Süchtig kann man nach allem werden. Nach Zigaretten, Alkohol und Drogen sowieso, aber auch nach Computerspielen, nach Arbeit und nach dem Handy. Eineinhalb Millionen Einträge zeigt Google, wenn man nach den Begriffen "Sucht Handy" sucht. Da muss was dran sein. Doch wie bei allem macht die Dosis das Gift. Und um meine persönliche Dosis zu ermitteln, hab ich einen Selbstversuch gestartet - ich nenne es Handyfasten.
Untertags kann ich auf mein Smartphone nicht verzichten, weil es ein wichtiges Arbeitsgerät ist. Zum Telefonieren, Terminekoordinieren, für rasche Absprachen und um mich auf wichtige Ereignisse aufmerksam zu machen.
Aber sobald ich am Abend von der Arbeit nach Hause komme, landet das Smartphone dort, wo Telefone standen, als man sich wegen der teuren Tarife noch kurz halten musste: im kalten Vorzimmer.
Am ersten Abend hat es mich selbst kalt erwischt: Gemütlich am Sofa kurz die E-Mails checken. Ein Griff in die Hosentasche. Mein Handy ist weg! Ach ja, es liegt im Vorzimmer. Was gibt es im Fernsehen? Das weiß die Tele-App. Ein Griff in die Hosentasche. Verdammt! Fotos ansehen, die ich gestern gemacht habe? Wird wohl nichts. Musik hören? Fehlanzeige. Wie wird das Wetter am Wochenende? Ich werde es so schnell nicht herausfinden. Das Handy ist und bleibt draußen.
Da liegt das Smartphone jetzt Abend für Abend und brummt vor sich hin. Kurznachricht. Brumm. Anruf. Brumm. Schlagzeilen-Alarm. Brumm. Wettermeldung. Brumm. Niemand nimmt Notiz. Am nächsten Tag dann die spannende Frage: Was habe ich verpasst? Trump hat wieder etwas getwittert. Wenn ich es nicht lese, geht es mir wohl besser. Starker Regen soll kommen. Stimmt, es schüttet aus Kübeln. Anruf eines Kollegen. Er wird das Problem sicher allein gelöst haben. Ein Freund hat Geburtstag. Ich schicke ein SMS. Eine Lastschrift wurde gebucht. Das verursacht bei mir Schmerzen. Toscanini vor 150 Jahren geboren. Für Glückwünsche ist es wohl zu spät.
Wirklich verpasst habe ich an keinem Abend etwas. Dafür genieße ich die ununterbrochene Abendruhe und habe schon drei Bücher gelesen. Wer jetzt fastenbedingten Kulturpessimismus diagnostiziert, irrt. Die Dosis macht das Gift. Und die richtige Dosis muss jeder für sich selbst finden. Darum werde ich mein neues Abendritual beibehalten. Übrigens: Vor 200 Jahren hat man vor der Gefährlichkeit des Lesens gewarnt. Es würde Menschen aus der Realität reißen und ihnen nur Flausen in den Kopf setzen.


