurde respektvoll bedankt.
Dass daneben die "großen Kaliber" Anita Rachvelishvili und Nicola Alaimo ihre mächtigen Fertigkeiten ausspielen konnten, bezeugte letztlich: Auch wenn ein Star krank wird, muss man nicht verzweifeln.