Jedes Jahrzehnt hat seine Mythen: Einmal waren es Roboter, die uns von unseren Arbeitsplätzen vertreiben sollten. Dann die elektronische Datenverarbeitung, die das Papier aus dem Büro verbannen könnte. Und schließlich der E-Commerce, der uns alle reich gemacht hätte, wenn . . .
Klar, Fabriken sehen heute anders aus als vor hundert Jahren, Arbeiter gibt es dort aber immer noch. Die elektronische Datenverarbeitung hat Ähnliches in den Büros geschafft. Die Menge an bedrucktem Papier ist aber nicht weniger geworden. Und trotz der viel gepriesenen Digitalisierung müssen die meisten noch immer an ihrem Arbeitsplatz erscheinen oder zu Meetings um dem Globus jetten.
Vor zwanzig Jahren meinte man die Lösung für das Problem gefunden zu haben: Telearbeit. In eigenen Telecentern sollten Menschen nahe ihrem Wohnort für Unternehmen arbeiten, die gemeinsam Infrastruktur wie schnelle Datenleitungen, Computer, Telefon und Videokonferenzen zur Verfügung stellten. Straßen würden so entlastet, strukturschwache Gemeinden gefördert und Menschen vom Abwandern aus diesen Orten abgehalten. Durchgesetzt hat sich Telearbeit aber nur in Teilen der IT-Branche. Zumindest fürs Einkaufen gab es eine Lösung: den E-Commerce.
Warum stehen wir immer öfter im Stau, statt stressfrei auf der Datenautobahn unsere Arbeit und die Einkäufe zu erledigen?
Offenbar hat sich mit dem Internet, das Telearbeit ermöglicht, auch die Arbeit an sich verändert. Jene Berge an Daten, die noch vor 20 Jahren von Hand erfasst wurden, geben Kunden heute online selbst ein. An unserem Arbeitsplatz arbeiten wir in kleinen Teams, in denen rasche Kommunikation und Information wichtiger sind als das Abarbeiten von Belegen, denn das stupide Eingeben von Daten wurde uns erst von Maschinen, jetzt immer öfter von unseren Kunden abgenommen.
Bei genauerer Betrachtung gibt es sie aber doch, die Telearbeit. Sie hat sich in vielen Jobs durch die Hintertür in die Freizeit eingeschlichen. Zuerst waren Arbeitnehmer über das Telefon immer erreichbar. Anfangs nur für den Chef, dann für Kollegen, schließlich auch für Kunden. Durch das Smartphone dringen mittlerweile auch E-Mails aus dem Büro zu jeder Tages- und Nachtzeit ins Privatleben vor. Umgekehrt findet aber auch jede Menge Privates im Büro statt. Man verabredet sich am Handy oder per Facebook, Urlaubsreisen werden gebucht, Bestellungen aufgegeben.
Arbeit und Freizeit vermischen sich. Durch die Digitalisierung können wir unsere Fühler immer weiter ausstrecken. Das Internet bringt Unternehmen so manche Kunden weit außerhalb des sonst möglichen Aktionsradius. Auch wir werden Kunden von Firmen jenseits unseres analogen Horizonts. Darum hetzen wir auch immer öfter unserem digitalen Selbst nach. So werden durch die Digitalisierung zurückgelegte Kilometer eher mehr als weniger. Unlängst schlug der Verkehrsclub Österreich Alarm: Einkaufen übers Internet verursacht mehr Verkehr als allgemein vermutet. Kunden bestellen mehr, als sie kaufen wollen, daher werden bis zu 50 Prozent der Ware wieder zurückgeschickt. Konkurrierende Paketdienste legen die gleichen Wege zurück. Zuerst klingelt der Postmann von Hermes, dann von UPS und dann noch von der gelben Post. Und wenn das Paket nicht zugestellt werden kann, dann setzt sich der Onlinekunde selbst ins Auto und holt sein Päckchen vom Verteilzentrum ab. Die Umwelt bleibt dabei auf der Strecke. Und wir selbst auch, denn die Digitalisierung zwingt uns zu noch mehr Mobilität.
War die ursprüngliche Idee nicht, dass wir Arbeit und Einkauf von zu Hause erledigen können? Das war wohl auch nur ein Mythos und wir stehen weiter im Stau.

